Ausbildung

Musikstudium ohne Zwang

Der DJ und Autor Hans Nieswandt
Hans Nieswandt: DJ, Autor und künstlerischer Leiter des "Institut für Populäre Musik" in Essen © picture alliance / dpa / Foto: Jörg Carstensen
Von Leonie Reineke · 08.10.2014
Einfach nur Musik machen – das ist jetzt am Standort Bochum der Folkwang Universität der Künste möglich. Ein neuer Studiengang soll unter der Leitung von DJ und Autor Hans Nieswandt jungen Künstlern einen Raum zum Experimentieren und Ausprobieren geben.
Hans Nieswandt: "Wir arbeiten mit Leuten, die das, was sie können, schon ziemlich gut können und sozusagen nicht mal reinschnuppern oder probieren, ob das was für sie ist, sondern die wissen schon, dass das was für sie ist, oder dass das ihr Weg werden soll, Musiker zu sein."
Gerade mal sechs junge Sänger, Instrumentalisten und Elektronik-Musiker beginnen diesen Herbst ihr Studium am Folkwang-Institut für Popmusik. Anders als an der Pop-Akademie Baden-Württemberg mit ihren knapp 300 Studierenden kann sich hier eine sehr familiäre Struktur entwickeln. An erster Stelle soll dabei eine individuelle Betreuung der Studierenden stehen. Jeder junge Künstler bringt sein persönliches Pop-Projekt mit ins Studium und soll dabei die größtmögliche Unterstützung erhalten. Ziel der Ausbildung ist es, die eigene Musik zu spielen, zu produzieren und natürlich zu veröffentlichen.
Nieswandt: "Es geht ganz stark um die Person, die das macht, um das, was diese Person zu sagen hat und das, was diese Person interessiert, wie sich diese Person zur Gegenwart verhält, wie sich diese Person zu den Zeiten und ihrer eigenen Umgebung verhält und daraus Kunst macht."
Alles ist erlaubt
In der musikalischen Ausrichtung sind die Studierenden völlig frei. Jeder darf sich in dem Genre bewegen, das ihm gefällt. Hans Nieswandt begrüßt es besonders, wenn auch ungewöhnliche Projekte, fernab vom Mainstream entstehen. Für ihn bedeutet Pop keineswegs das Heranzüchten von markttauglichen Musikern, so wie man es aus manchen Casting-Shows kennt.
"Pop ist eigentlich eine wirkliche Gesellschaftskraft, und eine hoffentlich gute. Darum geht es eigentlich, und nicht um die nächsten präfabrizierten Charts-Hits irgendwie zu machen."
Die Ausbildung am Institut für Populäre Musik soll den Studierenden die Möglichkeit geben, eine autonome Künstlerpersönlichkeit zu entwickeln. Hans Nieswandt ist es wichtig, dass man den eigenen künstlerischen Ansatz mit Überzeugung praktiziert, so alternativ oder eigenwillig er auch sein mag.
"Das Tolle ist, dass die Leute bei uns jetzt so etwas wie einen Schutzraum finden, wo sie zwei Jahre lang frei sind und ausprobieren können, was sie wollen, experimentieren können, wie die Bescheuerten; und dafür eine Menge verständnisvolle Köpfe haben, sehr gute technische Möglichkeiten, um das zu probieren, und eben keine Angst haben müssen, dass sie irgendwie wieder gedropt werden, weil das zu verrückt ist oder sonst etwas."
Als Aushängeschild für das Institut wurde der Slogan "Pop führt weiter" gewählt. Ein Statement, dass das Konzept von Hans Nieswandt und seinen Kollegen in mehrerlei Hinsicht reflektiert:
"Es ist sozusagen eine Doppelaufforderung. Es geht einmal darum, dass wir natürlich ein weiterführendes Studium anbieten, und so gesehen ein Pop-Studium dich als Studenten oder Studentin weiterführt. Aber gleichzeitig geht es uns eben auch darum, dass wir alle gemeinsam Pop weiter führen; und uns eben nicht damit zufrieden geben, einfach nur Pop, wie es ihn immer schon gab, zu lernen, zu reproduzieren, sondern eben tatsächlich zu sehen, wie man das Ding weiterdrehen kann."
Vertragswesen und Urheberrecht werden auch gelehrt
Innovation und Originalität sind willkommen am Institut für Populäre Musik. Und das betrifft nicht nur das Musikmachen. Ebenso geht es darum, sich gedanklich mit Pop als Kulturpraxis oder als Spiegel der Gesellschaft auseinanderzusetzen. So werden nicht nur Instrumental- und Performance-Unterricht angeboten, sondern auch Seminare, in denen beispielsweise politische oder musikphilosophische Fragen diskutiert werden. Hinzu kommen aber auch ganz pragmatische Veranstaltungen zu Themen wie Musikwirtschaft, Vertragswesen oder Urheberrecht.
"Wenn einem wichtig ist, dass man Musik machen kann, wie man sie für richtig hält, dann ist es eben sehr wichtig, dass man manövrierfähig ist und dass man selber Entscheidungen fällen kann. Und deswegen ist es eben wichtig, dass man sich auch in musikwirtschaftlichen Dingen und so weiter auskennt."
Die Dozenten greifen alle auf langjährige Erfahrung in der freien Wildbahn der Pop-Welt zurück: Viele von ihnen sind selbst Musiker, Produzenten oder Label-Eigentümer. So können sie den Studierenden wertvolles Praxiswissen mit auf den Weg geben, wie zum Beispiel das Know-how, wie man ein eigenes Label gründet. Denn gerade heutzutage, da die Musikwelt durch die wachsende Medialisierung und Digitalisierung immer unübersichtlicher wird, sind solche Kompetenzen von Vorteil.
Der Hauptstandort des Instituts befindet sich in Bochum, auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Prinz Regent. Ausgestattet ist der Bau mit zahlreichen Computerarbeitsplätzen und Räumen, in denen Musik gemacht und aufgenommen werden kann. Das Equipment soll dabei immer auf dem allerneusten Stand sein.
Fast wie Zuhause
Man hat sich jede Menge Mühe gegeben, damit die Studierenden sich am Institut wie zu Hause fühlen: Eine Küche und ein großer Gemeinschaftstisch sorgen für eine wohnliche Atmosphäre.
"Es ist ja einfach ein kleiner Laden und ein kleines Gebäude, wo wir ein bisschen wie auf so einer Raumstation mit vielen technischen Geräten eng aufeinander hocken und vermutlich sowieso die ganze Zeit am Quatschen sind, und immer im Gespräch, und immer über das diskutieren, was der und der gerade macht. Ich stell mir das eigentlich fast ein bisschen auch vor, wie eine Werkstatt, wo jeder die ganze Zeit am Frickeln ist, oder wo dann eben vielleicht auch der eine Sänger zu dem Gitarristen oder dem Elektroniker sagt: Hier hör mal, kannst du mal dedede... oder umgekehrt: kannst du mir mal eben hier das kurz einsingen?"
Wie sich die Studierenden am Institut für Populäre Musik schlagen werden, und ob sie später mal von ihrer Musik leben können, ist nicht vorhersehbar. Doch solange sie Kreativität und Schöpfergeist mitbringen, ist Hans Nieswandt zuversichtlich.
"Es ist insgesamt ein ziemlich experimenteller Ansatz, was ich auch das Richtige daran finde – so experimentell und so offen ranzugehen, wie eben an freie Kunst."
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