Ausstellung "After the Fact"

Glauben, was man nicht sieht

Fotostill der Performance "A Room of One's Own: Women and Power in the New America (Ein eigenes Zimmer: Frauen und Macht im Neuen Amerika)" auf der Whitney Biennial 2008
Fotostill der Performance "A Room of One's Own: Women and Power in the New America (Ein eigenes Zimmer: Frauen und Macht im Neuen Amerika)" auf der Whitney Biennial 2008 © Photo Eduardo Aparicio. Courtesy der Künstlerin und Alexander Gray Associates / VG Bild-Kunst, Bonn, 2017
Von Moritz Gaudlitz · 29.05.2017
Das "Postfaktische" und "Fake News" gelten als Schlüsselbegriffe der Zeit – und können als Umschreibungen von Propaganda gelesen werden. Wie Künstler diese kritisch reflektieren, zeigt die Ausstellung "After The Fact. Propaganda im 21. Jahrhundert" im Münchner Lembachhaus.
Stephanie Weber: "Manche Künstler setzen sich ganz explizit mit dem Propagandabegriff auseinander, viele aber auch nicht. Damit der Begriff auch vielschichtig wird, haben wir nicht unbedingt nach Künstlern gesucht, die sagen, mein Thema ist Propaganda und viele Künstler beschäftigen sich nicht explizit mit dem Propagandabegriff, sondern das war dann auch eine kuratorische Interpretation zu sagen, hier geht es um Bedingungen, die Propaganda schaffen. Und dementsprechend ist auch in den Arbeiten oft der Propagandabegriff nicht konkret da, aber implizit."
Der Kuratorin der Ausstellung, Stephanie Weber, war es sehr wichtig, dass Künstler auf unterschiedlichste Art an den komplexen Propagandabegriff herangehen. Wie etwa Hans Peter Feldmann, dessen Arbeit gleich zu Beginn der Ausstellung auffällt, wenn man über die lange Rampe in den riesigen unterirdischen Ausstellungsraum des Kunstbaus kommt.

Titelseiten nach 9/11

"9-12/Frontpage" aus dem Jahr 2002 spielt auf den Tag nach dem 11. September an und zeigt 151 gerahmte Titelseiten internationaler Zeitungen und wie sie über die Anschläge berichtet haben. Hier fällt auf, dass sich viele Bilder wiederholen und dass das, was kommuniziert wird, immer davon abhängt, in welchem politischen oder medialen Kontext der Inhalt steht. Ein globales Ereignis wird durch die Interpretation unterschiedlicher Presseorgane zu vielen Einzel-Ereignissen.
"In der Kunst ändert sich mit 2001 so konkret nichts. Die Zäsur in der Kunst, die gibt es so klar nicht, sondern die hat mehr mit technologischen Entwicklungen zu tun und auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen natürlich . Und natürlich reagieren Künstler auf ihr soziales Umfeld, Kunst ist immer Teil der Gesellschaft und ich würde aber schon sagen, dass 2001, der 11. September für die Propagandaforschung und für den Propagandabegriff eine klare Zäsur ist."
Ausschnitt aus Standing Down "(Ferguson) (Rückzug [Ferguson]), 2016" von Sandow Birk; Acryl auf Leinwand, 76,2 × 121,92 cm
Ausschnitt aus Standing Down "(Ferguson) (Rückzug [Ferguson]), 2016" von Sandow Birk; Acryl auf Leinwand, 76,2 × 121,92 cm© Courtesy der Künstler und P.P.O.W. Gallery, New York
Die Ausstellung zeigt von klassischer Malerei über Drucke bis hin zur Videoinstallation sämtliche Formate zeitgenössischer Kunst. Auch die Themen sind vielseitig; Politik, Gesellschaft, Gewalt, feministische Bewegung und Kritik am Kunstmarkt.

Inszenierte Realitäten

Der lange Tunnel des Ausstellungsraumes wurde für die Schau geschickt umgebaut und in thematische Sektionen gegliedert. Große schwarze Stoffwände bilden Zwischenräume, so kann man nie genau sehen, wohin man geht und entdeckt sukzessiv die einzelnen Werke, wie etwa Filme von Harun Farocki oder Malereien von John Miller aus der Serie "Everything Is Said". Acrylbilder auf Leinwand, die Szenen aus früheren Reality TV Shows zeigen. Harmlose inszenierte Realitäten, die durch heutige Medien verstärkt werden.
In den Zwischenräumen erläutert die Ausstellung neue, beispielsweise durch das Internet aufkommende Formen der Propaganda.
"Und da wird in einer Sektion, die sich mit Internetkultur und Onlinekämpfen beschäftigt, beschrieben: Was sind Memes? Memes sind mehr oder weniger wie Politposter von heute, Bilder die im Netz zirkulieren, mit verschiedenen Slogans, in verschiedenen Kontexten, die mal links, mal rechts, mal vollkommen gleichgültig, mal heterosexuell, mal homosexuell, alle Ideologien sind vertreten, die genutzt werden, um auf humoristische Weise, aber auch oft rassistische Weise oder unterschiedlichste Art Inhalte zuzuspitzen."
Foto der Plastik "The Missing Souvenir (Das fehlende Souvenir), 2002" von Aura Rosenberg; gegossenes Plastik, Acrylfarbe, 24 × 8,5 × 8,5 cm
Foto der Plastik "The Missing Souvenir (Das fehlende Souvenir), 2002" von Aura Rosenberg; gegossenes Plastik, Acrylfarbe, 24 × 8,5 × 8,5 cm© Courtesy der Künstlerin und KW Institute for Contemporary Art, Berlin
Vor allem im Internet werden durch Memes oder in Posts in den sozialen Netzwerken Neuigkeiten und Meldungen verbreitet, bei denen man nicht mehr genau weiß, ob sie überhaupt noch der Wahrheit entsprechen. So behandelt die Ausstellung neben dem komplexen Propagandabegriff auch jüngere Begriffe wie "Fake News" oder "Postfaktisch".

Memes sind das neue Politposter

"Ich glaube, dass das Postfaktische und der Begriff Fake News, das sind eigentlich Umschreibungen für Propaganda. Propaganda ist ein unangenehmer Begriff, wie gesagt. Fake News, das hat einen unterhaltsamen Charakter fast, man verknüpft es jetzt mit Trump. In kürzester Zeit hat sich dieser Fake News Begriff, der eigentlich dafür stand, dass falsche Informationen über Algorithmen und falsche Websites und Verteilerwebsites verbreitet wird im Internet, ist dieser Ausspruch ja selber zu einem Propagandamittel geworden."
Eine der letzten Arbeiten der Ausstellung ist "May 1st, 2011" von Alfredo Jaar; vielleicht das Schlüsselwerk der Schau. Auf einem Bildschirm zeigt der chilenische Künstler das Motiv, das unmittelbar nach der Ermordung Osama Bin Ladens in den Medien zirkulierte. Barack Obama und seine Regierungsmitglieder sitzen im Panic Room des Weißen Hauses und folgen gespannt den Ereignissen. Der Betrachter sieht nicht das Ereignis an sich, sondern nur dessen Zuschauer. Man wird gebeten, das zu glauben, was man nicht sieht.
In einer Zeit, in der "post-faktische" Wahrheiten, Fake News und rechte Propaganda dazu beitragen, dass die Wahrheit stirbt, zeigt die Ausstellung "After the Fact" im Kunstbau sehr klug, dass Propaganda zwar böse sein kann, aber zugleich ein faszinierendes und wichtiges Medium für Künstler ist, die kritisch hinterfragen: Wo stehen meine Kunst und mein Werk im Verhältnis zu diesem komplexen Begriff?

"After the Fact - Propaganda im 21. Jahrhundert"
Ausstellung im Lenbachhaus Kunstbau München
30. Mai bis 17.September 2017

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