Außereheliche Liebeshändel

02.07.2007
Luigi Malerba ist der Tüftler unter den italienischen Schriftstellern, ein Bastler und Clown. Er dreht seinen Lesern gern eine lange Nase. In seinem jüngsten Roman "Römische Gespenster" knüpft der gewiefte Konstrukteur mit einer Portion Selbstironie an Bizarrien früherer Zeiten an. Der mittlerweile 80-jährige Autor, aus der Emilia Romagna gebürtig und Verfasser von gut zwei Dutzend Romanen, war in den 60er Jahren gemeinsam mit Umberto Eco, Giorgio Manganelli, Edoardo Sanguineti und anderen Mitglied des <em>gruppo 63</em> gewesen, einer umtriebigen Neoavantgardebewegung ohne Manifest.
In loser Anknüpfung an die Gruppe 47 hatte man sich die Erneuerung der italienischen Literatur auf die Fahnen geschrieben, wollte jenseits des Neorealismus zu ungewohnten ästhetischen Formen vordringen und den muffigen Provinzialismus der Nachkriegszeit endlich abstreifen. Literarische Gesellschaftsanalysen waren das Gebot der Stunde.

Von Luigi Malerba erschienen damals sprachschöpferische Romane mit verstiegenen Handlungen wie "Die Schlange" (1966), in dem ein Briefmarkensammler seine Geliebte verspeist, oder "Salto Mortale" (1968), der voller Spiegelungen steckt und die Figur des Saltos auf der Textebene nachbildet. Formale Capricen gibt es auch dieses Mal zu bewundern.

Seine beiden Helden Giano und Clarissa betreiben ihre Ehe nämlich wie ein mondänes Gesellschaftsspiel und treten abwechselnd an die Rampe, um dem Leser ihre jeweilige Version der Geschehnisse darzulegen. Von ihrem Alltag mehr oder weniger gelangweilt, lassen sich die mannstolle römische Hausfrau Clarissa und der zur Apokalypse neigende Professor für Stadtplanung Giano lustvoll auf außereheliche Liebeshändel ein, betonen gleichzeitig ihre innige Verbundenheit und bewahren einvernehmlich Stillschweigen über alles, was außerhalb ihrer eleganten Wohnung im Zentrum von Rom passiert. Aber beide hegen gewisse Vermutungen.

Weil sie ihre Gefährten aus demselben bourgeoisen Ambiente rekrutieren, kommt es bei ihren Verstrickungen immer wieder zu delikaten Überkreuzungen. Ein Wirbel aus Projektionen und Phantasien wird entfesselt: Ist das atemberaubende Mädchen aus dem Nudistendorf, von dem Architekt Zandel seinem Kollegen Giano vorschwärmt, möglicherweise dessen Ehefrau Clarissa? Geht Giano etwa, wie Clarissa fürchtet, mit der notorisch promisken Valeria ins Bett? Aber solange die Verhältnisse symmetrisch sind, herrscht Ruhe. Erst als Clarissas Geliebter Zandel wie bei einer Mensch-Ärgere-Dich-nicht-Partie plötzlich ausscheidet und wegen einer mysteriösen Krankheit keine Schäferstündchen mehr abhalten kann, gerät das Ganze aus dem Gleichgewicht.

Luigi Malerba stellt auf seine alten Tage noch einmal seine formale Gewitztheit unter Beweis und variiert auf verschiedenen Ebenen das Motiv des Paares. Giano, der eigentlich Gianantonio heißt, aber von Clarissa den an den zwiegesichtigen Gott Janus gemahnenden Kosenamen verpasst bekam, verrät sein Techtelmechtel ausgerechnet durch eine Anekdote über einen doppelköpfigen Adler. Versehentlich erzählt er die Geschichte des doppelköpfigen Raubvogels, der von seinen Artgenossen als Produkt der Gentechnik verdächtigt wird und darauf trocken entgegnet: "Habsburg", auch seiner Geliebten, von wo sie zum zweiten Mal zur Ehefrau vordringt.

So sind auch Giano und Clarissa ein doppelköpfiges Paarwesen, und der erotische Ringelreihen ist weniger ein Zeichen des aktuellen Sittenverfalls als vielmehr ein Schnitzlerscher "Reigen". Malerba versteht sich auf strukturelle Verdichtungen und zieht, mit einer Verbeugung vor Calvino, einen doppelten Boden ein. Er lässt Giano einen Roman über die Geliebten-Konstellation schreiben, der von Clarissa heimlich gelesen wird. Fiktion, Wunschvorstellungen und Wirklichkeit übertrumpfen sich gegenseitig. Das Heft, in dem sein Freizeitschriftsteller Giano das Geschriebene festhält, hat er zur Tarnung mit der Abkürzung U.K. versehen: urbanistische Dekonstruktion.

Damit sind wir beim Kern der Angelegenheit angekommen. Auf seine gewohnt verschmitzte Art macht sich Malerba auch über die einstige formale Ambitioniertheit lustig, nimmt den Post-Berlusconi-Hedonismus auf die Schippe und dekonstruiert nebenbei das nach außen so gelackte, pseudokritische linksliberale römische Milieu.


Rezensiert von Maike Albath


Luigi Malerba: Römische Gespenster
Aus dem Italienischen von Iris Schnebel-Kaschnitz.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007, 233 Seiten, 19, 50 Euro