Ausstellung in Zürich "Extra Bodies"

Künstler als Körperfresser

Der chinesische Künstler Ai Weiwei (r) auf der documenta 12 in Kassel den Darstellern seiner Installation "Fairytale" den Weg zu ihren Schlafräumen.
Der chinesische Künstler Ai Weiwei zu Gast bei der documenta in Kassel © dpa / Boris Roessler
Von Johannes Halder · 19.11.2017
Künstler nutzen menschliche Körper als Rohstoff für künstlerische Produktionen. Eine Ausstellung im Migros Museum für Gegenwartskunst untersucht dieses Phänomen anhand der Werke von unter anderem Ai Weiwei, Yves Klein und Oscar Bony. Die Ergebnisse sind mitunter zynisch.
Es war unter der Regie des französischen Künstlers Yves Klein 1960 in einer Pariser Galerie. Drei nackte junge Damen reiben ihre Körper mit ultramarinblauer Farbe ein und drücken ihre Leiber dann auf eine große Leinwand ab. Der weibliche Körper als Malwerkzeug, damals ein Skandal.
Die legendäre Aktion des französischen Blaumachers ist hier natürlich nur als Video zu sehen, und das gilt für die ganze Schau: kein einziger echter Menschenkörper ist präsent, dafür Videos, Großfotos, Installationsrelikte.
Zum Beispiel ein Tisch und zwei Sitzbänke der Mexikanerin Teresa Margolles, gegossen aus Beton, der vermischt ist mit blutgetränkter Erde vom Mord an einer Person im Grenzbereich der USA. Wer will, kann daran Platz nehmen und darüber nachdenken, wieviel Würde einem Toten bleibt, der schon kein würdevolles Leben hatte. Menschenmaterial.
Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles in Venedig. 
Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles in Venedig. © ANSA
Der argentinische Künstler Oscar Bony hatte schon 1968 eine Arbeiterfamilie ausgestellt – ein lebendes Kunstwerk, das von der damaligen Militärjunta als politisches Statement verstanden und prompt verboten wurde. Und Gino de Dominici stellte 1972 auf der Venedig-Biennale einen jungen Mann mit Down-Syndrom aus, um eine Diskussion über soziale Körperrollen und -normen anzustoßen. Auch dies ein Skandal – nach nur einem Tag musste die Aktion abgebrochen werden. Es sind solche Werke, die dem Kurator Raphael Gygax ins Konzept passen: "In der bildenden Kunst ist ein Statist nach meiner Definition jemand, der eingesetzt wird vom Künstler, wo eben dann die Spielrolle und die Sozialrolle sich decken."
Dass es oft Außenseiter, Ausgestoßene, Behinderte oder Flüchtlinge sind, die den Körper der Anderen für Künstler attraktiv machen, hat einen Grund.
"Ich glaube schon, dass es damit zu tun hat mit einer Globalisierung, wo plötzlich der Körper eben wird zum Kapital und in dem Sinn auch verfügbar für Künstler."

Gezielte Grenzüberschreitung

Auch verführbar. Der Pole Artur Zmijewski überredete einen ehemaligen Auschwitz-Häftling gegen Bezahlung, sich die auf den Arm tätowierte KZ-Nummer auffrischen zu lassen. Nach quälend langem Zaudern willigte der alte Mann ein – aus finanzieller Not. Eine gezielte Grenzüberschreitung, die den Mann zum zweiten Mal zum Opfer macht, um kapitalistische Machtverhältnisse zu dokumentieren und zu zeigen, dass das Trauma noch immer aktuell ist.
"In seinem Fall könnte man das als zynisch lesen. Der Künstler nimmt hier tatsächlich die Rolle des Bösen ein, des bösen Künstlers."
Der Künstler Artur Zmijewski 
Der Künstler Artur Zmijewski © imago stock&people
Doch Zmijewski kann auch anders. Etwa wenn er mit Gruppen junger Hörbehinderter Chorstücke einstudiert und zur Aufführung bringt.
Es sind Töne von berührend schräger Schönheit, die den Zuhörer in eine tückische Falle locken. Entweder man akzeptiert die atonale Darbietung oder wendet sich entrüstet ab. Ähnliches praktizierte auch Christoph Schlingensief in seinem Künstlerdorf in Burkina-Faso, wo er immer wieder auch Behinderte in seine Opernproduktionen einband.
Hinweisschild zu Christoph Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso
Hinweisschild zu Christoph Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso© imago/stock&people/Friedrich Stark
Freilich gibt es auch Witziges. Der Basler Künstler Christoph Büchel ließ 2008 eine Gruppe älterer Frauen den Song "God Save the Queen" der Punk-Band "Sex Pistols" einstudieren, und siehe da: die alten Klangkörper klingen nicht viel anders als die jugendlichen Schreihälse im Original.

Einfach die Augen öffnen

Und da gibt es auch die Fotos von Vanessa Beecroft. Die Italienerin lässt Gruppen von professionellen Models, leicht bekleidet oder nackt, so lange warten und posieren, bis die einstudierte Fassade bröckelt, die Mienen müde verrutschen und die Perfektion zerfällt. Auch Models sind nur Menschen und im Geschäft mit der Schönheit verfügbares Material.
Die beiden Chinesinnen Li Xiurong (l) und Su Changxin vor dem Fridericianum in Kassel. Sie sind Teilnehmer des documenta-Projektes "Fairytales" des chinesischen Künstlers Ai Weiwei.
Zwei Chinesinnen vor dem Fridericianum in Kassel, sie sind Teilnehmer des documenta-Projektes "Fairytales" des chinesischen Künstlers Ai Weiwei.© dpa / Uwe Zucchi
Wer 2007 die documenta besucht hat, erinnert sich daran, dass der Chinese Ai Weiwei tausend seiner Landsleute kostenlos nach Kassel transportieren ließ, wo er sie quasi aussetzte – ein soziologisches Massenexperiment, das sich hier noch einmal studieren lässt. Neben Großfotos der Kunsttouristen sind auch etliche der 1000 historischen Holzstühle aus China ausgestellt, die das Projekt damals begleiteten.
Darsteller der Installation "Fairytale" des chinesischen Künstlers Ai Weiwei auf der documenta 12 in Kassel in ihrem Schlafraum. 
Darsteller der Installation "Fairytale" des chinesischen Künstlers Ai Weiwei auf der documenta 12 in Kassel in ihrem Schlafraum. © dpa / Boris Roessler
Dass die Mehrzahl der Werke in der Züricher Schau die Disziplinierung und Fremdbestimmung des Körpers in Arbeitswelt und Asyl thematisiert, macht für solche Praktiken gewiss sensibel. Doch dass man dafür ins Museum gehen muss, ist bedenkenswert. Vermutlich wäre es ja besser, wenn man einfach im Alltag seine Augen öffnet. Die Ausstellung mag dafür ein Anstoß sein.

Die Ausstellung "Extra Bodies – The Use of the 'Other Body' in Contemporary Art" ist im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich zu sehen.

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