Ausstellung über das Alter in der Kunst

"Wir alle wollen 100 Jahre alt werden"

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Ebenfalls in Hannover zu sehen: Cindy Shermans "Untitled #565" © Cindy Sherman. Courtesy of the artist and Metro Pictures, New York
Katja Lembke im Gespräch mit Dieter Kassel · 29.09.2017
Sind Falten störend - oder doch auch attraktiv? Bedeutet Altern ein Zuwachs an Weisheit oder schleichender Verfall? Wie wir den letzten Lebensabschnitt empfinden, können selbst entscheiden, zeigt ab heute eine Ausstellung in Hannover.
Es gibt Frauen, die ihre Haare mit Anfang 30 silbergrau Färben - weil sie es cool finden. Es gibt Viagra. Und es gibt die TV-Werbung mit Großeltern, die so fit und aktiv sind, wie manche Menschen nicht mal mit 40 waren. Trotzdem ist die Angst vor dem Alter nicht verschwunden ist - wie umgehen mit dem Älterwerden? Die Ausstellung "Silberglanz. Von der Kunst des Alters" im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover zeigt Beispiele - mit Altersbildnissen aus drei Jahrtausenden.

Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es ist – glaube ich zumindest – nicht nur der Tatsache geschuldet, dass wir alle immer älter werden, sondern vielleicht auch dem medizinischen Fortschritt und anderen Phänomenen, dass das Alter inzwischen keineswegs ausschließlich negativ gesehen wird. Der Ruhestand, das ist ja nun bekanntermaßen die dritte Lebensphase, und auch Themen wie Liebe und Sex im Alter sind längst kein Tabu mehr. Aber so, wie einerseits auch heute die Angst vor dem Alter längst nicht verschwunden ist und es immer noch einen gewissen Jugendkult gibt, so war auch früher schon das Alter eben nicht nur etwas Negatives. Auch das zeigt ab heute die Ausstellung "Silberglanz. Von der Kunst des Alters" im niedersächsischen Landesmuseum in Hannover, über die wir jetzt mit der Direktorin des Museums, mit Katja Lembke sprechen. Schönen guten Morgen, Frau Lembke!
Katja Lembke: Ja, guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Was sind in Ihrer Ausstellung die ältesten Darstellungen, bei denen Sie doch klar sagen würden: Die sehen Alter eher positiv?
Lembke: Die ältesten Darstellungen gehören tatsächlich an den Beginn des zweiten Jahrtausends vor Christus. Das heißt, die sind vor etwa 4000 Jahren entstanden und zeigen einen Pharao, den Pharao Sesostris III. und seinen Sohn Amenemhet III. Und das ist natürlich besonders interessant, weil ja eigentlich die Plastik der ägyptischen Pharaonen immer jugendlich-idealisierend war.
Aber just in dieser Zeit, in der Periode des Mittleren Reichs, hat man auch diese Altersaspekte gewählt, und das ganz bewusst. Diese Darstellungen sind nicht negativierend, sondern sollen die Pharaonen vielmehr zeigen in einer Vaterfigur, als erfahrene Männer, als Männer, die auch deswegen von einer gewissen Weisheit profitieren können.

Kassel: Das bringt mich aber natürlich auf den guten alten Spruch: Frauen werden älter, Männer werden weiser. Also, man hat damals lange Zeit, würde ich mal vermuten, einen großen Unterschied gemacht zwischen Männern und Frauen, bei dieser Darstellung?
Lembke: Man hat nicht nur damals einen großen Unterschied gemacht, sondern selbstverständlich auch heute noch. Aber das Interessante ist, dass es auch bei Frauen durchaus ambivalent ist. Wenn Sie etwa in den Bereich Repräsentation, den wir sehr groß in der Ausstellung zeigen, schauen, dann werden Ihnen dort sehr viele Frauenporträts auffallen. Auch unser Covergirl, nenne ich sie jetzt mal, "Frau Luther" von Lovis Corinth, die Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ist, ist eine wirklich schöne gealterte Frau. Und das Bild wollen wir natürlich auch vermitteln in der Ausstellung.

Verjugendlichung des Alters?

Kassel: Aber heißt Schönheit im Alter – je nachdem auch wahrscheinlich, über welche Zeit wir reden –, wirklich Falten darzustellen, wirklich einen Alterungsprozess darzustellen, der Würde hat, der trotzdem schön ist? Oder heißt das, was wir heute ja auch oft erleben, so eine Art Verjugendlichung des Alters?
Lembke: Wir zeigen beide Aspekte. Wir haben etwa ein Bildnis der letzten Kaiserin und da sehen Sie nun einfach eine ganz andere Art, mit dem Alter umzugehen. Sie trägt zwar das, was in unserer Ausstellung auch titelgebend ist, nämlich silberglänzendes Haar, aber die Haut ist stark gestrafft. Und auf der anderen Seite sehen wir aber auch sowohl bei Frauen wie bei Männern ganz bewusst eingesetzte Alterszüge, die eben positiv umgedeutet werden als Zeichen von Erfahrung und von Würde.
Kassel: Ich finde aber … Wir reden jetzt über die Gegenwart, ich würde aber natürlich auch gerne wissen: Wie ist das im Laufe der Jahrhunderte, fast Jahrtausende ja bei Ihnen gewesen? Man darf sich das doch alles auch nicht schönreden. Wie deutlich zeigen Sie denn in Ihrer Ausstellung auch Alter als Verfallsprozess, als Schreckgespenst?
Lembke: Ja, das zeigen wir selbstverständlich auch. Wir haben ja gerade den Beitrag von Leila Slimani gehört, wo es um Körper und Sexualität ging. Sexualität im Alter ist ja ein Thema, was erst vor ganz kurzer Zeit überhaupt entdeckt wurde, mit dem Film "Wolke 9" das erste Mal auch wirklich so in Szene gesetzt wurde. Vor 100 Jahren ging man damit ganz anders um. Da hat man das alles mythologisch verbrämt, auch da haben wir wieder wunderbare Werke von Lovis Corinth, der etwa ein Bacchanal zeigt. Ich nenne das mal eine fröhliche Gruppe von leicht trunkenen Männern und Frauen, die sich im Englischen Garten tummeln, so sieht es aus, aber eben auf antik getrimmt.
Und das ist wirklich ganz interessant, dass man da quasi einen Mythos benutzt, um etwas Zeitgenössisches darzustellen, was man eben nicht darstellen durfte. Ein anderes Beispiel ist das Prekariat, also der soziale Abstieg im Alter. Auch da haben wir wunderbare Darstellungen schon aus der Antike, alte Fischer, ein alter Hirte, die wirklich in einer ganz krassen Weise Alterszüge zeigen, um auch quasi ihren sozial niedrigen Stand zu demonstrieren. Oder eben auch Menschen, die durch Altersarmut gezeichnet sind, die also diesen sozialen Abstieg erlebt haben.

Ein nackter Körper - ohne Kopf

Kassel: Sie zeigen ja auch Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler in dieser Ausstellung. Wie gehen die denn heute mit diesem Thema um?
Lembke: Das ist selbstverständlich sehr unterschiedlich. Ich will da zwei Beispiele nennen, zum einen der Ron Mueck, der ein Bild seines Vaters geschaffen hat, also eine dreidimensionale Darstellung aus Silikon, die unglaublich lebensnah ist, aber den Körper stark verkürzt. Also, der Körper ist nur einen guten Meter lang. Und es handelt sich dabei um ein Erinnerungsbild, das er aufgrund von Fotos entworfen hat. Und dieses Bild eben zeigt im wahrsten Sinne des Wortes den entrückten, also daher verkleinerten Vater einerseits, und er liegt in unserer Ausstellung aufgebahrt so wie der tote Christus. Also, es ist eine unglaublich intime Inszenierung, die wir hier auch gewählt haben.
Ein anderes Beispiel: Ein Sarg von John Copland, der sich selbst fotografiert hat und verschiedene Fotos aneinandergesetzt hat, sodass ein Körper entsteht, allerdings interessanterweise ohne Kopf. Also, es ist nur der Körper, sein nackter Körper, den er inszeniert. Auch das ist natürlich eine neue Form, mit so einem alternden Körper umzugehen, so offensiv damit umzugehen, die vor wenigen Jahren noch gar nicht möglich gewesen wäre.

Altern am besten als Silver Surfer

Kassel: Hat eigentlich die Beschäftigung mit dieser Ausstellung, mit dieser Art von Kunst Ihren eigenen, persönlich Blick aufs Alter verändert?
Lembke: Ich finde, dass meine Sicht differenzierter geworden ist. Ich meine, das, was man sieht in unserer Ausstellung, ist einfach eine Zusammenstellung von ganz verschiedenen Aspekten. Wir wollen nicht nur das Positive, sondern selbstverständlich auch die negativen Aspekte des Alters zeigen. Aber eigentlich, vor allen Dingen ist die Botschaft, wenn ich jetzt hier Cicero zitieren darf: Nicht das Alter ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu, wie gehen wir damit um.
Ich glaube, wir alle wollen 100 Jahre alt werden, aber wenn wir das wollen, dann natürlich in einer Form als Best Ager, als Silver Surfer, reisend, gesund, vital im Alter. Und wir sehen uns nicht als Pflegefall. Das heißt, es ist auch immer die Frage: Wie gehe ich daran, wie positiv sehe ich meine eigene Konstitution, mein eigenes Alter? Und ich glaube, umso besser wird es.
Kassel: Man kann das selber überprüfen, ob ähnliche Effekte bei einem selber auch eintreten. Die Ausstellung "Silberglanz. Von der Kunst des Alters" ist ab heute im Landesmuseum Niedersachsen in Hannover zu sehen, und zwar dann noch bis zum 18. Februar. Frau Lembke, vielen Dank für das Gespräch!
Lembke: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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