Ausstellung in der Kunsthalle Schirn

Der Farbholzschnitt in Wien um 1900

Die Kunsthalle Schirn
Die Kunsthalle Schirn © picture alliance / dpa / Marc Tirl
Von Rudolf Schmitz · 05.07.2016
Um 1900 brachte der Farbholzschnitt neue Impulse in die Kunst und öffnete diese mit erschwinglichen Preisen einem breiteren Publikum. Eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn beleuchtet dieses bislang vernachlässigte Phänomen der Wiener Moderne.
Die Ausstellungsarchitektur ist spektakulär. Als sei man eingetaucht in das Kabinett des Dr. Caligari: Hohe schwarze und schräg gestellte Holzpanelen erzeugen ein Labyrinth mit vielen Durchblicken und Sichtachsen. Die von Spots beleuchteten Holzschnitte sitzen auf den schwarzen Flächen wie unzählige bunte Fenster.
"Labyrinth klingt jetzt vielleicht zu negativ, aber man hat die Möglichkeit, sich das alles selbst zu erschließen, ohne dass man verloren geht. Und dann sieht man es wieder im Original. Und letztlich geht es um die Begegnung mit dem Original, die Ausstellungsgestaltung unterstreicht das ja. Die Schirn hat hier einen sehr großen Aufwand betrieben, der der Sache sehr entgegenkommt. Und das Großartige ist, dass es eine Wiederentdeckung ist, dass es eine solche Ausstellung auch in Wien bislang nicht gegeben hat".
Kurator Tobias Natter lässt die Ausstellung mit japanischen Farbholzschnitten aus der Sammlung von Gustav Klimt beginnen. Japan ist die große Anregung zur Wiederbelebung des Holzschnitts. Denn da sehen die jungen Modernen von Wien, dass sich Naturtreue, Flächigkeit und abstrakte Formensprache hervorragend verbinden lassen.

Vorbild und Ideengeber Japan

Der Sezessionskünstler Emil Orlik reist sogar nach Japan, um den Farbholzschnitt an Ort und Stelle zu studieren. Seine Darstellung eines weißgefleckten Pfaus, der nach Kirschen pickt, ist eine direkte Hommage an einen japanischen Holzschnitt von 1820. Motive aus dem Tierreich sind äußerst beliebt.
Es wimmelt in dieser Ausstellung von Tigern, Panthern, Affen, Papageien, Flamingos, Marabus. Und von Frauendarstellungen, oft Selbstporträts der beteiligten Künstlerinnen. Sie sind an der Wiener Kunstgewerbeschule ausgebildet, die im Gegensatz zur Kunstakademie auch junge Damen akzeptierte und förderte. Der Farbholzschnitt ist auch insofern ein Stück Emanzipation.
"Und zur Hälfte sind’s Frauen, Künstlerinnen, die hier in der Ausstellung mit großartigen Leistungen vertreten sind, mit unglaublich frischen, wagemutigen und innovativen Gestaltungen. Wo man sieht, wie sehr diese Künstler und Künstlerinnen auf der Suche sind nach neuen Gestaltungselementen und Grundmotiven für die Wiedergabe einer neuen Welt".
Eine Künstlerin wie Fanny Zakucka stellt Frauen in der Straßenbahn dar oder das Gewimmel auf den Bahnhofsgleisen.
"Ausschließlich aus Schwarz und Weiß eine sehr bewegte Bahnhofsszene. Das ist überraschend, denn Bahnhof, das sind moderne Themen, Ausdruck der unmittelbaren Gegenwart, während eigentlich um 1900 die große Kunst noch Seelenlandschaft, symbolistische Traumgebilde versucht darzustellen. Aber dieser Blick auf den Alltag des Lebens, arbeitende Menschen, la vie moderne wie es in der französischen Kunstästhetik heißt, da ist sie auch wieder vorn dabei."

Augenöffner für einen sachlichen Blick auf die Welt

Künstlerzeitschriften und Jahresmappen mit Originalgrafiken, wie sie die "Gesellschaft für vervielfältigende Kunst" herausgab, machten den Farbholzschnitt nicht nur populär, sondern brachten ihn auch zum erschwinglichen Preis unter die Leute. Die Gemälde von Klimt, Kokoschka und Schiele waren nur einer wohlhabenden Elite zugänglich, der Holzschnitt aber brachte die Moderne unters Volk.
Auch die deutschen Expressionisten, die dann wenige Jahre später im Holzschnitt brillierten, hatten das künstlerische Potenzial dieser Technik durch die Wiener Kunstzeitschrift "Ver sacrum", also "Heiliger Frühling" entdeckt. Das Stadtleben, der Alltag, Straßenszenen, Akte, die wie so farbig und flächig wirken wie erst später in der Pop Art - der Farbholzschnitt öffnet die Augen für eine sachliche Sicht der Welt. Und die stellt sich auch aufgrund der Produktionsweise dieser Druckgrafik kantiger und derber dar als die sonstige Wiener Moderne.
"Wir kennen die Wiener Kunst und schätzen sie für ihre Schönlinigkeit, für ihre Eleganz, Ornament, Dekor. Das Schweben und Fließen eines Gustav Klimt. Und da kommt jetzt der Farbholzschnitt, der Widerstand des Materials, das geht schon ein bisschen Richtung Expressionismus und Abstraktion. Und da wird es als etwas entdeckt, wo eine andere Seite der Wiener Moderne zum Tragen kommt".
Und das erklärt dann auch die expressionistische Ausstellungskulisse, vor der diese 240 Werke von mehr als 40 Künstlern gezeigt werden: Der Wiener Farbholzschnitt öffnet die Augen für die Zukunft.
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