Ausstiegsprozedere

Wie funktioniert eigentlich ein EU-Austritt?

Die Flaggen von Großbritannien und der EU stehen am 16.12.2005 im EU-Ratsgebäude in Brüssel.
Was passiert genau, wenn der Brexit eintritt? © picture alliance / dpa / Federico Gambarini
Von Annette Riedel · 23.06.2016
Im Lissabon-Vertrag gibt es zu einem möglichen EU-Austritt kaum klare Regelungen. Nur soviel steht fest: Er dauert mehrere Jahre und ist vor allem eines, nämlich Verhandlungssache.
Alles, was man genau weiß über das, was nach einem Votum der Briten für einen Austritt aus der EU passieren würde, passt auf eine halbe DinA4- Seite. Artikel 50 des Lissabon-Vertrags regelt den möglichen Austritt eines Landes aus der EU. Und viel, sehr viel regelt er eben nicht. Und deshalb gibt es Brüssel hauptsächlich Fragezeichen, welche Konsequenzen ein Brexit-Votum hätte.
"Der Artikel 50 sagt: Gut, Ihr könnt austreten. Jedes Land ist völkerrechtlich weiter souverän, kann also aus einem völkerrechtlichen Vertrag austreten."
Sagt Christian Behrendt, belgischer Staatsrechtler.
"Der juristische entscheidende Beginn ist nicht das Referendum. Das ist eine Sache des internen Verfassungsrechts des Vereinigten Königreichs, sondern das ist eine Mitteilung an den Europäischen Rat."
Also an die EU-Staats- und Regierungschefs. Die versammeln sich am kommenden Dienstag zu einem Gipfel in Brüssel.
"Wann das mitgeteilt werden muss, ist nicht genau definiert."

Offizielle Austrittsmitteilung nötig

Das nämlich legt der besagte Artikel 50 nicht fest. Vom Moment der offiziellen Mitteilung an beginnt die Uhr zu ticken, beginnt der "Scheidungsprozess". Der ist auf zwei Jahre festgelegt – Verlängerung theoretisch einstimmig möglich.
"In der Verhandlungsphase ist das Vereinigte Königreich noch Mitglied der EU, bis zu dem Tag, an dem das Verteidigte Königreich austritt."
Sagt Fabian Zuleeg von der Brüsseler Denkfabrik "European Policy Center". Heißt das auch, dass Großbritannien trotzdem theoretisch noch in der zweiten Jahreshälfte 2017 turnusgemäß die EU-Präsidentschaft übernehmen könnte? Das heißt es. Und der britische Regierungschef – egal, ob der dann noch David Cameron heißt oder nicht – käme selbstverständlich zunächst weiter zu den EU-Gipfeltreffen.
"Auf jeden Fall, denke ich, er wäre noch dabei, aber nicht bei allen Diskussionen."
"Der Europäische Vertrag definiert, dass der britische Premierminister dann im Europäischen Rat bei Themen, die mit dem Austritt zusammenhängen – und das sind dann ja viele Themen – das Stimmrecht verliert."
Sagt der EVP-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, der CSU-Politiker Manfred Weber.

Alles Verhandlungssache

Sehr viel mehr geben die Verträge über das Prozedere im Fall des Austritts eines EU-Mitglieds nicht her. Alles Verhandlungssache eben: Wann verlässt der britische EU-Kommissar die Kommission? Stimmen die britischen Abgeordneten im EU-Parlament weiter bei allem mit? Was ist mit den über 1000 britischen Beamten, die in der EU-Kommission arbeiten? Was ist mit britischen Juristen beim Europäischen Gerichtshof? Wie ist das mit dem Zugang von Briten zum Binnenmarkt? Welches Europäische Recht behält Großbritannien bei und welches setzt es – vorausgesetzt das läuft in einem geordneten, auszuhandelnden Prozess ab – sukzessive außer Kraft? Alles Verhandlungssache.
Gerade Letzteres ist stark davon abhängig, welche Art der Beziehung ein Nicht-EU-Land Großbritannien und die EU miteinander künftig haben würden. Neben den Austrittsbedingungen müssen auch die künftigen Beziehungen ausgehandelt werden. Das kann dauern, sicher länger als der zweijährige "Scheidungsprozess". Und die Verhandlungen werden alles andere als ein Spaziergang. EU-Justizkommissarin Jourova:
"Das wird intensive Diskussionen geben, denn die Mitglieder im EU-Club müssen alle einem neuen Regime zustimmen."
Die "Club-Mitglieder" werden sich gegenüber Großbritannien schon allein deshalb nicht sehr konziliant zeigen wollen, damit ein Brexit nicht diesbezügliche Phantasien von EU-Skeptikern anderswo in der EU über Gebühr beflügeln würde.
"Wenn diese Scheidung so ist, dass Großbritannien weiter Zugang zum Binnenmarkt, weiterhin die Privilegien nutzen kann, die ein Mitgliedsstaat hat, dann ist das natürlich attraktiv für andere."
Wenngleich, und auch darauf weist Fabian Zuleeg hin, natürlich andererseits vor allem jenen EU-Ländern, deren Wirtschaft besonders stark mit der britischen verknüpft ist, auch daran gelegen sein wird, dass man miteinander – buchstäblich - im Geschäft bleibt.
Mehr zum Thema