Ausstellung #cute in Düsseldorf

Die Überdosis Niedlichkeit

05:50 Minuten
Einem Hund wird der Kopf geföhnt.
Schönheit und Niedlichkeit haben ihren Preis. Auch für Tiere. © imago images/Panthermedia/Nomad Soul
Von Berit Hempel · 08.10.2020
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Je niedlicher ein Wesen ist, desto mehr spricht es uns an. Die Ausstellung #cute in Düsseldorf zeigt nun, wie schmal der Grat ist zwischen Tierliebe und Tierquälerei.
In rosafarbenem Tüllkleid, inmitten von Kuscheltieren und vor bonbonfarbener Torte wartet die Sängerin Melanie Martinez in dem Musikvideo Pitty Party auf Geburtstagsgäste. Die Popkultur – so zeigt es die Düsseldorfer Ausstellung – steckt voller Cuteness.
"Cute benutzen wir als Überbegriff für ganz viele verschiedene Erscheinung von süß, niedlich, putzig, goldig bis über Kawai. Kawai ist die japanische Spielart, also ´Hello Kitty` wäre ein ganz populäres Beispiel, an dem man auch zeigen kann, dass eben diese Ästhetik das eben die Ästhetik des Cuten auch zum Beispiel ordnungs- und regulatorische Formen annehmen kann. Also, was weiß ich, in Japan gibt es eben zum Beispiel Absperrungen mit ´Hello Kitty` drauf", erklärt Kuratorin Birgit Richard.


Süß sind sie, die kleinen Roboter im Affenflausch-Kostüm, der dicke Hamster, der auf einem Foto durchs Feld läuft und die niedlichen Katzenpfoten von unten fotografiert. Gerade in Zeiten von Corona habe Cute Konjunktur.
"Wir wollen uns trösten lassen. Wir wollen ganz viele Katzenvideos, Gruppen oder Hundevideos. Es ist eigentlich die Zeit, jetzt um das Cute zu feiern. Aber eben auch als subversives Element. Das haben wir auch in dieser Ausstellung versucht, indem man eben auch die Schattenseiten betont."

Gequälte Tiere

Zum Beispiel, dass Cuteness uns verleitet, übergriffig zu werden, Macht auszuüben, indem wir Babys in die speckige Wange kneifen, Hunden süße Schleifen umbinden. Oder – in dem Animationsfilm der 25-jährigen Brenda Lien wird das besonders deutlich – Tiere quälen.
Niedliche Katzen bewegen sich im Stil von Malen nach Zahlen durch einen undefinierten schwarzen Raum, bis sie schließlich ersäuft, gequetscht, gehäutet werden. Im kindlichen Stil gezeichnet zeigt der Film grauenhafte Bilder.
Es sind diese künstlerischen Arbeiten zu den Themen Gegensatz und Transformation, die diese Ausstellung im NRW-Forum so spannend machen: Eine verstörende Fotoarbeit von An-Sofie Jestelyn, mit einem Mädchen, das ein rosa Gewehr in einem rosa Futteral trägt.
Von Miguel Delie aufgetürmte Plastikspielsachen wie kleine Einhörner, bunte Hawaiiketten, Hörnchen mit blauem Eis, die in ihrer Masse erschlagen.

Wenn Cuteness umschlägt ins Grauenhafte

Es braucht nur kleine Veränderungen, damit Cuteness umschlägt ins Grauenhafte: spitze statt runde Zähne, gelbe statt blaue Augen oder offene Gedärme statt eines kleinen Hundekörpers. Birgit Richard zeigt auf das großformatige Porträt zweier Männer mit nacktem Oberkörper, metallenen Hörnern, schwarzen Hasenohren.
"Hier, in diesem speziellen Fall, haben wir eben die Transformation zwischen Mensch und Tier, also in weiteren Bereichen würde ich das Manimal nennen. Das ist ein Bereich aus den Computerspielen, wo einfach über Fehler plötzlich Mischgestalten, Schimären entstehen aus Menschen und Tieren. Und hier diese beiden Herren sind ja offensichtlich nicht niedlich oder weniger niedlich als doch vielleicht verstörend, bedrohlich."
Soziale Medien steigern die Verbreitung von Cuteness. Menschen lassen in Filmen ihren Papagei für sich sprechen, inszenieren sich für Fotos als Panda, drücken sich durch lustige Bildchen im Netz aus, mit Schrift als Memes und als Bewegtbild in Gifs. Die Künstler und Künstlerinnen in der Ausstellung spielen in Bildern, Filmen und Skulpturen mit diesen Elementen, machen den gejagten Hasen zum Jäger mit Gewehr, verwandeln Hieronmys Boschs Garten der Lüste in die Gegenwart, in eine digitale Welt aus rosa Herzen, Teufelsemojis und Wundertüten.
Cute ist nicht immer süß und niedlich. Cute ist vielschichtig, abgründig und manchmal selbstzerstörerisch. Die am Ende ihres Musikvideos gar nicht mehr niedliche Sängerin Melanie Martinez, die in ihrer Puppenstube vergeblich auf ihre Geburtsgäste gewartet hat, setzt ihre bonbonfarbene Insel der Glückseligkeit schließlich in Brand und raucht dabei – etwas angestrengt – die Zigarette danach.
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