Ausstellung "1945" im DHM

Eine Zeit des großen Umbruchs

Stelen mit Fotografien von Überlebenden des Zweiten Weltkriegs stehen im Foyer der Ausstellung "1945 - Niederlage. Befreiung. Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg" im Deutschen Historischen Museum in Berlin.
Stelen mit Fotografien von Überlebenden des Zweiten Weltkriegs stehen im Foyer der Ausstellung "1945" im DHM in Berlin. © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Von Christiane Habermalz · 22.04.2015
Als vor 70 Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, war eine Rückkehr in die Epoche davor unmöglich. Die Ausstellung "1945" im Berliner Deutschen Historischen Museum zeigt diese Zeit des Umbruchs: als Vergleich exemplarischer Biografien in zwölf Ländern Europas.
Manchmal sind es die nackten Zahlen, die den größten Eindruck hinterlassen. Im ersten Raum der Ausstellung hängen, hell ausgeleuchtet, nur weiße Tafeln an den Wänden, mit den nüchternen Hinterlassenschaften des Krieges: 45 Millionen Kriegstote. 13 Millionen Opfer von NS-Verbrechern. 20 Millionen Halbwaisen und Waisen. 400.000 befreite KZ-Häftlinge. 7 Millionen befreite Zwangsarbeiter. 40 Millionen Heimatlose, Vertriebene und "displaced persons".
Es soll ein Raum des Innehaltens sein, erklärt Kuratorin Maja Peers. Und tatsächlich: Schon an den nüchternen Zahlen wird deutlich, dass dieser Krieg in Europa auch nach dem offiziellen Ende noch weit hineinreichen würde in die Politik, die Geschichte der Länder und die Biografien der Menschen.
"Nach dem Kriegsende standen praktisch alle Länder, die vom Krieg erfasst waren, vor einem Neuanfang. Keines der Länder, die in den Krieg involviert waren, weder jene, die jahrelang unter der deutschen Besatzung gelitten hatten, noch die Alliierten wie etwa Großbritannien, befanden sich in einer Situation, in der sie nahtlos zum Status quo ante, zum Leben der Vorkriegszeit hätten zurückkehren können."
Anlässlich des 70. Jahrestages der deutschen Kapitulation hat das Deutsche Historische Museum eine Ausstellung konzipiert, die ausdrücklich nicht der Stunde Null gewidmet ist, ja sogar in Frage stellt, ob es eine Stunde Null je gegeben hat.
Stattdessen wird die unmittelbare Nachkriegszeit als Zeit des Umbruchs gezeigt, mit den gesellschaftlichen, politischen und moralischen Verwerfungen, die das Kriegsende mitgebracht hat.
Blick auf die Nachbarländer
Und zum ersten Mal wird dieser Zeitraum in mehreren europäischen Ländern zugleich in den Blick genommen. Neben Deutschland sind das die unmittelbaren Nachbarländer, ergänzt um Norwegen und die alliierten Siegermächte Großbritannien und die Sowjetunion.
Und noch eine Besonderheit: Die Fragen, wie in den einzelnen Länder mit Verlusten und Zerstörungen, mit Täterschaft und Kollaboration, mit Traumata und politischem Umbruch umgegangen wurde, werden anhand von 36 ausgewählten Biografien beantwortet. Kuratorin Peers:
"Sie begegnen quasi erstmal diesen Personen, und erst indem man den Text liest, erfährt man eigentlich, was ist der Hintergrund, was hat diese Person zu erzählen. Und die einzelnen Biografien sind quasi das Thema, das wir dahinter erzählen, auf individuelle Ebene heruntergebrochen."
Für jedes Land stehen drei Personen, Junge und Ältere, Männer und Frauen, ihre Schicksale in ganz unterschiedlicher Weise mit dem Krieg und seinen Folgen verwoben.
Da ist Lord Louis Mountbatten, Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Südostasien, der die Kapitulationsurkunde Japans unterzeichnete – erst da war für die Engländer der Krieg wirklich zu Ende.
Da ist der kleine französische Junge, der als einziger Schüler seiner Schule das Massaker von Ouradour überlebte. Er steht für die vielen verlassenen Kinder, die am Kriegsende ohne Angehörige völlig auf sich allein gestellt waren.
Und da ist Karl Schulz, bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1968 Leiter des Landeskriminalamtes in Bremen. Im zweiten Weltkrieg gehörte er einem Mordkommando an, das 1942 in der Sowjetunion mindestens 150.000 Zivilisten tötete. Ausgestellt ist die makellose Personalakte des Mannes aus dem Jahr 1952, in dem seine Verbrechen mit keinem Wort erwähnt werden.
Karteikasten mit Nazi-Kollaborateuren
Interessant ist, dass gerade auch die Geschichte der kleineren Nachbarländer erzählt wird, die oft weniger bekannt ist. Ein großer hölzerner Karteikasten etwa steht für die Verfolgung von Nazi-Kollaborateuren in Dänemark. Im Sommer 1945 führte die Regierung mit dem rückwirkenden "Landesverrätergesetz" die Todesstrafe wieder ein, 25.000 Menschen wurden verhaftet, 46 hingerichtet.
"Der dänische Widerstand hat noch während der deutschen Besatzung angefangen, Informationen über Personen zu sammeln, die mit den Deutschen zusammengearbeitet haben, also die kollaboriert haben, und hat eine Kartei angelegt, die als Grundlage genutzt wurde nach dem Krieg, um nach diesen Menschen zu fahnden und sie zu verhaften und sie zur Rechenschaft zu ziehen für ihr Verhalten."
- erläutert Co-Kuratorin Babette Quinkert. Der biografische Erzählansatz ist geschickt gewählt, jede Lebensgeschichte steht beispielhaft für die unterschiedlichen Themen, die die einzelnen Länder nach dem Krieg beschäftigten. Es sei auch darum gegangen, den letzten Zeitzeugen noch einmal Gehör zu schenken, betonen die Ausstellungsmacher.
Morgen zur Eröffnung wird nicht nur Außenminister Frank-Walter Steinmeier erwartet, sondern auch einige noch lebende Zeitzeugen, deren Biografien in der Ausstellung präsentiert werden.
Auch wenn die Ausstellung manchmal kleinteilig wirkt in seinem offenen Nebeneinander von Ländern, Porträts und Objekten - auf die großen geschichtlichen Überblicke wurde bewusst verzichtet - das ist zu verschmerzen. Denn letztlich ist auch Geschichte nicht mehr als die Summe der Erlebnisse und Taten vieler Einzelner.

Info: Die Ausstellung "1945 - Niederlage. Befreiung. Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg" ist vom 24. April bis 25. Oktober 2015 im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen.

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