Ausstellung

Dick aufgetragen

Das Museum für zeitgenössische Kunst, das "MARTa" in Herford
Das "MARTa" zeigt Krauss' Werke kompakt, aber dennoch facettenreich. © picture alliance / dpa
Von Volkhard App · 30.08.2014
Der Künstler Clemens Krauss bringt wahre Farbgebirge auf die Leinwand, was seine Bilder sinnlich, fast sexuell wirken lässt, so dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Doch er malt nicht nur, bekannt ist er auch für seine Videoinstallationen. Und an den Wochenenden kann man den Künstler sogar persönlich in Herford kennen lernen - und mit ihm auch über die eigene Gesundheit sprechen.
Wer sich neben die Gemälde von Clemens Krauss stellt, sieht besonders gut, welche Farbgebirge von der Leinwand in den Raum hineinragen. Dieser extrem schlierenhafte Auftrag verleiht den dargestellten Körpern eine zusätzliche Dynamik. Stark abstrahierte Figuren sind es, stets mit schwarzem Haar, hellen Hemden und dunklen Hosen. Dazu anregen läßt sich Krauss von Fotos, auch von Nachrichtenbildern über Krisen und Konflikte. Die konkreten sozialen Zusammenhänge, in denen diese Personen gestanden haben, sind auf den Gemälden allerdings ausgelöscht - und doch teilt sich von der ursprünglichen Unruhe einiges mit. In diesen dick aufgetragenen Figurenbildern steckt überhaupt Vieles drin.
Clemens Krauss: "Das kann die Gewalt sein, die mitunter übermächtige, alltägliche, unaushaltbare Gewalt. Es ist gleichzeitig auch etwas Sexuelles. Oder etwas Tänzerisches oder etwas, was nicht definierbar ist. Diese Ambivalenz steckt da drin."
Die geschickte Raumaufteilung in der oberen Museumsetage verstärkt die Wirkung dieser suggestiven Gemälde, denn in den Kabinetten ist eine unmittelbare Konfrontation mit den Bildern unausweichlich.
In der Künstler-Biographie stecken unterschiedliche Lebensentwürfe
Direktor Roland Nachtigäller: "Ich finde persönlich die Sinnlichkeit so herausragend. Man möchte, wenn man davorsteht, diese Malerei gerne anfassen. Und dann ist da diese Ambivalenz, dass man näher tritt und eigentlich nur noch Malerei und nicht mehr Motive sieht und trotzdem eine Gewalttätigkeit spürt, weil sich einem dieses Zerfließen und Aufplatzen von Formen, dieses Reinreiben von Rot-Striemen in relativ neutrale Farbzonen immer auch körperlich mitteilt. Ich bin jedes Mal, wenn ich diesen Bildern begegne, von ihnen persönlich berührt. Ich habe das Gefühl: die lassen einen nicht raus, man ist immer sofort Partner und Gegenüber von diesen Bildern und kann sie nicht einfach unterkühlt zur Kenntnis nehmen."
Der 1981 in Graz geborene Clemens Krauss ist Doktor der Medizin, hat in einer Klinik gearbeitet, dann ein Kunststudium absolviert, parallel aber auch noch eine Ausbildung zum Psychotherapeuten. In dieser Biographie stecken unterschiedliche Lebensentwürfe, die sich aber doch berühren. Denn dem Künstler Krauss ist ein diagnostizierender Blick zueigen:
"Medizin ist für mich ein sehr probates Welterklärungsmodell gewesen. Es gibt kaum einen besseren Zugang zu vielen Vorgängen als die Pathologie und Physiologie des menschlichen Körpers."
Von körperlicher Erfahrung erzählt auch eine Installation, in der sakrale und banale Objekte überraschenderweise aufeinandertreffen: gebrauchte Turnschuhe in ganzen Stapeln und barocke Christus-Skulpturen aus der Sammlung von Krauss.
"Als würde man eine Uhr zerlegen, um die Zeit zu finden"
Zu den Höhepunkten seines vielseitigen Œuvre zählen sicherlich die Videos. In einem Werk ist Krauss auf sehr originelle Weise in seine Kindheit abgetaucht. In die Fußböden seines Elternhauses hat er ein Loch gebohrt und mit einer herabgelassenen Kamera die einst vertrauten Räume erkundet:
"Es ist tatsächlich eine Endoskop-Kamera, die 15 Meter lang vom Keller bis zum Dachboden ging. Es ist sicher absurd, ein Gebäude wie einen Körper zu behandeln und da etwas finden zu wollen. Das ist, als würde man eine Uhr zerlegen, um die Zeit zu finden. Diese Suche bleibt immer auch hilflos."
Und ist doch eine Art "Tiefbohrung". Es sind gerade die Videos, in denen sich die Zeiterfahrung und das politische Interesse des Künstlers zeigen. So wird uns eine alte, still vor sich hin essende Frau mit einer abschließenden Texttafel als Vorkosterin von Adolf Hitlers Speisen vorgestellt - jeder Bissen zwischen 1942 und 44 hätte ihr den Tod bringen können.
Und in einem abschließenden Video erzählt ein jüdischer Mann, der seinerzeit mit der Familie ins Exil nach Jerusalem ging, von seinen Erfahrungen, aber auch von der Berechtigung, heutzutage Kritik zu üben an der israelischen Politik. Während eine separat interviewte Sängerin, die aus Israel nach Deutschland übergesiedelt ist, ihre Ansichten zum Verhältnis der beiden Staaten beisteuert und zu den Möglichkeiten, die sich hierzulande bieten.
Eine facettenreiche und doch kompakte Ausstellung
"Ich war anfangs für drei Monate in Tel Aviv zu einem Studienaufenthalt. Und ich lebe in Berlin, das in den vergangenen Jahren zum beliebtesten Emigrationsziel von jungen Israelis wurde, weltweit Platz 1. Ich habe auch sehr viele Freunde, die aus Israel kommen. Im Zusammenhang mit der deutsch- jüdischen und deutsch-israelischen Geschichte war es sehr interessant und relevant, welche Bruchlinien es da geben kann - wenn man die Historie und auch die Gegenwart betrachtett: mit der hochproblematischen Situation im Nahen Osten und in Israel, wo viele junge Menschen nicht mehr leben wollen, weil ihnen ein Leben in Deutschland besser erscheint."
Noch eine Besonderheit hat diese facettenreiche und doch kompakt wirkende Ausstellung zu bieten. Die beliebte Formel "Der Künstler ist anwesend" gilt hier nicht nur für die Eröffnung - man darf sich an den Wochenenden darüber hinaus zu einer individuellen Sprechstunde bei Clemens Krauss anmelden. In einem spartanisch eingerichteten Museums-Zimmer kann ihm der Besucher Fragen zur Kunst stellen, ihm aber auch gesundheitliche Probleme anvertrauen. Das ist wohl einmalig!
Vielleicht gibt ja der Titel dieser Schau noch zu einer Frage Anlass. "Es ist Zeit" heißt sie bedeutungsvoll – wofür ist es Zeit?
"Sich und das Umfeld besser zu verstehen."