Aus Versehen die Jugendliebe gekidnappt

23.02.2010
Mit der Entführung einer Bankerin will ein Mittfünfziger mit einer Gruppe von jungen Leuten politisch ein Zeichen setzen. Dabei hat er mit allem gerechnet, nur nicht mit einem: dass sich die Geisel als seine Jugendliebe entpuppen könnte.
Maximilian Klein steht auf Kriegsfuß mit dem System, und das war schon immer so. Sein Missbehagen scheint allerdings nicht mehr zu seiner Altersgruppe zu passen: Er ist bereits über fünfzig, war einst ein vielversprechender Journalist und hatte es schließlich satt, die Verhältnisse nur mit angriffslustigen Artikeln, die höchstens zu Talkshoweinladungen reichten, zu bekämpfen. Eine echte Aktion muss her. Gemeinsam mit einer Handvoll umtriebiger junger Leute entführt er Lisa Locust, Bankerin, Schlüsselgestalt des Turbokapitalismus, und hält sie in seinem halb zerfallenen Elternhaus fest. Die Gruppe plant ein Medienereignis, einen aufrüttelnden Kurzfilm mit dem Opfer, der über Youtube verbreitet werden soll, irgendeine spektakuläre Sache. Maximilian Klein hat mit allem gerechnet, nur nicht mit einem: dass sich Lisa Locust als seine Jugendliebe entpuppen könnte.

Lukas Hammerstein, Jahrgang 1958, Verfasser zahlreicher Essays zu politischen und ästhetischen Fragen und Autor mehrerer Romane, benutzt die Entführung als Rahmenhandlung für eine Geschichte, die vor allem die Vergangenheit seines Helden zum Gegenstand hat. Es ist der Versuch, eine bundesrepublikanische Biografie zu erzählen – und es ist die Bestandsaufnahme einer Generation.

In Rückblenden werden Kindheit, die Freundschaft mit Lisa, der berufliche Werdegang, Frauenbeziehungen, der Verlust politischer Utopien, der Tod der Eltern und das zerrüttete Verhältnis zur Schwester aufgefächert, bis die Zeitebene der Gegenwart erreicht ist und der Held eine Entscheidung über das Schicksal der Geisel treffen muss.

Vor allem im ersten Drittel stellt sich beim Leser ein starkes Déjà-vu-Gefühl ein: Ulrich Peltzer hatte in seinem großartigen Roman "Teil der Lösung" (2008) ein ähnliches Milieu geschildert, nur viel besser. Was bei Peltzer literarisch mitreißend daherkam, ist hier fahl und müde. Die Qualen der Hauptfigur werden wortreich beschworen, aber die Ausweglosigkeit seiner Lage bleibt abstrakt.

Auch handwerklich ist Hammerstein nicht auf der Höhe seines Stoffes. Der Wechsel zwischen den Erzählebenen holpert, es gibt zu viele Handlungsstränge und viel zu viele Figuren, manche Wendungen sind unwahrscheinlich, die Zustandsbeschreibungen des Helden wiederholen sich, und der Text wirkt gleichzeitig aufgeblasen und merkwürdig substanzlos.

Dabei ist die Diagnose eines allgemeinen Unwohlseins gar nicht falsch, auch die Auswüchse des Kapitalismus wären durchaus einen Roman wert gewesen. Aber es hat den Anschein, als habe der Autor sich nicht entscheiden können zwischen Politthriller, Entwicklungsroman, Psychogramm, Vater-Sohn-Roman, Gesellschaftsanalyse, Medienkritik und Liebesgeschichte.

Hammerstein überfrachtet "Wo wirst du sein" und packt viel zu viel hinein: dramatische Trennungen, der Freitod eines Onkels, Krebs, verdeckte Homosexualität, unerfüllter Kinderwunsch und Demenz bis zum Selbstmord von Lisas Bruder, der seine depressive Frau eines Tages nicht mehr aushält. Letzteres wird ganz am Ende von "Wo wirst du sein" in Kürze nachgereicht, nachdem der Bruder 150 Seiten lang keine Rolle gespielt hat. Wirtschaftskrise und marode gesellschaftliche Strukturen – bei einem Thema, das so aktuell ist, hätte man sich mehr Originalität gewünscht.

Besprochen von Maike Albath


Lukas Hammerstein, Wo wirst du sein,
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, 256 Seiten, 18, 95 Euro.