Auslandseinsätze

Der missverstandene Präsident

Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 30.06.2014 in Berlin im Französischen Dom beim 14. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz der Evangelischen Akademie zu Berlin.
Bundespräsident Joachim Gauck fordert mehr deutsche Unterstützung für Flüchtlinge. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Sylke Tempel · 14.08.2014
Noch vor der massenhaften Vertreibung der Jesiden im Irak forderte Bundespräsident Gauck mehr internationale Verantwortung Deutschlands. Bis heute werde er absichtlich missverstanden, kritisiert die Journalistin Sylke Tempel.
Joachim Gauck habe etwas vor mit seinem Land. Er wolle die Deutschen nicht nur repräsentieren, er wolle ihr Erzieher sein, schrieb das Wochenmagazin. Was der Bundespräsident den Deutschen beibringen will, wird allerdings nicht auf den ersten Blick klar.
Zunächst beschäftigt sich der "Zeit"-Autor mit einem enttäuschten Ex-Mitarbeiter, der den Inhaber des höchsten Amts der Bundesrepublik gerne mal "Arschloch" nennen möchte. Warum, wird wiederum nicht ganz klar.
Ganz im Stil von "Gala" oder "Bunte" werden dann auch das Verhältnis zu Gaucks Ex-Ehefrau, der Ex-Lebensgefährtin und derzeitiger Lebensgefährtin abgehandelt. Man darf im Übrigen beruhigt sein: Es steht in diesem Bereich zum Besten, auch der Ex-Mitarbeiter hat seinen Ärger runtergeschluckt, nachdem ihn der Ex-Chef überraschend zu einem Spaziergang abholte.
Der Präsident, stellt die "Zeit" fast schon bedauernd fest, sei eben ein Menschenfänger. Natürlich aber geht es ihr nicht um Klatsch und Tratsch, sondern vielmehr darum, eine der wichtigsten Debatten über deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ins Lächerliche zu ziehen – und die wurde vom Bundespräsidenten angestoßen.
Von Verantwortung und militärischen Mitteln
Dieses Deutschland sei das Beste, das es je gab, hatte Joachim Gauck in seiner Eröffnungsrede zur Münchner Sicherheitskonferenz festgestellt. Viel dichter als andere Staaten ist es global verknüpft und deshalb hochgradig abhängig von einer Ordnung, die auf Recht und der Einhaltung von Regeln basiert. Um dann zu fragen, ob Deutschland sich auch ausreichend engagiere, um diese Ordnung zu erhalten. Nicht nur für sein Handeln, auch für sein Nicht-Handeln müsse man sich verantworten.
Dabei ging es dem Bundespräsidenten mitnichten um mehr Militäreinsätze, sondern um die ganze Bandbreite außenpolitischen Handelns, die er auch benannt hat: von Entwicklungshilfe an erster Stelle, über das Engagement für eine ressourcenschonende Zukunft bis hin, an allerletzter Stelle, zum Einsatz auch von Gewalt – nach reiflicher Überlegung und nur mit entsprechendem Mandat der UNO.
Nichts von dieser Nachdenklichkeit über die gewachsene Rolle Deutschlands in der Welt ist im Porträt der "Zeit" wiederzufinden. Die Münchner Rede wird als Produkt zweier Außenseiter beschrieben, die Schwierigkeiten hätten, die Bundesrepublik zu verstehen, des Ossis Gauck, der den Westen lange nur aus dem Fernsehen kannte und dessen Planungsstabschef Thomas Kleine-Brockhoff, den Gauck vom German Marshall Fund in Washington nach Berlin holte, weil ihm dessen "amerikanische Grammatik des Denkens" gefiel.
Dass jemand – noch dazu nach langen Jahren als leitender Redakteur der "Zeit" – seinen Horizont jenseits der Außenalster erweitern will, womöglich auch noch in den USA, scheint dem Autor der Wochenzeitung per se schon suspekt zu sein.
Hat die "Zeit" kein Interesse an einer intelligenten Debatte?
Von der hoch moralischen Frage, ob es humanitäre Gründe gegeben könnte, bedrohten Menschen – wie einst den Kosovaren oder jetzt den Jesiden – auch mit militärischen Mitteln Hilfe zu leisten, von dieser hoch moralischen Frage bleibt nur eine anonym zitierte Lästerei aus dem Präsidialamt. "Opi will wieder schießen", habe es dort geheißen, als Joachim Gauck darüber gesprochen habe, im Kampf um die Menschenrechte notfalls auch zu Waffen zu greifen.
Was die "Zeit" geritten hat, dermaßen abfällig über den Bundespräsidenten herzuziehen, das mag ihr Geheimnis bleiben. Offensichtlich hat das Blatt aus Hamburg keinerlei Interesse, sich intelligent an einer der wichtigsten Debatten in der Bundesrepublik zu beteiligen.
Doch selbst mit einem Abstand von 14 Tagen lohnt es sich immer noch, auf dieses Dossier einzugehen, weil es auf seine Weise hochpolitisch ist. Es bedient ignorant eine gesellschaftliche Stimmungslage, sich einer solchen Debatte zu verschließen, wann immer sie aufkommt – auch und gerade in eher polemischem Stil.

Dr. Sylke Tempel, Jahrgang 1963, studierte Politologie, Geschichte und Judaistik, bevor sie für verschiedene Zeitungen als Korrespondentin aus dem Nahen Osten berichtete. Derzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik" in Berlin, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird. Zuletzt hat sie zwei Bücher geschrieben: "Israel – Reise durch ein altes neues Land" (2008) und "Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert" (2010), beide im Rowohlt Verlag erschienen.
Sylke Tempel
Sylke Tempel© Marco Limberg
Mehr zum Thema