Ausstellung 100 Jahre Leuna-Werke

Fortschrittsmotor und Industriewüste

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Die alte Leuna-Raffinerie am 31.01.2002 © picture alliance / dpa / Peter Endig
Von Christoph Richter · 03.07.2016
Die Leuna-Werke bei Halle waren einer der größten Rüstungsbetriebe Nazi-Deutschlands und später der größte chemische Betrieb der DDR. Vor 100 Jahren wurde mit dem Bau begonnen. Daran erinnert die Ausstellung "Arbeitswelten" im Kunstmuseum Moritzburg.
Um die Bedeutung der Chemie vielen in der DDR sichtbar zu machen, schuf der Volkswirtschaftsrat die Ausstellung "Gigant Chemie - Chemie Giganten".
Auf einer Messe am Ostberliner Alexanderplatz werden 1964 neben Kosmetika und Medikamenten, auch mehrere Trabbis präsentiert. Alles chemische Produkte "Made in East Germany". Ein Ausschnitt aus der DDR-Wochenschau "Der Augenzeuge". Chemie gibt Brot, Wohlstand, Schönheit, so lautete einst die Verheißung. Herausgegeben wurde dieses Ziel 1958 während der Chemiekonferenz des Zentralkomitees der SED in Leuna.

Mensch und Maschine - wer beherrscht wen?

Von der Tonlage etwas anders, aber in der Bildsprache fast identisch ist der westdeutsche Film "Reaktionen – Menschen in der Automation" von Erik Wernicke aus dem Jahr 1961. Ein Werksfilm der Chemischen Werke Hüls AG in Marl, damals eines der modernsten Synthesekautschukwerke. Die winzig wirkenden Angestellten sind umzingelt von einem riesigen Labyrinth von Rohrleitungen und mächtigen Tankbehältern. Credo des Films: Menschen dirigieren Maschinen.
(Filmausschnitt:) "…ob wir Menschen die Maschinen beherrschen oder beherrscht der Betrieb uns? Wir sind ja mit der Automation hier ziemlich weit…."
(Herrmann:) "Man glaubt es immer nicht. Aber die propagandistischen Momente waren identisch. Die Filme waren meist auch für Messen oder für die Ausbildung gemacht worden, also sie dienten – sowohl als auch – zur Indoktrinierung."
Behauptet Daniel Herrmann, Medientheoretiker und künstlerischer Leiter der Werkleitz-Gesellschaft.
Die Auswahl historischer und zeitgenössischer Filme zum Thema "100 Jahre Leuna" – sowohl aus der Bundesrepublik als auch aus der DDR - werden in einer Black Box gezeigt. Sie flimmern auf mehreren Monitoren und einer großen Leinwand. Letztlich ein kleines Kino, das die Medienkünstler der Werkleitz-Gesellschaft in die Ausstellung "Arbeitswelten" gebaut haben.

Die Leuna-Affäre kommt in der Ausstellung nicht vor

Auch wenn die Leuna-Affäre nicht vorkommt, also der bis heute nicht aufgearbeitete Deal zwischen François Mitterand und Helmut Kohl, so ist man dennoch bestrebt ein differenziertes Bild der letzten 100 Jahre Leuna zu zeichnen. Weshalb auch die die Umweltkatastrophen zu Wort kommen. Zur Erinnerung: Die Gegend um Leuna hatte damals den weltweit höchsten Ausstoß an Kohlen- und Schwefeldioxid. Einer der Gründe, warum viele Kinder husteten und spuckten, an chronischer Bronchitis litten.
Bedrückend deutlich wird dies in dem 23-minütigen Streifen "Karbidfabrik" des Dokumentarfilmers Heinz Brinkmann. Gezeigt wird, wie die DDR Umweltkatastrophen und damit auch den Tod von Menschen bewusst in Kauf nahm.
"Und das ist ein Film, der die Situation um 1989/90 beschreibt. Die Arbeiter glauben jetzt, 1990, mit der Wiedervereinigung und sozusagen mit allen Hoffnungen, die da dran geknüpft sind, dass es jetzt richtig losgeht. Dass man die Karbid-Produktion überarbeitet und das alles gut wird. Und wir wissen natürlich, dass es so nicht gekommen ist."
Die Film-Installation "Leuna100" im Kunstmuseum Moritzburg, die vom Berliner Florian Wüst kuratiert wurde, zieht einen großer Bogen ins Heute. Emerson Culurgioni und Jonas Matauschek – Absolventen der Master Class der Werkleitz-Gesellschaft – zeigen in ihrem 13-Minüter die Leere, die heute in Leuna herrscht. Dort, wo einst mal 30.000 Menschen gearbeitet hatten.
"Wo nur noch vereinzelt Menschen mit der Produktion konfrontiert sind."
Das alles geschieht ohne den üblichen kulturpessimistischen beziehungsweise depressiven, eher mit einem lakonischen Blick.

Heldenhafte Arbeiter des sozialistischen Realismus

In der Schau "Arbeitswelten" werden auch malerische Werke aus den eigenen Sammlungsbeständen des Landesmuseums Moritzburg gezeigt. Die Bandbreite reicht vom späten 19. Jahrhundert – dem hart arbeitenden Eisenwalzwerker bei Constantin Meunier - bis hin zum heldenhaften Arbeiter des sozialistischen Realismus. Ein Aspekt, der großen Raum einnimmt, weshalb die Ausstellung manchmal nah an ostalgische Verklärung rückt. Museumsdirektor Thomas Bauer-Friedrich nennt das Konzept eine Annäherung an vielfältige Facetten der Chemie-Industrie, die den mitteldeutschen Raum seit 100 Jahre prägen.
"Uns war wichtig, die hehren idealistischen Vorstellungen in der ehemaligen DDR zu präsentieren. Das kontrastieren wir mit einer tristen Pausenecken-Darstellung in einer solchen Werkshalle. Bis hin zur Reflektion von Umweltschäden, Umweltzerstörungen in Fotografien von Inge Rambow oder in ganz abstrakten Arbeiten von Göschel oder Barton."
Eindrucksvoll ist die Schwarz-Weiß-Fotoserie "Schwäne vor i4" des Schkopauer Fotografen Gert Kiermeyer, die zwischen 1990 und 1993 im Buna-Werk entstand. Man sieht in Groß- und Kleinaufnahmen Industriewüsten, verlassene Werke, so als ob eben noch jemand da war. Orte, die für Zehntausende einst nicht nur Heimat waren, sondern den Menschen auch Lebenssinn gaben.
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