Außer Reichtum nichts gewesen

Rezensiert von Michael Opitz · 21.07.2006
Um die glitzernde Welt der Finanzjongleure geht es Martin Walser in seinem neuen Buch. Doch offensichtlich betört vom Reichtum, erliegt Walser dem Charme des Geldes. Es grenzt an Kitsch, wie behutsam und mit welch zarter Feder er die Geldpotenten ins Bild setzt. Was um alles in der Welt hat er bei diesem Klüngel verloren? Ohne stilistische Eleganz erzählt Walser von Finanzcoups und Geldverschiebegeschäfte, dass man sich wehmütig an den zornigen alten Mann vom Bodensee erinnert.
Das neue Buch von Martin Walser ist in einem Milieu angesiedelt, in dem es in erster Linie darum geht, bereits beträchtlichen Reichtum so zu steigern, dass er Sphären erreicht, die mit dem Wort unanständig hinreichend beschrieben sind.

Walser erzählt von Karl von Kahn, einem ehemaligen Bankangestellten, der seit längerer Zeit als Finanzberater tätig ist und sich der Geldverwaltung und -vermehrung verschrieben hat. Sein Kundenkreis rekrutiert sich aus der Münchner Schickeria, und die Geldpotenten Figuren, die Amei Varnbühler-Bülow-Wachtel, Leonie von Beulwitzen oder auch Marcus Luzius Babenberg heißen, setzt Walser ganz bewusst von gewöhnlichen Sterblichen ab. Zu mehr Distanz reicht es allerdings nicht. Zwar steht außer Frage, dass Karl von Kahn ein genialer Finanzverwalter ist - die Gewinnsummen sprechen für ihn -, aber er ist ein so furchtbar langweiliger Aktentaschenträger, den Walser leider auch nur auf Figuren von vergleichbarer Unerheblichkeit treffen lässt: Außer Reichtum nichts gewesen.

Mehr als dünn ist auch die Handlung: Gleich zweimal wird dieser Aufrechte, der in Kapitalschlachten die Geldlanze so klug zu führen weiß, von seinem Freund Diego und von der verführerischen Joni Jetter betrogen. Peinlich allerdings stößt einem auf, wie Walser den potenten Siebzigjährigen als flotten Stecher vorstellt, der die vierzig Jahre jüngere Joni im Hotelbett spüren lässt, was er außer Wertdepots noch in Bewegung zu versetzen versteht.

Walser findet weder für diese Szene (nachzulesen ist sie auf Seite 250, zitierbar ist sie nicht) noch für den Roman insgesamt eine sprachliche Ebene, die überzeugend wäre. Als Extrakt bringt er von der Besichtigung dieses Schauplatzes die Überzeugung mit, dass nachhaltig investieren besser ist als sparen.

Offensichtlich betört vom Reichtum erliegt Walser dem Charme des Geldes. Denn eher staunend als kritisch schreibt er sich den verschlungenen Pfaden von Wertpapieren hinterher und ist so fasziniert von dieser Welt, dass an Kitsch grenzt, wie behutsam und mit welch zarter Feder er die Geldpotenten ins Bild setzt. Was um alles in der Welt hat er bei diesem Klüngel verloren? Wie kann sich Walser zu einem Satz (weitere ließen sich finden) wie "Reich sein macht hässlich" hinreißen lassen? Ein Satz, der plakativ bleibt, auch wenn ihn der Autor ästhetisch verstanden wissen will, und der ebenso wenig stimmt wie der Umkehrschluss: Armut macht nicht schön.

Das ist für den Anspruch, an dem sich Walser messen lassen will, zu wenig. Er kratzt so ausgesucht höflich am Lack jener Welt, von der sonst die "Gala" berichtet, als müsse er befürchten, für eventuelle Schäden regresspflichtig gemacht zu werden. Ohne stilistische Eleganz erzählt Martin Walser, der zu den ersten Adressen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gehört, von Finanzcoups und Geldverschiebegeschäfte, dass man sich wehmütig an den zornigen alten Mann vom Bodensee erinnert.
Wo ist Martin Walser, der Erzähler, wo der Autor von Romanen wie Die Verteidigung der Kindheit oder Ein springender Brunnen? Wie ein Getriebener schreibt Walser in seiner Werkstatt Buch für Buch, wobei der auf Hochtouren produzierende Einmannbetrieb Gefahr läuft, über der Quantität die Qualität zu vergessen. Er wäre gut beraten gewesen, hätte sich an jenen Grundsatz gehalten, den er in Die menschliche Wärmelehre aufgestellt hat: "Man kann Menschen besser beurteilen nach dem, was sie verschweigen, als nach dem, was sie sagen." Angstblüte wäre ihm und seinen Lesern erspart geblieben.


Martin Walser: Angstblüte
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2006, 477 Seiten