Ausgetrockneter See

Was wird aus dem Elstersee?

Elsterstausee 2007
2007 konnte man im Elstersee noch Tretboot fahren. Heute ist der See vollkommen ausgetrocknet. © Klaus Werner-Matzelt
Von Ronny Arnold · 05.09.2017
Wo früher Kinder planschten, wachsen heute Bäume. Schuld soll eine GbR sein, von der es heißt, sie habe 2009 das Wasser aus dem Elstersee gelassen, um an die Fische zu kommen. Hätte die Stadt den See danach noch retten können?
Samstagmittag um kurz vor Eins. Die Sonne scheint, nur ein laues Lüftchen weht, es ist angenehm warm hier im Süden Leipzigs, direkt vor den Toren der Stadt. Mehrere kleine Grüppchen von Fahrrad-Ausflüglern sitzen an rustikalen Holztischen. Es wird überwiegend Sächsisch gesprochen, der gemütliche Imbiss "Zum flotten Radler" ist eher Geheimtipp als Touristenmagnet.

Mit dem See ging ein Stück Heimat verloren

Vom Imbiss aus kann man den Blick wunderbar über den Elsterstausee wandern lassen, über Bäume und Sträucher, Gräser und Weideland. Und spätestens jetzt erkennt man das grundlegende Problem des Sees: Es gibt ihn schlichtweg nicht mehr. Kein Wasser weit und breit, keine Boote an den blau schimmernden, leicht angerosteten Stegen direkt neben den Sitzbänken. Die kleine Wirtschaft hier, erzählen Gäste aus dem Nachbarort, hieß bis vor wenigen Jahren noch "Zum wilden Hecht". Irgendwie unpassend, so ohne Wasser, witzeln sie, bevor sie ernst werden.
"Ich bin 1944 geboren, wir sind vielleicht mit fünf, sechs Jahren hier baden gegangen, das erste Mal. Wir sind immer hier baden gegangen, als Kinder! 1950 ungefähr."
Der trockengelegte Elstersee 2017
Im Jahr 2017 wachsen im trockengelegten Elstersee Bäume und Sträucher.© Ronny Arnold
"Enkel, Urenkel, keiner kann mehr hierher und baden gehen. Das ist weg. Ein Stück Heimat ist hier verloren gegangen. Ich würde sagen, dass das mit Absicht gemacht wurde, dass das Wasser abgelassen wurde. Wegen Cospudener See, Zwenkauer See. Das bringt mehr Geld ein, da ist ja immer was los. Traurig. Darum kommen wir immer mal hierher, weil das noch geblieben ist".

Das alte Strandbad weckt Kindheitserinnerungen

Geblieben ist der Imbiss, neben den vielen Erinnerungen, an frühere Fahrten mit dem Tretboot und an das Strandbad direkt nebenan. Aus und vorbei – der vor mehr als 60 Jahren entstandene Elsterstausee ist ausgetrocknet. Seit Jahren schon, erzählt Ingo Sasama, der die kleine Wirtschaft "Zum flotten Radler" betreibt. Übernommen hat er sie vor vier Jahren von einer Freundin. Da war das Wasser längst weg.
"Bis 2009 gab es hier Wasser. Der Elsterstausee ist das ehemalige Absetzbecken, was mal geschaffen worden ist, um von der Elster, die von den Papierfabriken, die von Zeitz kamen, die Schwebstoffe absetzen zu lassen, bevor die Elster dann in die Stadt Leipzig floss. Damit der Fluss halbwegs sauber war. Mit der Kohle wurde die Elster in ein Betonbett verbannt, so dass der Elsterstausee immer künstlich von der Elster her bepumpt werden musste. Hier sind vor allem ältere Mitbürger, Familien mit Kindern. Also wenn man das abends hier erlebt, das ist wie in Mecklenburg."
Gebaut 1935, war der See gedacht zur biologischen Reinigung der Weißen Elster ursprünglich 1700 Meter lang und 700 Meter breit. Sein schleichender Niedergang begann schon Mitte der 1970er-Jahre: Damals halbierte der Braunkohletagebau den See auf 50 Hektar und seitdem musste er auch künstlich über Pumpen gespeist werden. Vor 20 Jahren wurde dann noch einmal der Staudamm saniert. Doch ab 2005 sank der Wasserspiegel wegen der undichten Sohle kontinuierlich. Vier Jahre später war der Elsterstausee trocken.

Fischer sollen den See trockengelegt haben

Ingo Sasama kennt die ganze Geschichte. Denn er ist hier nicht nur Imbissbetreiber, sondern schon lange Anwohner. Der Ende 50-Jährige lebt nur wenige Kilometer vom See entfernt. Jahrelang hat er für den Erhalt des Stausees gekämpft, vor Ort und im Leipziger Stadtrat. Denn dort saß er 25 Jahre für die Grünen.
"Die Sollbruchstelle kam, als sogenannte Anglerfreunde mit einer GbR den See von der Stadt gepachtet haben und, um an den extrem reichen Fischbestand zu kommen, haben sie ihn komplett abgelassen. Haben die Fische geerntet, riesige Fische, beste Qualität, die müssen da ein Vermögen gemacht haben. Und haben kurz danach Konkurs angemeldet und den See liegen gelassen, wie er war. Der fiel dann nach einem Rechtsstreit über eineinhalb Jahre zurück an die Stadt Leipzig. In dieser Zeit lag er natürlich trocken, weil sich niemand darum gekümmert hat und durch den Rechtsstreit die Wiederbefüllung blockiert war."
Hoffte Ingo Sasama trotzdem, dass der See eines Tages wieder mit Wasser befüllt würde?
"Also der Weg ging eigentlich deutlich dahin, dass es für die Stadt nicht wirtschaftlich ist, diesen See als künstlich bepumpten Stausee weiter zu betreiben. Sie wollte es auch nicht. Der Oberbürgermeister hat immer gesagt, er will das nicht, er ist nicht für diesen See und er hat immer für Alternativen gekämpft."

Beschluss: Der See wird endgültig aufgegeben

Die Alternativen sind mittlerweile, dank des Jahrzehnte langen Braunkohleabbaus und der kostspieligen Renaturierung im Leipziger Süden, reichlich vorhanden. Der Cospudener See liegt gleich nebenan, der Zwenkauer See nicht viel weiter weg. Am Horizont kann man die Silhouette einer Achterbahn erkennen, die zum Vergnügungspark "Belantis" gehört. Der Aktiv-Tourismus blüht.
All das wolle man hier nicht, sagt Klaus-Werner Matzelt. Er ist der Vorsitzende des Fördervereins, der seit über neun Jahren für den Erhalt des Elsterstausees kämpft. Oder besser: gekämpft hat. Denn seit April diesen Jahres liegt der Beschluss der Leipziger Ratsversammlung vor: der Status des Sees als Gewässer wird aufgegeben, steht da schwarz auf weiß.
"Wir haben also unser Ziel nicht erreicht. Das ist einerseits enttäuschend. Auf der anderen Seite, wenn wir die Summe ansehen, die aufgewendet werden müsste, um den See wieder zu befüllen, die gesamten Verordnungen, die es da gibt, was die Dämme betrifft, da reichen sicherlich vier Millionen Euro nicht aus. Und das wäre nicht wirtschaftlich, so viel Geld in die Hand zu nehmen."

Hat die Stadt versäumt, den See zu retten?

Klaus-Werner Matzelt erzählt das alles sehr ruhig. Er klingt auch nach fast einem Jahrzehnt des am Ende aussichtslosen Kampfes für den See weder verbittert noch übermäßig sauer, eher etwas ratlos, weil er sich nicht erklären kann, warum die Stadt Leipzig über die vielen Jahre die Chance nicht ergriffen hat, dieses für ihn einmalige Biotop zu erhalten.
"Was der Vorteil von dem See war und ja auch bleibt, ist die Erreichbarkeit, fußläufig, von den umliegenden Orten. Es ist ein ruhiges Gebiet, die Natur war hier noch intakt, als der See existierte. Ein Biotop mit sehr vielen Pflanzen und Tieren. Im Winter konnte auf dem See Schlittschuh gefahren werden, weil er sehr flach war. Hier fuhren 25 Eissegler drauf. Alles Geschichte. Aber die Natur bleibt eben, wenn auch jetzt die Bäume, die wir verhindern wollten, schon fünf, sechs Meter hoch sind: Pappeln, Weiden, Birken. Hier sind Rehe, Wildschweine, Fasane, Füchse. Und wir müssen darauf achten, dass das Gebiet so naturnah wie möglich bleibt."
Warum hat sich die Stadt nicht dafür eingesetzt, den See zu erhalten? Klaus-Werner Matzelt hat dafür eine Erklärung:
"Wir als Förderverein sehen es so, dass man wirklich hier auf Zeit gespielt hat. All die Vorschläge, die wir gemacht haben, wurden nicht realisiert. Das Amt für Stadtgrün und Gewässer hat es nicht fertig gebracht, einen Fördermittelantrag zu stellen, um die 1,24 Millionen Euro, die zur Verfügung gestanden haben, hier einzusetzen. Und im Laufe der Zeit wurden die Schäden immer immer größer."
Bei der Stadt Leipzig sieht man das ein wenig anders. Rüdiger Dittmar, der Leiter des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, weiß nichts von Fördergeldern und wehrt sich auch dagegen, man habe hier bewusst etwas verschleppt.
"Dass da konkret Fördermittel zur Verfügung standen, ist uns nicht bekannt. An der Stelle ist es auch tatsächlich die Frage, ob diese Fördermittel unter den Rahmenbedingungen, die einfach gegeben sind, Veränderung der Landschaft, ein See, der künstlich befüllt werden muss, der nicht dicht ist und der gleichzeitig die Fragestellung der Hochwasserproblematik nicht erfüllt, ob es dafür tatsächlich Fördermittel gegeben hat. Da würde ich doch ein deutliches Fragezeichen dran machen."
Und was sagt Rüdiger Dittmar zu dem Vorwurf, man habe es so lange verschleppt, bis es nicht mehr anders ging?
"Der Vorwurf ist aus unserer Sicht in keiner Weise berechtigt. Die Argumente gegen eine Wiederbefüllung sind vor allem diejenigen, dass der See in einem Landschaftsraum liegt, der jetzt sehr viel Wasser aufweist und hinzukommt: Seit 2009 haben wir mit erheblichen Hochwassern zu tun gehabt, und in der Folge sind eben die Anforderungen an die Stauanlagen deutlich gestiegen."

Wie sieht die Zukunft des Sees aus?

Im Stadtratsbeschluss ist nun, neben dem Auftrag zur Entwidmung, auch gleich die Zukunft des Sees niedergeschrieben. Es gibt viele Ideen: ein ruhiges Erholungsgebiet soll es werden, ein Flächenmosaik aus Offenland und Weidensträuchern. Teile könnten als Reserve zur Futterversorgung der Tiere des nur wenige Kilometer entfernten Leipziger Wildparks genutzt werden, andere wiederum ganz der Natur überlassen bleiben.
Klaus-Werner Matzelt findet einige der Idee gar nicht so schlecht. Hauptsache, es bleibt ruhig. Der Förderverein soll weiterhin bestehen und dem Amt genau auf die Finger schauen. Von ehemals 40 Mitgliedern sind immerhin noch 12 dabei.
"Ich denke, wir sind da auf einem guten Weg. Vielleicht kann man auch noch etwas Erlebnishaftes reinbringen, das die Bevölkerung, die Kinder anspricht, man könnte Tafeln aufstellen, über die Geschichte des Elsterstausees. Wir wollen die weiteren Maßnahmen begleiten, denn durch den Wegfall des Elsterstausees als Gewässer, ist doch ein Stück Lebensqualität verloren gegangen, für die Bürger aus der Umgebung und für alle Leipziger."
(mw)
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