Aussteigerhilfe für Neonazis

Droht "Exit" das Aus?

07:35 Minuten
Füße einer Menschenkette bei einem Protest gegen Neonzais. Vor den Füßen steht auf der Straße "Bunt statt Braun"
Protest gegen eine Neonazi-Demo: ein Weg, um gegen Rechtsextremismus zu kämpfen. Ein anderer sind Aussteigerprogramme wie "Exit". © dpa-Zentralbild / Jan Woitas
Von Claudia van Laak · 14.10.2019
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Falk Isernhagen war Neonazi. Die Organisation "Exit" hat ihm beim Ausstieg aus der Szene geholfen – so wie vielen anderen Rechtsextremen auch. Doch das Aussteigerprogramm ist gefährdet: Womöglich streicht das Familienministerium die Fördergelder.
Falk Isernhagen hat sich ein schwarz-weißes Palästinensertuch um den Hals geschlungen. Nein, sagt er und schüttelt den Kopf. Das Tuch sei kein politisches Statement, es sei einfach praktisch. Der schmale 27-Jährige mit dem schütteren Bart und der blauen Brille war mal Neonazi, Führungsperson der "Freien Nationalisten Berlin-Mitte", das ist jetzt neun Jahre her. Die Radikalisierung begann in seiner Kreuzberger Schule. Hoher Migrantenanteil, um ihn herum wurde nur Arabisch und Türkisch gesprochen. "Man fühlte sich als Aussätziger. Klar, man hat auch gedacht, irgendetwas läuft da auch falsch, wenn man sich in seiner eigenen Stadt als Fremder vorkommt."
Falk Isernhagen fühlte sich in seiner Schule isoliert und freute sich, als ein paar Ältere ihn mitnahmen zum Fußballspielen, Bier trinken und Musik hören. Im Nachhinein weiß er: Die Rechtsextremen hatten ihn gezielt angeworben, lockten mit dem Gemeinschaftsgefühl, das ihm damals fehlte. Er rutschte in die rechte Szene. Zunächst nahm seine Mutter das nicht ernst, später stellte er sich stur. Und die Lehrerin, die er mit seinen Lügen über den Zweiten Weltkrieg konfrontierte? "Die Geschichtslehrerin ist auch nicht weiter drauf eingegangen, wo ich denke, das war auch ein Riesenproblem, man hätte intervenieren können", sagt Isernhagen.

Auslöser für den Ausstieg

Die "Freien Nationalisten Berlin-Mitte" waren Teil der "Autonomen Nationalisten", einer rechtsextremen Bewegung, die Kleidungsstil und Aktionsformen der Linksautonomen kopierte. Dann der Wendepunkt: Falk Isernhagen und seine rechten Freunde wurden im Netz geoutet, Namen, Fotos und Adressen veröffentlicht, vermutlich Linksautonome schlugen ihn krankenhausreif. Seine rechtsextremen Freunde schlugen vor, seine damalige Freundin in die Gruppe aufzunehmen, um sie besser vor den Linksautonomen zu schützen.
"Und in dem Augenblick fing ich an nachzudenken: Moment mal, in die Gruppe, wo ich jetzt so viel Stress habe mit der Polizei, wo ich Stress mit der Linken habe, soll ich die Person reinbringen, die ich liebe und sie dieser Gefahr aussetzen? Das war dann dieser Punkt, wo ich gesagt habe: 'Bis hierher und nicht weiter, ich brauche einen Ausweg.' Und habe mich dann an 'Exit' gewendet."
Unser Gespräch findet in den Räumen der Neonazi-Aussteiger-Initiative "Exit" in Berlin-Friedrichshain statt. Das Gründerzeithaus hat lange keine frische Farbe mehr gesehen. Die Fenster sind durch herabgelassene Rollläden gesichert, die hölzerne Eingangstür wird durch ein schmiedeeisernes Metallgitter verstärkt. Eine Neonröhre taucht das schmucklose Büro in ein grelles Licht. Zwei Jahre lang wurde Falk Isernhagen durch "Exit" betreut, das Landeskriminalamt Berlin unterstützte den Ausstieg, schickte Personenschützer, damit er vor den Angriffen seiner früheren rechtsextremen Kameraden sicher war.

Vom Neonazi zum Satire-Fan

Der Ausstieg aus der rechtsextremen Szene ist Falk Isernhagen gelungen. Jetzt arbeitet er in der Notfallmedizin. Die Bands "Hassgesang" und "Stahlgewitter" hört er nicht mehr, stattdessen "Die Ärzte". Und politisch? "Ich hab gewisse rechte Ansätze, aber auch linke", sagt Isernhagen. "Es gibt keine politische Partei in meinen Augen, wo ich sagen würde, die kriegt jetzt meine Unterstützung. Ich wähle aus Prinzip 'Die Partei'. Mit Satire kommt man vielleicht besser voran."
Der 27-Jährige unterstützt jetzt die, die ihm damals geholfen haben, hält Vorträge, geht in Schulklassen. "Exit" hat nach eigenen Angaben 750 Neonazis beim Ausstieg erfolgreich begleitet. 16 haben es nicht geschafft, sagt "Exit"-Grüner Bernd Wagner.
"Diplom-Kriminalist" steht auf der Visitenkarte des wortgewaltigen, massigen Mannes mit den halblangen grauen Haaren, der in der DDR als Kriminalbeamter arbeitete. Der heute 64-Jährige hat gleich nach der Wende vor den Neonazis aus dem Osten gewarnt, da wollte ihn niemand hören. Spätestens mit dem Auffliegen des rechtsterroristischen NSU war allen klar: Bernd Wagner hatte Recht.

Kein Geld mehr für "Exit"?

Für seine Arbeit mit Neonazis hat er schon viele Preise erhalten, unter anderem das Bundesverdienstkreuz am Bande. Doch das große Lob und die vielen Urkunden helfen ihm jetzt nicht weiter – die Arbeit von "Exit" ist bedroht. "Wir wickeln jetzt die Aussteigerfälle ab. Den Leuten wird mitgeteilt, dass sie von 'Exit' nicht weiter betreut werden können und sie werden de facto in eine unwirkliche neue Wirklichkeit expediert, was immer da hinten raus kommt."
In den letzten Jahren hat Exit aus dem Bundesprogramm "Demokratie leben" jährlich 225.000 Euro erhalten. Das beim Bundesfamilienministerium angesiedelte Programm wurde allerdings umstrukturiert. Die Folge: Die Arbeit von "Exit" passt nicht mehr zu den aktualisierten Förderrichtlinien: "Das heißt de facto: Ende. Das ist die Lage, die wir jetzt haben", sagt Wagner.
Die Bundesfamilienministerin hat ein Problem. Einerseits stärkt Franziska Giffey der Zivilgesellschaft immer wieder den Rücken, sie hat das Programm "Demokratie leben" verstetigt und dafür gesorgt, dass zunächst vorgesehene Kürzungen in Höhe von acht Millionen Euro wieder rückgängig gemacht wurden. Doch auch ihr sind die Hände gebunden, denn der Bund darf aus haushaltsrechtlichen Gründen nur kurzfristige Modellprojekte fördern. In einer aktuellen Mitteilung des Ministeriums heißt es dazu: "Das Bundesprogramm musste im Zuge der zum 1.1.2020 startenden zweiten Förderphase neu aufgestellt werden, dies war aus rechtlichen Gründen zwingend notwendig."

Prävention statt Deradikalisierung

Auch inhaltlich wurde das Programm "Demokratie leben" umstrukturiert. Im Bereich Rechtsextremismus geht es künftig stärker um Prävention als um das, was "Exit" macht, nämlich Deradikalisierung. Der frühere Neonazi Falk Isernhagen ist sich sicher: "Für mich war Exit sehr wichtig, ich hatte immer einen Ansprechpartner. Wenn 'Exit' wegfallen würde, das wäre ein Riesengewinn für die rechte Szene."
"Exit" hat viele Unterstützer. Die Neonazi-Aussteiger-Initiative künftig nicht mehr zu fördern, das kritisieren Politikerinnen und Politiker aus allen Parteien. Der öffentliche Druck auf das Familienministerium scheint Erfolg zu haben. Am Donnerstag hat "Exit"-Gründer Bernd Wagner einen Termin im Ministerium. Ausgang offen.
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