Ausstellung in München

Die NSU-Opfer als Teil der Stadtgeschichte

Die pontische Lyra gehörte dem vom NSU ermordeten Theodoros Boulgarides und geht als Leihgabe an das Münchner Stadtmuseum.
Die pontische Lyra gehörte dem vom NSU ermordeten Theodoros Boulgarides und geht als Leihgabe an das Münchner Stadtmuseum. © © Münchner Stadtmuseum
Von Tobias Krone · 20.12.2016
Lange Zeit waren die Ermittlungsbehörden im Falle der NSU-Morde auf dem rechten Auge blind, so auch in München. Die Geschichte der Opfer ist jetzt auch Teil einer Dauerausstellung im Stadtmuseum München. Sie wird mit persönlichen Gegenständen repräsentiert.
Der Raum ist bunt. So wie sich München seit einigen Jahren gerne selbst sieht: Die poppigen Poster der Olympiade '72, Plattencover von Queen und Milli Vanilli, deren Popkarrieren viel mit München zu tun hatten. Die letzten drei Meter Wand dagegen sind nun dunkelgrau gestrichen. Hier wird ein vorerst letztes Kapitel Stadtgeschichte verhandelt, eines, das noch längst nicht zu Ende ist.
"Typisch München" heißt die Dauerausstellung im Münchner Stadtmuseum – auch die Morde des NSU sind nun Teil von "Typisch München". Auf den ersten Blick mag das befremden. Natalie Bayer, Kuratorin des neuen Moduls, erläutert diesen Kontext.
Natalie Bayer: "Also die Ausstellung 'Typisch München', da geht's eigentlich in der Hauptfragestellung darum zu sagen: Dass die Geschichtserzählung immer auch eine konstruierte ist, dass sich dahinter immer auch ziemlich viele Mythen und viele Bilder verbergen, die, wenn man genauer hinschaut, eigentlich etwas anderes erzählen."

Der Mythos der sich bekriegenden Migranten

Der Mythos hinter den NSU-Morden, er war lange Zeit einer von sich bekriegenden Mafia-Clans im migrantischen Milieu. Auch in München tappten viele Ermittler und Lokalmedien jahrelang im Dunkeln ihrer rassistischen Grundannahmen. Dass Neonazis die Morde begangen hatten, das kam erst heraus, als sich die Terroristen selbst töteten und dabei Beweismaterial zum Vorschein kam.
Bis dahin hatte die Polizei im Fall des ermordeten Münchner Kleinunternehmers Theodorous Boulgarides Hunderte Personen aus seinem Umfeld befragt. Bis in die Heimat seiner Eltern Nordgriechenland reichten die Ermittlungen. Was das für die Familie bedeutete, kann man sich im Ausstellungsmodul der NSU-Opfer mit Kopfhörern anhören.
Die Dramatikerin Christine Kumpfenbach hat mit ihnen gesprochen und das ganze zu einem Theaterstück verarbeitet: Die Familie Boulgarides berichtet darin, wie sie zunehmend von Freunden und Verwandten gemieden wurde. Ein Bruder wanderte zeitweilig nach Griechenland aus. Die Polizei machte mit ihrer irrenden Ermittlungsarbeit eine Familie, die gut in die Münchner Stadtgesellschaft integriert war, zu den Ausländern, die sie schon jahrzehntelang nicht mehr waren.
Möglicherweise steht dafür die Lyra, das traditionelle griechische Instrument, das sich Theodorous Boulgarides von einem Cousin aus Griechenland mitbringen ließ. Jetzt ist sie Teil der Ausstellung.

Projektionen der Mehrheitsgesellschaft

Daneben das gerahmte Bild eines attraktiven jungen Mannes mit Schnauzbart im karierten Anzug nebst Modell eines CLK-Mercedes-Coupés. Auch des türkischen Gemüsehändlers Habil Kilic wird hier gedacht: Das Automodell aus seinem Nachlass mag für migrantische Träume von Reichtum stehen. Genauso wie es für die Projektionen der Mehrheitsgesellschaft steht, die türkische Gastarbeiter ja auch mit Mercedes verbinden.
Es mag eine wichtige Geste sein, das Kapitel der NSU-Opfer als das eines historischen Fehlers in der Stadtgeschichte zu dokumentieren. Doch in den Kontext einer Auseinandersetzung mit Stadt-Klischees passen diese sehr authentischen persönlichen Gegenstände nicht.
Die Ausstellungsmacher von "Typisch München" wären besser beraten gewesen, Boulevard-Titelseiten über die damals noch "Döner-Morde" genannten Ereignisse auszustellen, oder auch Verhörprotokolle der Polizei von Verdächtigen aus dem migrantischen Umfeld der Opfer: Dokumente, die belegen würden, wie sehr eine ganze Stadt auf dem rechten Auge blind war.
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