Aussöhnung

Friedensdienst in Ruinen

Gruppenfoto mit Freiwilligen des Sommerlagers des Vereins "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im französischen Oradour-sur-Glane
Gruppenfoto mit Freiwilligen des Sommerlagers in Oradour-sur-glane © DRadio / Bettina Kaps
Von Bettina Kaps · 08.09.2014
Es war ein grausames Massaker, das die deutsche Waffen-SS im französischen Oradour-sur-Glane vor 70 Jahren verübte. In den heute verlassenen Ruinen haben nun ausgerechnet deutsche Friedensaktivisten gearbeitet - zur Verwunderung mancher Einwohner.
Eine Dorfstraße, gesäumt von Mauerresten. Eine junge Frau kratzt Moos aus den Ritzen, eine andere reißt Efeu aus, ein Mann legt ein Straßenbahngleis frei, das von Gras überwuchert ist. Im Ruinendorf von Oradour steht kein einziges Haus. Nirgends ein Dach, kein Fenster, keine Tür. Nur brüchige Fassaden. Unkrautvernichtungsmittel sind verboten, sagt Miriam Rogasch, Philosophiestudentin:
"Aber sie wollen die Ruinen schon in diesem Zustand haben, dass sie frei sind von Unkraut, damit man nicht den Eindruck von so romantischen zerfallenen Ruinen hat. Deswegen ist ein Teil der Arbeit auch, dass wir das machen, aber das ganze Dorf werden wir nie schaffen."
Miriam trägt ein Band mit einem Schild um den Hals: Unter der deutschen und der französischen Flagge steht "bénévole", Freiwillige. Sie gehört zu den neun Frauen und zwei Männern, die an diesem Sommerlager des Vereins "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" teilnehmen und helfen, das Mahnmal instand zu halten. Sie sind 19 bis 67 Jahre alt, zwei kommen aus Frankreich, alle anderen sind Deutsche.
Zerstörte Häuser in der französischen Ortschaft Oradour-sur-Glane.
Zerstörte Häuser in der französischen Ortschaft Oradour-sur-Glane.© dpa / picture alliance / THIERRY ZOCCOLAN
"Ich finde es merkwürdig, in diesen Ruinen Deutsch zu hören"
Ein Ehepaar spaziert an den Ruinen vorbei, Holländer. Der Mann fragt die Deutschen, was sie hier hier tun.
"Wir sind ziemlich überrascht. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich finde es merkwürdig, in diesen Ruinen Deutsch zu hören. Selbst für mich, der nach dem Krieg geboren wurde, ist der Besuch hier nicht einfach. Aber ich finde es wirklich sehr gut, dass ihr diese Arbeit macht. Viel Glück. Und Danke!"
Annemarie Niemann wischt sich Staub aus dem verschwitzten Gesicht. Auch französische Besucher haben ihren Einsatz bisher immer gutgeheißen, sagt die Theologiestudentin aus Berlin. Gerade erst hat ihr ein Einwohner aus dem neuen Oradour erzählt, dass er durch das Blutbad mehrere Familienangehörige verloren hat.
"Dann hat er uns halt gefragt, was die Deutschen in unserer Gruppe von dem Massaker denken. Wir haben geantwortet, dass viele daraus eine Verantwortlichkeit ableiten und dass es ein Verbrechen ist, das uns alle mit Grauen erfüllt. Und dann hat er gesagt, dass er sich freut, dass wir da sind."
Annemarie ist 22, sie kennt Oradour und seine Geschichte gut. Am 10. Juni 1944 brennen die Nazis 328 Häuser im Dorf nieder, auch die Kirche – mit allen Frauen und Kinder darin. Die Männer erschießen sie in Scheunen und Garagen. Nur sechs entkommen.
Nach dem Abitur hat Niemann hier ein soziales Jahr geleistet. In dieser Zeit kam ihr die Idee zu einem solchen Sommerlager. Die junge Frau ist überrascht, dass es so schnell Wirklichkeit wurde und dass sie es jetzt leiten darf, zusammen mit einer jungen Französin. Sie räumt ihre Spachtel auf, geht in die Gedenkstätte am Eingang des Ruinendorfs. Dort ist die Gruppe mit einem Zeitzeugen verabredet: Albert Valade, schmächtig, krumm, die linke Hand stützt er auf einen Stock.
Justiz hat nicht ernsthaft versucht, das Verbrechen aufzudecken
"Ich bin kein Überlebender des Massakers", sagt der 84-Jährige, "aber ich habe die Ereignisse aus nächster Nähe miterlebt". Sein Haus lag drei Kilometer entfernt. Am Tag des Verbrechens war Albert Valade 14 und musste Kühe hüten. Sein Vetter ging am Morgen ins Dorf zum Friseur und zwei Kinder seiner älteren Schwester saßen dort in der Grundschule. Sie kamen nicht nach Hause.
"Meine Schwester und drei andere Mütter aus unserem Dorf wollten wissen, was los war, und die Kinder holen. Die Frauen kehrten auch nicht zurück. Dabei war das Massaker in der Kirche um diese Zeit, es war schon 18 Uhr, längst vorbei. Traurig ist auch, dass wir nie erfahren haben, wie sie getötet wurden."
Vielleicht wurden die Frauen vergewaltigt und dann ermordet. Beweise gibt es nicht, sagt Albert Valade. Die französische und die deutsche Justiz haben nicht ernsthaft versucht, das Verbrechen aufzudecken, jetzt ist es dafür zu spät. Dann erzählt er, wie das Leben im neuen Oradour wieder aufgeblüht ist. Und wie sich sein Hass gelegt hat, sodass er sogar mit Deutschen Freundschaft schließen konnte.
Zum Abschied reicht er den Männern die Hand, jede Frau bekommt einen Wangenkuss.
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