Ausstellung "Art Deco by the Sea"

Die goldene Ära der englischen Seebäder

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Illustration des Midland Hotels mit Strandansicht.
Begehrte Freizeitgestaltung: Seebäder galten mit ihrer eleganten Architektur als besonderes Ausflugsziel. © RIBA Collections
Von Friedbert Meurer · 09.02.2020
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Brighton, Eastbourne, Worthing - einst waren Englands Seebäder mondäne Orte. Heute kämpfen sie mit Niedergang und Tristesse. Einen Eindruck vom alten Glanz der 1920er-Jahre vermittelt jetzt die Ausstellung "Art Deco by the Sea" in Norwich.
Eine Frau im bunten Badeanzug und mit schwarzer Kappe sitzt auf einem Sprungbrett. Unter ihr öffnet sich ein großes Schwimmbad mit vielen Badegästen, das Bad liegt direkt vor der Kulisse von Strand und Meer. Dieses farbenprächtige Gemälde diente 1923 den britischen Eisenbahngesellschaften als Werbeposter, um die Gäste auf die Schiene und nach Brighton zu locken. Nicht nur die Frau im Badeanzug, eine ganze Gesellschaft war nach dem Ersten Weltkrieg bereit zum Sprung in die Moderne.
"Art déco wurde in den 20er-Jahren sehr schnell populär", sagt Ghislaine Wood, Kuratorin der Ausstellung "Art Deco by the Sea" im "Sainsbury Center for Visual Arts" in Norwich. "Die Stilrichtung ist eine Kunstform des konservativen Modernismus mit traditionellen Elementen. Für viele Städte und Gemeinden war das eher akzeptabel als ein rigider Modernismus wie zum Beispiel das Bauhaus. Art déco passte gut zu den neuen Angeboten an Freizeit und Unterhaltung."
London Midland & Scottish Railway poster (1923-47) entworfen von Septimus E. Scott.
Eleganz und Lebensfreude strahlten die englischen Seebäder aus.© National Railway Museum, Science Society Picture Library
Villen und Hotels wurden in geschwungenen Linien gebaut und mit Stuck verziert. Art déco spiegelte den Zeitgeist der 20er-Jahre wider. Der Stil war modern, demokratisch, offen und hedonistisch:
"Nach dem Krieg gab es einen Appetit auf moderne, progressive und demokratischere Ideen. Art déco passte dazu. Ein neues Publikum genoss seine Freiheiten. Immer mehr Leute konnten sich Freizeit leisten und dafür bezahlen. Sie kamen mit Bussen, Autos oder mit dem Zug in die englischen Seebäder. Das ganze Urlaubserlebnis sollte modern wirken."

In den 1970ern begann der Niedergang

Wenn man die Fotos und Gemälde sieht, wird man bei dem Gedanken etwas schwermütig, wie es heute um die englischen Seebäder bestellt ist. In den 70er-Jahren ging es mit ihnen bergab, als immer mehr Britinnen und Briten begannen, nach Spanien oder Frankreich in den Urlaub zu verreisen.
Viele der traditionsreichen englischen Seebäder verströmen heute einen leicht morbiden Charme. Aber die dekorative Architektur der Zwischenkriegszeit wirkt auch heute noch und macht die Seebäder weiter reizvoll.
In den 1920er- und 1930er-Jahren herrschte jedenfalls Aufbruchstimmung. Die Badeorte wetteiferten miteinander: Wer baut das schönste Strandschwimmbad, das schickste Hotel, eingerichtet mit Art-déco-Möbeln?
"Die Städte und Gemeinden investierten eine Menge. Sie bauten Schwimmbäder, Golfplätze und neue Hotels, um mit den anderen Seebädern mithalten zu können und um neue Gäste anzuziehen."
Strandliegen und Sonne bilden die Kulisse für den historischen Brighton Pier.
Statt der Reichen und Schönen kommen heute andere Touristen nach Brighton - wenn überhaupt.© imago images / Westend61
Die Ausstellung "Art Deco by the Sea" erzählt die Zeitspanne bis 1939, bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Bis dahin waren die englischen Seebäder internationale Treffpunkte, elegant und offen für Einflüsse aus anderen Ländern und Kulturen.

Globale Moderne als Bedrohung erlebt

Der Niedergang der Seebäder seit den 60er- und 70er-Jahren trug dann dazu bei, dass 2016 eine Mehrheit der Einwohner für den Brexit stimmte. Sie wollen "das Englische" bewahren, der Aufbruch in die globale Moderne wird heute eher als Bedrohung erlebt.
"In den 20er- und 30er-Jahren waren die Seebäder international ausgerichtet. Art déco steht für den Glanz Frankreichs und der Riviera. Art déco tauchte überall in europäischen Ferienorten auf. Es gab in England eine Offenheit für diesen europäischen Stil."
Die Bilder zeigen, wie sich die eleganten Badegäste abends schick für den Besuch in der Bar machten. Die Ausstellung erzählt vom einstigen Glanz vor dem traurigen Hintergrund des realen Abstiegs der einst so prächtigen englischen Seebäder.
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