Ausstellung in der Bremer Kunsthalle

Ikonen entfalten sich im Raum

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Drei Schwarzweiß-Kopien eines Andy Warhol-Drucks von Marilyn Monroe auf gelbem Papier.
Marylin Monroe war schon zu Lebzeiten eine Ikone. Andy Warhol setzte ihr mit seinen Drucken ein Denkmal. Auch Elaine Sturtevant widmete sich der Aura dieser Schauspielerin. Von ihr stammt dieses Kunstwerk. © Estate Sturtevant, Paris, Foto: Charles Duprat
Von Anette Schneider · 18.10.2019
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Die Bremer Kunsthalle spannt einen weiten Bogen von einer altrussischen Ikone bis zu Andy Warhols "Marylin". Dabei stellt sie in jedem ihrer 60 Räume jeweils nur ein Werk aus – passend zum Thema der Ausstellung: „Ikonen. Was wir Menschen anbeten."
"Heutzutage ist natürlich fast alles eine Ikone. Der Begriff wird inflationär benutzt, es ist ein Ersatz-Superlativ", sagt Kunsthallenleiter Christoph Grunenberg, der schon seit Jahren einmal eine Ausstellung über Ikonen machen wollte:

"Aber, es ist natürlich ein ganz wichtiger Effekt der Ausstellung, dass wir auf der einen Seite nach wirklichen Ikonen, Werken und Persönlichkeiten, die eine Dauerhaftigkeit haben, schauen, die sich wirklich in die Geschichte eingeschrieben haben - und uns auf der anderen Seite anschauen, was heute mit diesem Begriff passiert, dass sich heute jeder durch die sozialen Medien selber zur Ikone machen kann, dass gewisse Markenprodukte zu Ikonen werden."
So spannt die Ausstellung den Bogen von einer altrussischen Ikone zu Andy Warhols "Marilyn". Von "Künstlerikonen" wie van Gogh zu "Ikonen der Kunstgeschichte" wie dem schwarzem Quadrat von Kasimir Malewitsch und den meditativen Farbflächenbildern eines Mark Rothko.

Wie Produkte zu Anbetungsobjekten werden

Man trifft auf Janet Cardiffs 40 Lautsprecherstimmen, die eine alte Motette ergeben und Spiritualität hörbar machen, und vier kleine Bereiche beschäftigen sich mit Ikonen aus Pop, Politik und kapitalistischer Warenwelt. Die entlarvt Andreas Gursky auf einem über drei Meter breiten Panoramafoto, das nichts zeigt als das beleuchtete Regal eines Prada-Shops mit perfekt nebeneinander ausgerichteten Pullovern.
"Es ist interessant zu sehen, wie diese Pullover präsentiert werden: regelrecht sakral, von hinten beleuchtet. Durch diese sehr nüchterne Aufnahme legt er ganz wunderbar offen, wie das Produkt hier auch zu einem Anbetungsobjekt wird", sagt die Kuratorin Eva Fischer-Hausdorf.
Gleich vier Mal hängt an einer Wand die Mona Lisa und macht klar: Massenreproduktion, perfekte Vermarktung sowie eine zeitgemäße, ideologische Aufladung können Kunstwerke zur Ikone machen.
Ein Pissoir
Marcel Duchamp hat mit einem Pissoir Kunstgeschichte geschrieben.© Foto: Ben Blackwell, Association Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Nur wenige Schritte weiter und dramatisch ausgeleuchtet steht man vor einer anderen berühmten Ikone der Kunstgeschichte: dem Pissoir von Marcel Duchamp, mit dem er 1919 ironisch den gängigen Kunstbegriff in Frage stellte.

Nur ein Kunstwerk pro Raum

Eigentlicher Star der Ausstellung ist jedoch die ungewöhnliche Inszenierung: Für das Projekt wurde die gesamte Kunsthalle leer geräumt, inklusive der ständigen Sammlung und, so Eva Fischer-Hausdorf:
"Dazu kommt eine ganz entschiedene kuratorische Setzung, nämlich dass wir gesagt haben: Wir wollen pro Raum nur ein Kunstwerk präsentieren, sie bekommen hier einen ganz wunderbaren Raum, können sich ganz anders entfalten. Es ist sehr interessant zu sehen, wie die Architektur sich auch verändert, sich plötzlich ganz anders zeigt."

Beim Gang durch die 60 meist in warmen Tizian-Farben gestrichenen und mit Sitzmöglichkeiten ausgestatteten Räume begreift man plötzlich, wie brutal die herkömmliche Präsentationsform ist, die Bilder eng nebeneinander aufreiht, in Konkurrenz zueinander setzt, ihnen keinen Raum lässt.

Als würde man die Werke zum ersten Mal sehen

Jetzt trifft man zum Beispiel in einem Kabinett auf nichts als eine frühe Kreuzigung von Francis Bacon, die eine derartige Wucht entfaltet, als würde man seine gequälten, verzerrten Kreaturen zum ersten Mal sehen.
Weil nichts den Blick gleich weiter treibt, hat man plötzlich Ruhe, sich auf jede Arbeit einzulassen - und auf die Architektur. Eine schmale, aufstrebende Bronzeskulptur von Constantin Brancusi etwa steht ganz allein in einem hohen Saal und lenkt den Blick nach oben - zu einer Decke mit Oberlicht.
Auch an aktuellen ironischen Kommentaren fehlt es nicht: So offeriert Christoph Grunenberg einen über drei Meter hohen und drei Meter 60 langen, wie aus Luftballons geformten hochglanzpolierten Edelstahlpudel von Jeff Koons:
"Der sich natürlich selber auch als eine Art von außergewöhnlichem Künstler und Celebrity stilisiert, der aber auch immer mit den Waren, den Produkten, den Mechanismen des Marktes gearbeitet hat, der es wie kaum ein anderer verstanden hat, Objekte auf einen Sockel zu heben, sie begehrenswert zu machen."

Kritischer Blick auf Ikonen als Ideologieträger fehlt

Schade nur, dass bei diesem ungewöhnlichen, wunderbar entschleunigenden Projekt der kritische Blick auf die Funktion unserer aktuellen Alltagsikonen fast völlig fehlt. Da reihen sich am Ende der Ausstellung lediglich einige Bilder von YouTube-Stars, Politikern, ikonischen Ereignissen wie 9/11 und Hörstationen mit bekannten Werbe-Jingles aneinander. Doch nichts dazu, dass Ikonen gemacht werden und Ideologieträger sind.
So wie einst das religiöse Andachtsbild Heil im Jenseits versprach, versprechen dies heute Unternehmen und Werbeindustrie mit zu Ikonen stilisierten Konsumwaren wie Smartphones, SUVs oder Eigenheim im Diesseits.
Und wie einst die alten sollen auch die modernen, als "anbetungswürdig" inszenierten Dinge von gesellschaftlichen Missständen ablenken, uns still und das kapitalistische System am Laufen halten.
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