Ausstellung "Die Neue Heimat" in München

Plattenbau-Viertel im West-Style

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Die Siedlung Kranichstein in Darmstadt. Die Neue Heimat Südwest-Wohnanlage stammt von den Architekten Ernst May und Günther Grzimek.
Die Siedlung Kranichstein in Darmstadt im Jahre 1968. Die Neue Heimat Südwest-Wohnanlage stammt von den Architekten Ernst May und Günther Grzimek. © Pinakothek der Moderne / © Hamburgisches Architekturarchiv
Von Tobias Krone · 27.02.2019
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"Wohnen für alle" – diese Utopie setzte der Wohnungsbaukonzern "Neue Heimat" in Beton um. Entstanden sind Trabantenstädte von Bremen Neue Vahr bis München-Neuperlach. Eine Ausstellung zeigt die heutige Bedeutung angesichts der Wohnungsknappheit.
Weiße Wohntürme in einem Park aus Kiefern. An Frühlingsvormittagen wie diesen ist die Utopie von München-Hasenbergl immer noch präsent.
"Das Prinzip dieser Grünfläche in der Mitte ist, dass auch Kinder diese alleine durchqueren können. Dass man nicht Angst haben muss, das Kind geht jetzt über eine riesige befahrene Straße, sondern hier auf der Grünfläche sind auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Kirchen", sagt die Architekturstudentin Anna List.
Sie hat sich mit dem Hasenbergl intensiv auseinandergesetzt - mit den stadtplanerischen Eigenheiten der Großbausiedlung, die man im äußersten Norden Münchens auf die grüne Wiese setzte. Und auch mit den Berichten der ersten Bewohner:
"Man hat schon irgendwie diese Euphorie gespürt. Ich kann mir das auch wirklich vorstellen, dass auf einmal - ich glaube 5600 Wohnungen geschaffen wurden. Große Wohnungen, nicht 1-Zimmer-Appartments, sondern teilweise 4- bis 5-Zimmerwohnungen."

Fast eine halbe Million Wohnungen in 30 Jahren

Sowohl an Euphorie als auch an 4- bis 5-Zimmer-Wohnungen mangelt es dem bundesdeutschen Wohnungsmarkt gegenwärtig. Da kommt die Ausstellung "Die Neue Heimat - Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten" im Architekturmuseum der TU München gerade recht. Kuratiert hat sie Architekturhistorikerin Hilde Strobl:
"Die Neue Heimat ist ein Gewerkschaftsunternehmen, das 460.000 Wohnungen gebaut hat. Das heißt, die Trefferquote, dass man in den Fünfziger- bis Achtziger-Jahren in einer Neue-Heimat-Wohnung gewohnt hat, ist relativ hoch. Oder dass man in ein Schwimmbad ging, in eine Schule, einen Kindergarten, in ein Einkaufszentrum, das die Neue Heimat gebaut hat. Das heißt, die Neue Heimat hat alles gebaut."
Der Gigant plante republikweit komplette Trabantenstädte im Namen der Gemeinnützigkeit - von Bremen Neue Vahr bis München-Neuperlach. Die von der Neuen Heimat eingeladenen Star-Architekten prägten das etwas ausdruckslose Gesicht des typischen westdeutschen Plattenbaus. Wie Josef Lehmbrocks Stuttgarter Fasanenhof-Wohntürme.
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Szene auf einem Sportplatz mit Jugendlichen in Kiel-Mettenhof 1974. Die Neue Heimat-Wohnhochhäuser stammen vom Architekten Hans Konwiarz.© Pinakothek der Moderne / © Hamburgisches Architekturarchiv
Strobl: "Und die werden hier in den Fotos wie absolut brutalistische Architektur dargestellt. Es sind Fotos aus dem Nachlass des Architekten Lehmbrock, der sich selbst bewusst so in Szene setzte. Das heißt, es gab auch lange Zeit gerade seitens der Planerschaft so ein Selbstverständnis: Wir dürfen diese Städte am Reißbrett entwerfen. Es ist so der Schöpfergeist des Architekten. Bis dann irgendwann die Stimmung kippte."

Neue Heimat hat den Wandel der 68er verschlafen

Auf einmal war nicht mehr das Mastermind gefragt, sondern bürgerliche Mitbestimmung. Der kritische Urbanismus und seine Rückbesinnung auf die historischen Innenstädte begeisterte die jungen ArchitektInnen der 68er-Generation.
Von diesem mentalen Wandel, den die Neue Heimat zu spät erkannte, berichtet der einstige Stadtplaner Thomas Sievers in einem bemerkenswert selbstkritischen Interview, das in der Ausstellung zu sehen ist: Man habe damals keine Stadtviertel geplant, sondern "soziale Anstalten". Auch er sei damals als "geschichtsloser Positivist" an die Arbeit gegangen. Zumal auch die Dysfunktionalität bald zutage trat.
Strobl: "In den achtziger Jahren herrschte kein Wohnungsmangel mehr und wer zog dann in die Großsiedlungen? Es waren ganz viele Gastarbeiter, Spätaussiedler und so weiter. Und das beförderte natürlich ein Image von sozialen Problemen: Kriminalität unter Jugendlichen - da gibt es Berichte, die die Neue Heimat tatsächlich auch selbst verfasst hat, genau darüber."

Brutale Jugendgangs und fürsorgliche Nachbarn

Dass die Bewohner ihren eigenen Wohnort heute völlig unterschiedlich wahrnehmen, zeigt die fabelhafte Arbeit der Fotografinnen Ulrike Myrzyk und Manfred Jarisch, die zu ihren Porträts von Plattenbauten die Bewohner interviewten. Zu hören sind dort Geschichten von brutalen Jugendgangs ebenso wie von der Geborgenheit unter fürsorglichen Nachbarn. Die Planstadt haben sich die Menschen längst angeeignet.
Es ist das kleine Manko dieser offen interessierten und detailverliebten Ausstellung, dass sie die politischen Hintergründe für den rasanten Aufstieg der Neuen Heimat insgesamt im Dunkeln lässt - schließlich konnte das Gewerkschaftsunternehmen selbst im konservativen Bayern ganze Stadtränder mit Wohnscheiben zubetonieren.
Man wüsste das gerne, heute, da die Städte darin versagen, genügend Wohnraum zu schaffen. Heute, da Stadtplaner die Metropolen noch einmal nachverdichten wollen. Bräuchte man nicht auch heute Projekte von der Dimension einer Neuen Heimat? Kuratorin Hilde Strobl ist unschlüssig:
"Ich denke nicht, dass die Lösung ist, verschiedene kleine Investoren einen gemeinsamen Plan verfolgen zu lassen, sondern es müsste wenn dann tatsächlich wieder ein gemeinnütziges Unternehmen geben, das in dem Sinne handelt. Und nur dann eigentlich auch die Möglichkeit haben soll, in diesen Größendimensionen zu denken. Ansonsten lieber nicht."

"Die Neue Heimat (1950-1982)"
Ausstellung im Architekturmuseum München
28. Februar - 19. Mai

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