Ausstellung "A Fortnight of Tears" von Tracey Emin in London

Aufwühlend und brutal ehrlich

04:58 Minuten
Tracey Emin steht vor einem ihrer Fotos und lächelt.
"Ich wurde lange missverstanden": Tracey Emin eröffnet ihre Londoner Ausstellung "A Fortnight of Tears". © imago/Isabel Infantes/EMPICS Entertainment
Von Natalie Klinger · 06.02.2019
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Tracey Emins Arbeiten schockieren: Die britische Künstlerin verarbeitet darin ihre Traumata - Vergewaltigungen, Abtreibungen, den Tod ihrer Mutter. Jetzt eröffnet in London ihre neue Einzelausstellung - es ist die erste der Künstlerin nach #MeToo.
Dünne, blutrote Striche deuten den Körper einer Frau an. Nackte Brüste, ihr gesichtsloser Kopf abgewandt von einem dichten Fleck aus aggressiven Pinselbewegungen. Darüber etwas wie ein Arm, der sich gegen die zerbrechliche Gestalt am Boden richtet. Unten, mit Bleistift, der Titel des Gemäldes: "They pinned me down and he fucked me" ("Sie hielten mich fest und er fickte mich").
Brutale Ehrlichkeit ist schon immer Tracey Emins Markenzeichen. In ihrer Kunst verarbeitet sie, was ihr im Leben widerfährt:
"Als ich 13 war, wurde ich von meiner 14-jährigen Freundin und ihrem 19-jährigen Freund festgehalten, während mich sein Kumpel fickte", erzählt sie. "Sie fanden, ich sollte meine Jungfräulichkeit verlieren. Sie wussten nicht, dass ich vier Monate zuvor schon vergewaltigt wurde. Doppeltes Pech."

Aus ihren Werken spricht Schmerz

Die Fotografen empfangen Tracey Emin mit Blitzlichtgewitter. "A Fortnight in Tears" ist ihre erste Einzelausstellung in Großbritannien seit fünf Jahren. Die erste, seit die Debatte um sexuellen Missbrauch dank Bewegungen wie #MeToo und "Time's Up" im Mainstream angekommen ist.
"Das fällt mir nicht alles erst wegen 'Time’s Up' oder #MeToo ein", sagt die Künstlerin dazu. "In so vielen meiner Werke geht es um meine Vergewaltigung mit 13. Ich habe schon immer Kunst darüber gemacht. Lange wurde ich missverstanden. Ich wurde erniedrigt, meine Arbeit sei scheiße, sagten sie mir, weil niemand sich den Themen annehmen wollte: Vergewaltigung, Abtreibung, Mobbing, Selbstmord."
Aus ihren Worten spricht die Wut von jemandem, der jahrzehntelang alleine fertig werden musste mit dem Schmerz. Und Schmerz spricht aus allen Werken in dieser Ausstellung: etwa dem Gemälde einer geisterhaften Figur, die eine Box mit Asche trägt. "I was too young to be carrying your ashes", ich war zu jung, um deine Asche zu tragen.

Bilder aus dem Unterbewusstsein

Vor zwei Jahren starb Emins Mutter. Unvorstellbar, meint sie, bis man es selbst erlebt. Der Ort, aus dem man entstanden ist, existiert nicht mehr.
Ihr widmet sie auch eine Bronze-Statue, "The Mother", die nächstes Jahr in einer sieben Meter hohen Version vor dem Edvard Munch-Museum in Oslo aufgestellt wird. Eine schwangere Frau auf Knien, die etwas Unsichtbares in ihren Händen zu wiegen scheint. Sie steht auch für den Verlust, den Emin durch ihre Abtreibungen erlitten hat.
Ein weißer Raum, darin eine sehr große Skulptur, die mit groben Zügen eine menschliche Figur markiert, daneben etwa halb so groß die Künstlerin Tracey Emin.
Mit der Bronze-Skulptur "The Mother" verarbeitete Tracey Emin den Tod ihrer Mutter.© imago/Isabel Infantes/ EMPICS Entertainment
Eines ihrer Bilder heißt "The Abortion Waiting Room", das Abtreibungs-Wartezimmer: rechts eine Frau vor der Abtreibung, in groben blutroten Strichen mit Fötus im Unterleib. Links nachher: Sie verschwindet hinter Schichten weißer Farbe, vielleicht in der Hoffnung, sich reinwaschen zu können von Scham und Schuld.
"Aus meinem Unterbewusstsein kam etwas zum Vorschein, das ich nicht erwartet hatte. Ich habe mich danach so viel besser gefühlt. Man geht ja nicht zu einem Wahrsager, um etwas zu hören, das man längst weiß. Ich male nicht, um ein Bild zu malen, das ich schon einmal gemalt habe."
Tracey Emin ist mittlerweile 55 und findet, dass sie erst jetzt ihrem Ruf als autobiografische Künstlerin wirklich gerecht wird:
"Tausendmal mehr. Als ich jung war, ging es mir mehr darum, cool zu sein. Kunst um der Kunst willen zu machen. Heute geht es um mich. Weil es niemanden und nichts anderes in meinem Leben gibt, widme ich mich voll und ganz meiner Arbeit."

Nachts kommen die dunklen Gedanken

Die Einsamkeit, die damit einhergeht, offenbart sie in ihrer Foto-Installation "Insomnia": 50 überdimensionale Selfies – jeweils mit der Uhrzeit betitelt, zu der sie aufgenommen wurden – dokumentieren Momente ihrer Schlafstörung:
"Wenn ich zwei Uhr nachts aufwache, gibt es niemanden, den ich anrufen kann. Dann kommen dunkle Gedanken. Deshalb tut es mir gut, diese Momente festzuhalten, um so Kontrolle über sie zu gewinnen."
Die Künstlerin in einem hellen Raum. An den Wänden sind Selfies von ihr zu sehen, die die Künstlerin müde und matt zeigen.
"Nachts gibt es niemanden, den ich anrufen kann": Tracey Emins Foto-Installation "Insomnia".© imago/Isabel Infantes/EMPICS Entertainment.
Und letztlich, sie zu teilen:
"Um all der schlafgestörten Menschen willen. Für all diejenigen, die fast an einer Abtreibung gestorben sind. Für all die Mädchen, die vergewaltigt wurden, als sie 13 waren. Deswegen tue ich das, was ich tue. Und wenn mir der Zeitgeist eines sagt, ist das: Was ich mache, ist richtig – und war es schon immer."

Tracey Emin: "A Fortnight of Tears"
noch bis 7. April 2019 in der White Cube-Galerie, London

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