"Ausdruck eines modernen Amtsverständnisses"

Günther Wassilowsky im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 11.02.2013
Günther Wassilowsky, Kirchenhistoriker an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, wertet den Rücktritt von Papst Benedikt XVI. als Zeichen eines modernen Amtsverständnisses. Es handele sich um eine symbolträchtige Geste, sowohl aus kirchenhistorischer als auch aus amtstheologischer Sicht.
Klaus Pokatzky: Im Mittelalter wurde der eine oder andere Papst zum Rücktritt gezwungen. Freiwillig gegangen ist nur im Dezember 1294 Papst Coelestin V., nach nur fünf Monaten im Amt. Und nun also Papst Benedikt XVI. nach knapp acht Jahren als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche mit ihren mehr als einer Milliarde Gläubigen. Im Studio begrüße ich nun Günther Wassilowsky, Professor für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Willkommen!

Günther Wassilowsky: Guten Tag!

Pokatzky: Herr Wassilowsky, wir haben Rosenmontag heute. Was ist Ihnen – Hand aufs Herz – ganz spontan durch den Kopf gegangen, als Sie heute vom Rücktritt gehört haben?

Wassilowsky: Ja, ich saß am Schreibtisch, habe gearbeitet, da rief Ihre Kollegin an, ganz selbstverständlich, und sagte: Ja, es ist Papst Benedikt zurückgetreten. Ich dachte, Rosenmontag – hier in Berlin merkt man das ja nicht groß, aber von meiner Heimat kenne ich das noch gut, das ist ein großer Faschings- oder Karnevalsscherz.

Pokatzky: Sie kommen aus Schwaben …

Wassilowsky: Ich komme aus Schwaben, wie man hört – also ich dachte, es ist eigentlich nicht möglich, und dann sagte sie: Ja, schauen Sie mal schnell hier ins Netz. Und da musste ich dann sehen, Okay, das ist richtig, er scheint zurückgetreten zu sein.

Pokatzky: Gab es überhaupt keine, in eingeweihten Kreisen, so dezente Hinweise darauf, er könne zurücktreten?

Wassilowsky: Na ja, das Thema überhaupt, Abdankung eines Papstes, Rücktritt eines Papstes ist ja schon im Endeffekt seit den letzten Jahren des Vorgänger-Pontifikats irgendwo präsent. Deshalb ist da immer wieder debattiert worden, schon in den letzten eben Jahren, auch von Johannes Paul II., und auch Benedikt XVI. wurde hier und da darauf angesprochen. In seinem kleinen Bändchen "Licht der Welt" von 2010 hat er explizit erwähnt, wenn ein Papst zu der klaren Überzeugung gelangt, dass seine Kräfte nicht mehr ausreichen – übrigens eine Formulierung, die er heute ähnlich verwendet …

Pokatzky: Genau, infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sein, um in dieser Welt, die sich so schnell verändert, sein Amt auszuüben.

Wassilowsky: … genau, dann sollte er – dann sollte er, sagt Benedikt eben 2010 – sollte er zurücktreten.

Pokatzky: Das heißt also, nach mehr als 700 Jahren haben wir jetzt diesen Vorgang, ein Papst tritt zurück. Heißt das, dass er sich jetzt wirklich auch an moderne Zeiten damit anpasst, und ist das vielleicht auch ein positives Signal für seine Nachfolger, dass von diesem starren Prinzip endlich abgewichen wird, dass ein Papst im Amt sterben muss, auch wenn er das gar nicht mehr voll ausfüllen kann?

Wassilowsky: Also ich finde dieses Faktum, diese Geste – na gut, wir sind jetzt unmittelbar noch im Eindruck –, aber ist schon kirchenhistorisch und auch amtstheologisch symbolträchtig, und ist zu deuten. Sie deuten es selber auch an, ist da etwas drin von einem neuen Verständnis dieses Papstamtes. Ich denke, so überraschend jetzt diese Geste ist, so schlecht passt sie nicht zu dem, wie Benedikt XVI. sein Papsttum gelebt hat, nicht in erster Linie charismatisch auf seine eigene Person bezogen, sondern ich würde sagen, er hat das Amt, sein eigenes, aber auch insgesamt das Amt in der Kirche sehr, sehr stark theologisch konturiert als Dienstamt.

Pokatzky: Gelehrtenhaft auch?

Wassilowsky: Natürlich, er war ein großer Theologe, aber, sagen wir mal, von der Theologie des Amtes hat er immer wieder auch in den öffentlichen Äußerungen, auch jetzt zum Priesteramt, zum Bischofsamt immer das Amt als Ministerium, als Dienst kategorisiert. Man kann kirchliche Ämter anders legitimieren, man kann sie traditional oder charismatisch legitimieren, ich würde sagen, er legitimiert das sehr, sehr stark funktional. Und ich finde, da steckt sehr viel Modernität drin.

Pokatzky: Also nicht monarchisch?

Wassilowsky: Ja, monarchisch, das heißt jetzt sozusagen, das würde rekurrieren auf die Frage, wie stark er jetzt andere Instanzen in seine Entscheidungsfindungen miteinbezieht, es ist eher die Frage: Woher leitet ein Amtsträger Autorität ab? Kommt die in erster Linie jetzt traditional, weil er schlicht und einfach als Glied einer langen Kette steht und er allein durch die Wahl, egal, was er auf dem Amt tut, der Stellvertreter Christi ist.

Pokatzky: … immer Recht hat, immer Recht hat.

Wassilowsky: Er hat immer Recht, und egal, was er macht auf diesem Posten, ist er sozusagen unfehlbar und auf jeden Fall autoritätsgenerierend.

Pokatzky: War da Benedikt reflektierter?

Wassilowsky: Da war er auf jeden Fall reflektierter. Es gibt unterschiedliche Modi, unterschiedliche Formen, glaube ich, in der Kirchengeschichte, wie die einzelnen Pontifices eben Autorität generieren. Der unmittelbare Vorgängerpapst hat es sehr, sehr stark eben personal, charismatisch gemacht, hat gezeigt, schaut, ich mache selber spirituelle Erfahrungen, ich bin selber ein Virtuose in religiösen Dingen, und ich würde sagen, Joseph Ratzinger hat dieses Amt konturiert eben in seiner Funktion als Dienstamt, war ganz in der Spur des Zweiten Vatikanums.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Günther Wassilowsky, Professor für Kirchengeschichte an der katholisch-theologischen Privatuniversität Linz, zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI.

Dienstamt sagen Sie, er gilt aber im Allgemeinen als sehr konservativ, was theologische Ansichten angeht. Er hat gerade auch deutsche Bistümer mit entsprechenden Glaubensbrüdern besetzt – das Erzbistum Köln etwa mit Joachim Kardinal Meisner, einem Sympathisanten des fundamentalistischen Opus Dei. Tun wir Benedikt Unrecht, wenn wir ihn so auf dieses Konservative, in diese konservative Ecke beschränken?

Wassilowsky: Ja, bestimmt. Er ist sehr viel vielschichtiger, mehrdimensionaler, als man ihn landläufig wahrnehmen kann, und er hat vielleicht auch einiges dafür getan, dass er in dieser eindimensionalen Weise wahrgenommen wird. Aber ich denke, in seiner Art der Amtsführung – Sie müssen sich vorstellen, er erklärt jetzt, ihm fehlen die Kräfte, er bittet um Verzeihung "für alle meine Fehler" –, das sind unglaublich starke Gesten, Symboliken, die so etwas andeuten, eben ein Mensch muss in dieser Moderne eben auch eine ganz konkrete Sache bewerkstelligen, um dieses Amt auszuüben.

Aber sicher, es gab in diesem Pontifikat viele Punkte, wo man sagen kann, das war gut gemeint, aber es ist nicht so gut gelungen – Stichwort Piusbrüder –, das ist von der Idee her, dass ein Papst in erster Linie sein Amt zur Herstellung von Einheit ausübt und hier eben diese Leute, die nach dem Zweiten Vatikanum weggebrochen sind, wieder hereinholt in die Katholika, das ist ein sicher zu würdigendes, positiv zu würdigendes Ansinnen gewesen, passt zu dieser Vorstellung von ihm eben auch als Papst. Aber faktisch hat er nicht realisiert, glaube ich, dass mit diesen Menschen eben keine katholische Kirche zu machen ist, das ist vielleicht auch eine Fehleinschätzung von ihm gewesen, aber vom Motiv her, von seinem eigentlichen Ansinnen, ist es schon auch positiv zu würdigen.

Pokatzky: Aber diese Betonung auf Amtsdiener, und wenn ich jetzt die Kräfte nicht mehr habe, dann muss ich zurücktreten, einem anderen das überlassen – also sie kommen aus Hohenzollern-Hechingen –, das klingt ja fast schon, wie Sie das sagen, als sei er Preuße.

Wassilowsky: Also vielleicht ist darin etwas Deutsches, aber ich würde in der Tat eben die Modernität seiner Amtsvorstellung eben hier sehen, also diese funktionale Konturierung eines Amtes. Und er ist preußisch in seiner Amtsführung in vielen Aspekten auch gewesen. Also im Unterschied zu seinem Vorgänger hat er sicher das Aktenstudium und das genaue Sich-Eindenken auch in die Strukturen der Kirche nicht gescheut.

Pokatzky: Dann reden wir jetzt über die Vorgänger: Wir stehen natürlich jetzt heute noch unter diesem Eindruck, aber wenn wir jetzt mal den Blick in 100 Jahre, wo Generationen von Kirchenhistorikern nach ihm die Päpste zu beurteilen haben: Von Paul VI. bleibt das Zweite Vatikanische Konzil untrennbar, von Johannes Paul II. der Kampf gegen den Kommunismus, am Ende mit dem Sieg – was wird in 100 Jahren denn wirklich von Benedikt XVI. bleiben, oder vielleicht doch nur eine Fußnote in der Geschichte der Päpste?

Wassilowsky: Gut, Kirchenhistoriker sind keine Propheten. Ich kann nicht sagen, was in 100 Jahren von diesem Pontifikat bleibt, aber jetzt in der Reihe seiner Vorgänger in den letzten 100 Jahren ist hier nun sicher markant, dass er in sein theologisches Lehramt auch seine große Kompetenz eben als Wissenschaftler, als Theologe, als Prediger, als Prophet, der versucht, über Plausibilitäten, über das Wort hier auch Menschen zu gewinnen, ich denke, das ist schon ein großes Spezifikum dieses Pontifikats.

Pokatzky: Benedikt war früher fast ein Vierteljahrhundert Präfekt der Glaubenskongregation, das heißt, er kannte sich in den Strukturen des Vatikans aus wie nur wenige seiner Vorgänger. Er konnte in Jahrzehnten Netzwerke aufbauen. Hat er seine Nachfolge, seinen Nachfolger schon festgezurrt?

Wassilowsky: Also delikat ist natürlich diese Situation jetzt schon. Sehen Sie: Normalerweise in der Kirchengeschichte tun Päpste alles zu Lebzeiten über Kardinalskreationen und Ähnliches, um das Konklave, das Ende des Konklaves im Nachgang, sozusagen im Nachgang, zum Pontifikat zu bestimmen, vorherzubestimmen. Das kann man ja durch die Auswahl der Papstwähler ganz gut tun.

Pokatzky: Aber jetzt kann er ja noch mehr tun… Er kann vor Ostern im Hintergrund die Fäden noch ziehen.

Wassilowsky: Natürlich, er kann theoretisch jetzt noch mehr tun. Ich vermute allerdings, dass er es nicht tun wird. Er ist, glaube ich, ein sehr – sowieso, das war vielleicht auch eine Grenze dieses Pontifikats –, ein eher unpolitischer Mensch, der, glaube ich, nicht so stark über Seilschaften sein Leben organisiert hat. Und ich vermute eher, wäre das jetzt die große Frage, was machen wir jetzt mit einem zurückgetretenen Papst, ich glaube nicht, dass er jetzt sich stark machen wird in der Nachfolgefrage.

Ich glaube insgesamt, dass er sich eher zurückziehen wird, er sagt es ja auch in seiner Rücktrittserklärung am Ende, dass er jetzt aus ganzem Herzen der Kirche weiterdienen will, aber eben durch ein Leben im Gebet. Das ist ein Hinweis eben auf Rückzug und klösterliche Existenz eher, würde ich mal sagen.

Pokatzky: Danke, Günther Wassilowsky, für diese Würdigung von Papst Benedikt XVI.!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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