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Berichte über Amokfahrt in Münster
Zu viele Spekulationen

War es ein terroristischer Anschlag? Und war es ein Islamist oder ein Rechtsextremer? Über die Amokfahrt in Münster wurde am Wochenende in den Medien zu viel spekuliert. Die Journalisten sollten aus den Berichten über die Tat einige wichtige Lehren ziehen, meint Christoph Sterz.

Von Christoph Sterz | 09.04.2018
    Medienvertreter warten in der Altstadt von Münster auf Interviewpartner.
    Manche Berichterstatter in Münster griffen voreilig Gerüchte auf (dpa/ Ina Fassbender)
    "Anschlag in Münster - drei Tote": So ging es schon am Samstagnachmittag los, in einer Eilmeldung der "Rheinischen Post". Auch wenn sich der zuständige Redaktionsleiter später dafür entschuldigte und diese Schlagzeile selbst als unbedacht bezeichnete: Dieses vorschnelle Festlegen war kein Ausrutscher, sondern symptomatisch für viele Berichte über und aus Münster.
    "Vermutlich ein Anschlag, möglicherweise. Die Polizei hat das noch nicht bestätigt, weil man in alle Richtungen ermitteln möchte. Aber es ist so, dass sich der Fahrer dieses Kleintransporters dann erschossen hat. Das wissen wir. Und das lässt natürlich auf einen Anschlag schließen. Auch wenn es eben noch nicht ganz ganz sicher ist", sagte etwa Reporter Simon Lenartz Stunden nach der Tat im WDR-Fernsehen; um dann noch anzufügen, dass die Polizei darum bitte, keine Spekulationen anzustellen. Genau das aber machte der WDR ebenso wie andere Medien.
    Viel Raum für Hetze und Häme
    Die Journalisten ließen sich damit viel zu sehr treiben, unter anderem von einigen wenigen, sehr lauten Twitter-Nachrichten. Sie zitierten zum Beispiel auch einen Tweet der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und räumten ihr und anderen Populisten und Rechtsaußen damit einen Raum ein, den sie nicht verdient hätten. Denn gerade Twitter erwies sich an vielen Stellen als völlig kaputter Diskursraum; komplett von der Realität abgekoppelt; wie am Sonntag auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet bemerkte.
    "Ich würde mir wünschen, dass diese Besonnenheit, die die Menschen in Münster ausgestrahlt haben, auch alle die erreicht hätte, die gestern ganz schnell bei Twitter und anderswo wieder das Hetzen begonnen haben. Für die Opfer ist es egal, welche Religion der Täter hat. Sie haben einen Menschen verloren. Und diesen Respekt sollte man immer im Blick haben."
    Nationalität des Täters zu sehr im Fokus
    Aber nicht nur gegenüber den Opfern und Angehörigen fehlte in vielen Tweets und Berichten der Respekt. Es wurde viel zu viel spekuliert darüber, welcher Nationalität, welcher Religion der Täter denn nun angehörte. Noch am Sonntag wurde diesem Aspekt etwa bei n-tv eine deutlich zu große Wichtigkeit eingeräumt.
    "Man hat auch sehr betont, dass es sich um einen Deutschen handelt, weil es eben viele viele Gerüchte auch im Internet gegeben hatte, dass es sich um einen Asylanten handeln könnte oder um einen Bürger möglicherweise mit Migrationshintergrund."
    Missachtung journalistischer Grundsätze
    All das spielte für die Tat in Münster aber allem Anschein nach keine Rolle. Medien sollten sich bei der Nennung von Nationalität und Religion zurückhalten. Und besonders darauf achten, dass, so steht es im Pressekodex, die Nennung von Nationalität oder Religion "nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt".
    Bei Münster kam noch eines erschwerend hinzu: Als sich herausstellte, dass es ein deutscher Täter war, rückte plötzlich die Psyche des Täters in den Mittelpunkt.
    Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, twitterte: "Deutsche Täter sind psychisch gestört - muslimische [Täter sind] 'islamistische' Terroristen?? Mit diesem seit 9/11 unsäglichen Doppelstandard-Diskurs brauchen wir uns nicht wundern, warum Islamphobie stets weiter steigt. Betreiben damit indirekt das Geschäft der Extremisten & Terroristen."
    Rassistische Begriffe im Fernsehen
    Und zum Teil haben es diese Extremisten sogar geschafft, ihre hasserfüllte, abwertende Sprache in klassische Medien einzuschleusen. Etwa den rassistischen Begriff "Passdeutscher", mit dem Deutsche mit Migrationshintergrund gemeint sind. Diesen diffamierenden Ausdruck nutzte Reporter Ulrich Klose am Samstagabend bei n-tv.
    "Offiziell ist noch nichts bestätigt und offiziell ist der Sachverhalt auch noch nicht geklärt. Aber alles, was ich so höre, handelt es sich bei dem Täter um einen 49-jährigen Passdeutschen, der wohl psychisch gestört sein soll und der der Polizei nicht ganz unbekannt sein soll."
    Redaktionen müssen Lehren aus Münster ziehen
    Auch wenn viele Journalisten am Wochenende ganz sicher gute Arbeit geleistet haben, auch wenn gerade in Live-Situationen nicht jedes Wort sitzt: Wie über die Tat in Münster berichtet wurde, ist Teil eines grundsätzlichen Problems. Aus Angst, etwas falsch zu machen, sich durch das Verschweigen von Gerüchten angreifbar zu machen, werden journalistische Grundsätze missachtet.
    Und weil die Tat von Münster traurigerweise sicher nicht die letzte ihrer Art war, sollten sich Journalisten jetzt dringend hinsetzen und ihre Berichte intern kritisch aufarbeiten - damit sie sich beim nächsten Mal nicht wieder von Hetzern, von Extremisten treiben lassen.