Ausstellung über Utopien in Nürnberg

Wolkenkratzerträume und ein Knospengeist

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Ein asiatischer Mann in einem dunklen Overall steht inmitten von Maschinen. Cao Fei, "Whose Utopia", 2006.
Sieht so der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Werk des Künstlers Cao Fei in der Ausstellung im Nürnberger Museum. © Cao Fei, Vitamin Creative Space and Sprüth Magers
Von Tobias Krone · 29.05.2020
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Im Corona-Lockdown scheinen einige düstere Szenarien von unserer Zukunft wahr geworden zu sein. Doch gerade jetzt ist es Zeit für Utopien – also, Visionen einer besseren Welt. Das Neue Museum Nürnberg widmet ihnen die Ausstellung „Was, wenn…?“.
Es geht durch die Tür, ein paar Stufen hinauf. Ein paar Stufen wieder hinunter. Am Anfang der Ausstellung "Was, wenn…?" steht man in einer Art Amphitheater in Europa-Blau – eine Installation des Kollektivs Traumnovelle, das an der vergangenen Architekturbiennale teilgenommen hat.
Kuratorin Franziska Stöhr sagt: "In Venedig war das eine Installation, die den nationalen Pavillon im wahrsten Sinne des Wortes gesprengt hat. Es war auch eine Treppenkonstruktion. Und die Idee des Kollektivs war tatsächlich zu sagen: Wir brauchen nicht nur diese parlamentarischen demokratischen Strukturen, sondern wir brauchen auch Orte, in denen sich die Bürger treffen können. In denen es einen Austausch zwischen allen Gesellschaftsschichten gibt."
Eine Grafik des WAI Architecture Think Tank (Cruz Garcia & Nathalie Frankowski), "Cities of the Avant-Garde", 2011–2020
Die Stadt von morgen: Utopie von WAI Architecture Think Tank.© WAI Architecture Think Tank/Cruz Garcia & Nathalie Frankowski)
Utopien – die seien gerade jetzt, in Zeiten der Krise, wieder nötig, findet Franziska Stöhr. Mit ihrer Ausstellung folgt sie der modernen Definition der Soziologin Ruth Levitas, die Utopie als Methode versteht.
"Sie alle kennen unsere Headlines in den Zeitungen, die groß dystopisch sind, wo es immer darum geht: Wie wollen wir es eigentlich nicht machen. Dieser negative Duktus. Und diesem Impuls will die Ausstellung entgegentreten und sagen: Wenn wir darüber nachdenken wollen, wie wir leben wollen, brauchen wir eine Art geistigen Freiraum, um uns zu fragen, wie wir die Gesellschaft gestalten können."

Damals Utopie, heute eher Dystopie

Zunächst einmal wagt sie einen Rückblick auf die letzte große utopische Epoche. Etwa das Architektenteam WAI, das alle möglichen brutalistischen Wolkenkratzerträume der Sechziger und Siebziger auf einer Tapete vereinigt. Was damals vorrangig männliche Stadtplaner und Science-Fiction-Autoren imaginierten, wirkt heute eher dystopisch. Die Umsetzung scheiterte oft an Geld. Die Realität ist seit jeher der Feind von Utopie. Dafür hat Kuratorin Franziska Stöhr eine eindrückliche Metapher gefunden, die man als Lichtinstallation sinnlich erleben kann.

"Es ist eine Installation des Designerduos mischer‘traxler. Es geht um die Fragilität der Utopie in dieser Installation. Es hat die Form eines Mobiles, zumindest ist man daran erinnert, es sind Stäbe, an deren Enden Lichtballons hängen. Wenn man durchgeht, gerät das Ganze in Bewegung. Lichter gehen aus und insofern ist das ein Bild für die Fragilität der Utopie."
Die Installation "LeveL – the Fragile Balance of Utopia", 2016, von mischer'traxler, bestehend aus weißen, lampionartigen Lichtern. Eine Museumsbesucherin besichtigt die Installation.
Begehbare Utopie: Installation von mischer'traxler im Neuen Museum Nürnberg.© Neues Museum / Annette Kradisch

Inseln auf PVC

Doch wie sehen die Utopien der Gegenwart aus? Auf jeden Fall ironischer. Die Künstlerin Paola Pivi hat sich daran gemacht, ein Foto ihrer Lieblingsinsel Alicudi im Maßstab Eins zu Eins auf PVC auszudrucken – man kann die riesenhaften Rollen in der Ausstellung bestaunen, die nur einen winzigen Teil des aberwitzigen Projekts ausmachen. Das Künstler-/Künstlerinnenduo Dunne und Raby baut sich mal kubistisch, mal kugelig geformte Baby-Roboter – und bemuttert sie in einer Video-Performance auf das Allerherzigste.
"Hier, das ist zum Beispiel der Neurotic one – der Neurotische. Er ist extrem sensibel und dadurch gut für Sicherheitsaufgaben geeignet. Aber, wie sie sehen – er kann sich eigentlich nicht sehr gut bewegen. Er kann sich im Kreis drehen, aber das heißt, er ist auch auf den Menschen angewiesen", erläutert die Kuratorin.

Der separierte Mensch

Franziska Stöhr ist eine witzige, vielfältige, pointierte Präsentation von utopischen Entwürfen gelungen. Allein – ob diese wirklich zuversichtlich stimmen, lässt sich diskutieren.
Im so genannten Speculative Design ist ein Trend erkennbar – es ist der separierte Mensch. So will der spekulative Architekt Liam Young in seiner Virtual-Reality-Simulation namens Planet City die Menschheit in Wolkenkratzer-Türme stapeln, um nebenan der Natur genügend Raum zu lassen. Noch radikaler die britische Designerin Alexandra Daisy Ginsberg, die in einer 12-Kanal-Installation gleich einmal diverse virtuelle Ansichten vom Planeten Mars als Refugium der Pflanzenwelt zeigt. Bilder eines heranwachsenden Paradieses. Bewusst ohne Menschen.

Der Geist aus der Lotosblüte

Eine Frage drängt sich auf: "Muss der Mensch verschwinden? Also ist er die Utopie der heutigen Zeit?"
Christian Ohrendt antwortet: "Also der Ansicht dieses Knospengeistes nach schon."
Der Berliner Künstler Christian Ohrendt vom Kollektiv Böhler & Ohrendt steht vor einer Art Raumschiff in Form einer geschlossenen Lotosblüte, ein Fremdkörper im sachlichen Museumsfoyer. Sie ist begehbar, die Wände zieren Tiere, die gegen das Aussterben von Pflanzen demonstrieren. Die Stimme des Knospengeistes fordert auf, zu entspannen: "Everything is okay. I believe in you…"
Schnell wird klar: Diese Utopie ist nur scheinbar für den Menschen gemacht. Im heimelig-unheimlichen Uterus der Lotusblüte hängen Aquarelle, die in neoromantischen Sonnenuntergangsfarben den Plan offenbaren.
"Dass eben im ersten Bild dieser Knospengeist den Tieren erscheint und ihnen offenbar den Auftrag gibt, diese Art Arche zu bauen, wie man das auch kennt. Dann sammeln sie diese Blütenblätter und bauen sie zusammen zu diesem Fahrzeug. Im dritten Bild ist dieses Fahrzeug fertig. Die Menschen begeben sich hinein. Im Fünften entfernen sie sich an diesen besseren Ort."
Vielleicht ja auf den Mars, wenn das Gras dort grün genug ist.

Die Ausstellung "Was, wenn…? Zum Utopischen in Kunst, Architektur und Design" ist bis zum 20. September 2020 im Neuen Museum in Nürnberg zu sehen.

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