Auseinandersetzung mit der AfD

Dialog ist notwendig

Deutschlandtagung der AfD in der Festhalle in Tettau
Deutschlandtagung der AfD in der Festhalle in Tettau © dpa / Timm Schamberger
Von Sasha Marianna Salzmann · 13.10.2017
Über den Umgang mit der frisch in den Bundestag gewählten AfD wird gestritten. Für die Autorin Sasha Marianna Salzmann ist die Sache klar: Auseinandersetzung mit der AfD heißt, unsere Anliegen formulieren, denn gegen Nationalismus hilft nur die aktive Gegenstimme.
Eine genderwahnsinnige Jüdin wie mich hat keine der AfD-Wähler_innen aus der Nähe gesehen, ich hätte aber nichts dagegen, ich rede gerne mit Menschen. Ich glaube in dieser Sache zwar nicht an gesunden Menschenverstand. Verzeihung, jemand, der eine Partei wählt, die keine konkreten Vorschläge gegen soziale Ungleichheit unterbreitet, dafür aber vorschlägt, auf Leute zu schießen und andere zu jagen, der folgt seinen niederen Trieben und nicht dem Verstand.
Aber ich glaube nicht, dass wir die AfD Wahlkreise einzäunen sollten und mit dem Finger drauf zeigen, die "Blöd-dass-die-Ossis-rechts-gewählt-haben"-Haltung bringt uns nicht weiter. Und außerdem ist sie Heuchelei. Das Problem in Deutschland heißt: Rassismus. Wer nicht die Kausalketten zwischen den brennenden Asylbewerber_innenheimen und der tatenlosen Staatsgewalt in den 90ern, dem Wüten des NSU und der opferkriminalisierenden Staatsgewalt in den Nullerjahren, und dem jüngsten Wahlergebnis sehen will, dem kann man auch nicht viel gesunden Menschenverstand diagnostizieren.

Es ist Zeit, sich einzubringen

Nun stehen wir vor einem historischen Ereignis, das man nicht kleinreden darf: Deutschland hat seine "Wir-haben-kein-Nazi-Problem"- Maske endgültig abgenommen. Fast sechs Millionen Deutsche haben Menschen in den Bundestag gewählt, die Homosexuelle registrieren wollen und das Existenzrecht Israels diskutabel finden. Mazal tov.
Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Jede sollte sich genau befragen, was ihr Demokratieverständnis ist und welchen Anteil Solidarität darin hat. War sie oder er auf einer Demonstration für die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds? Warum nicht? Hat er oder sie sich in letzter Zeit erkundigt, was die Hilfesuchenden an direkter Unterstützung brauchen: Deutschkurse, Wohnraum, Freizeit miteinander verbringen? Warum nicht?

Dialog jenseits von Nationalismus

Wir müssen deutlicher werden in unserer Ablehnung des Nationalismus.
Nationalismus ist keine Prämisse, unter der wir uns treffen können, nicht positiver, negativer, gemäßigter oder radikaler. Keine sinnvolle Argumentationskette lässt sich auf dem Boden des Nationalismus spinnen. Wir alle gehören Interessengruppen an. Nur manchen ist das nicht bewusst, und anderen wird es vorgeworfen. Abkehr vom Nationalismus heißt, sich als Teil einer Community zu begreifen, die mit anderen Communities in Kontakt tritt.

Kulturen im Plural statt Leitkultur

Es gibt nicht die eine, richtige "Leitkultur", es gibt KulturEN, die miteinander in Dialog treten. Dialog ist auszuhalten. Dialog ist so zu führen, wie man sich im Alltag Verhandlungen wünscht: auf Augenhöhe, mit Empathie und Solidarität.
Wo nur eine Kultur leiten soll, müssen wir alle anderen feiern! In den kreativen Räumen, den Kunst- und Kulturräumen, ist das täglich Brot: Am Maxim-Gorki-Theater in Berlin zum Beispiel formiert sich die Roma Armee, die Radikalen Jüdischen Kulturtage und die Desintegration werden ausgerufen. Einzelne Interessengruppen erkämpfen sich Räume, in denen sie ihre Selbstbestimmung öffentlich verhandeln. Aber wie wollen wir in unserem Alltag emanzipatorisch agieren? Jeden Raum, den wir betreten, müssen wir als einen kulturellen Raum begreifen: Kultur wird in jedem Schritt verhandelt, den wir tun. Und so unterschiedlich wir sind, so unterschiedlich sind diese Schritte.

Sasha Marianna Salzmann studierte Literatur/Theater/Medien an der Universität Hildesheim sowie Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Sie ist Theaterautorin, Essayistin und Dramaturgin und war Mitbegründerin des Kultur- und Gesellschaftsmagazins freitext. Seit der Spielzeit 2013/2014 ist sie Hausautorin am Maxim Gorki Theater Berlin und war dort bis 2015 Künstlerische Leiterin des Studio Я. Ihre Theaterstücke werden international aufgeführt und sind mehrfach ausgezeichnet. Ihr Debütroman "Außer sich" stand dieses Jahr auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Die Autorin Sasha Marianna Salzmann blickt am 23.09.2017 am Rande einer Lesung im Literaturhaus in Frankfurt am Main (Hessen) in die Kamera. Sie ist mit ihrem Roman "Außer sich" für den Deutschen Buchpreis 2017 nominiert. Foto: Arne Dedert/dpa | Verwendung weltweit
© dpa/Arne Dedert

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