Ausstellung "Gehorsam"

Das grausame Opfer des Abraham

Der britische Regisseur Peter Greenaway und seine Frau, die niederländische Regisseurin Saskia Boddeke, stehen am 21.05.2015 in Berlin im Jüdischen Museum im Engelsraum der Ausstellung «Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen»
Der britische Regisseur Peter Greenaway und die niederländische Regisseurin Saskia Boddeke im Jüdischen Museum im Engelsraum der Ausstellung "Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen" © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Carsten Dippel · 05.06.2015
In der Bibel fordert Gott von Abraham, dessen einzigen Sohn als Beweis für seinen Gehorsam zu opfern. Der Künstler Peter Greenaway und seine Frau haben die Geschichte im Jüdischen Museum Berlin in eine spektakuläre Rauminstallation übersetzt.
Es ist eine düstere, ja verstörende Szenerie, die sich im ersten Buch Moses auf dem Berg Morija abspielt. Gott fordert von Abraham Ungeheuerliches: Er soll Isaak, den einzigen Sohn als Beweis für seinen unbedingten Gehorsam opfern. Abraham gehorcht tatsächlich, doch in letzter Sekunde hält ihn ein Engel zurück. An die Stelle des Menschenopfers tritt ein Widder. Gott verspricht Abraham daraufhin seinen Segen und eine große Nachkommenschaft.
"Im Kern dieser Geschichte geht es um die fürchterliche Idee, dass ein Mann seinen Sohn opfern, seinen eigenen Sohn töten soll."
Peter Greenaway ist bekannt für die visuelle Opulenz, mit der er sich in seinen Filmen und Kunst existenziellen Stoffen zuwendet. Für das Jüdische Museum Berlin hat der exzentrische Regisseur nun gemeinsam mit seiner Frau, der Multimediakünstlerin Saskia Boddeke, die mythische Geschichte um Abraham, Isaak und Ismael in eine bildgewaltige, kraftvolle, ja spektakuläre Rauminstallation übersetzt.
"Wir haben versucht, eine Ausstellung zu kreieren, die ein Gefühl gibt für Manipulation, Interpretation, Subjektivität. Es ist nicht nur eine Ausstellung mit Artefakten, sondern der Atmosphären, der Gerüche, Choreografie, Musik. So eine Art Gesamtkunstwerk."
Ein zutiefst menschliches Drama
Den Akt der Opferbereitschaft des biblischen Stammvaters Abrahams versteht das Künstlerpaar als ein zutiefst menschliches Drama. Ihre Begegnung mit dem mythischen Urstoff ist zugleich auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung.
"Wir wollen diese Geschichte in der Ausstellung erzählen, aber auch fragen, wie relevant sie heute ist. Man schlägt die Zeitung auf und sieht die Fortführung dieses Phänomens: Es ist der alte Mann, der den jungen in den Krieg schickt. Was ist unsere Verantwortung als Eltern? Wir wissen von diesen schrecklichen Dingen, von den Gehorsamsakten, Opfer in den Krieg zu schicken. Das passiert an den Hotspots dieser Welt. Die Frage ist also, was diese 3000 Jahre alte Geschichte für uns heute bedeutet."
Dabei verschiebt sich der Fokus bei Greenaway und Boddeke von Abraham auf Isaak, das Opfer.
"Unsere Ausstellung handelt in erster Linie von Isaak, dem Kind, das geopfert werden soll. Wir sehen ihn als das Kind, das beschützt werden muss und ein Recht darauf hat, in einer Welt ohne Kriege zu leben. Es ist eine sehr alte Geschichte. Aber ich denke, es ist absolut auch eine Geschichte von heute. Man kann am Ende Bilder von Kindern sehen, die jeden Tag auf der Welt geopfert werden. Also, es geht wirklich ums Heute, dass wir nicht unsere Unschuldigen beschützen."
Anspielungsreich haben Greenaway und Boddeke diesen alten Mythos und die in dem schmalen Ursprungstext liegenden Geschichten visualisiert. In Zusammenarbeit mit anderen Künstlern sind so symbolhafte, teils verstörende Installationen entstanden, die den Mythos, musikalisch und filmisch begleitet, auf geradezu sinnliche Art erfahrbar machen. Sie lenken den Blick auf einzelne Legenden und Rituale, die sich um die biblische Erzählung knüpfen. Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums:
"Wir haben diese Ausstellung an Künstler delegiert, die was ganz eigenes draus gemacht haben, die sich nicht haben beeinflussen lassen durch Theologie oder historische Forschung, sondern die einen sehr emotionalen Zugang zu diesem Thema realisieren, der im Hier und Jetzt spielt. Und der die Bilder aus dem biblischen Material verwendet, aber popartig verdichtet und mit einer Botschaft verbindet, die gar nichts mehr zu tun hat mit der biblischen Geschichte."
Judentum, Christentum und Islam beziehen sich auf den Mythos
Der grausame Akt der letztlich nicht vollzogenen Opferung Isaaks hat Judentum, Christentum und Islam gleichermaßen intensiv beschäftigt. Alle drei Religionen beziehen sich auf diesen biblischen Ursprungsmythos. Und doch deuten sie die Geschichte auf ganz unterschiedliche Weise: Das Judentum spricht von der Akeda, der Bindung Isaaks. Noch heute erklingt an Rosch Ha-Schana, dem Neujahrsfest, das Schofar, ein Widderhorn, in Erinnerung an die Szene um Abraham und Isaak. Die Akeda ist eng verbunden mit dem Berg Morija, dem Tempelberg, der einzigen Opferstätte des Judentums, an dessen Stelle später der Wortgottesdienst der Synagoge trat. Gleichzeitig bildet das Opferthema um die Akeda in der jüdischen Geschichte einen wichtigen Bezugspunkt beim Blick auf die Verfolgung und Ermordung von Juden.
Das Christentum hingegen sieht den Akt der Opferung Isaaks als Vorwegnahme des späteren Opfertodes Jesu. Während der Islam seine ganz eigene Erzählung um die Flucht der Magd Hagar mit ihrem Sohn Ismael formt. Es ist eine deutungsintensive Geschichte, die letztlich voller Widersprüche steckt und nicht leicht zu verstehen ist, sagt Cilly Kugelmann:
"Das ist ja ein literarisches Material, was Jahrhunderte später christlich interpretiert wird und dann rund 600 Jahre später noch einmal neu interpretiert und nicht imitiert wird, sondern eingewebt wird in eine gänzlich neue Sichtart, sodass der Ursprung gleich ist, aber die Deutung ist eine völlig andere und das ist immer das Faszinierende an komparativen Zugängen."
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