Aus der Werkstatt des Dichters

17.10.2011
Jan Wagner, Jahrgang 1971, gehört zu den besten deutschen Lyrikern, sein im vergangenen Jahr erschienener Gedichtband "Australien", sein vierter, hat es auf eindrucksvolle Weise gezeigt.
Wagners Gedichte zeichnen sich durch kluge Beschränkung aus, durch eine poetische Zielgerichtetheit, die einen starken Sog erzeugt, sodass man sich nach dem Lesen immer wieder fragt: Was war da jetzt? Wie hat er das gemacht? Was hat mich hier so in Bann geschlagen?

Nun gibt es Gelegenheit, Antworten auf diese Fragen in Jan Wagners poetologischen Überlegungen zu suchen: In einem Sammelband, in dem neben seinen Untersuchungen der jüngeren deutschen Gegenwartslyrik und Selbstauskünften auch Porträts einiger von ihm geschätzter Dichter untergebracht sind, darunter viele englischsprachige, von Walt Whitman bis Simon Armitage, denn Wagner ist auch Übersetzer aus dem Englischen. Dazu Zeitungsartikel und Marginalien.

Die Texte sind – bis auf einen - in den letzten fünf Jahren entstanden und fast alle schon einmal veröffentlicht, beziehungsweise als Reden vorgetragen worden. Deshalb gibt es in den Aussagen einige Wiederholungen; es gibt mehrfach auftauchende Denkfiguren; es gibt starke und eher schwache Texte – ein Sammelband eben.

Dessen etwas disparater Charakter hat zumindest den Vorteil, dass sich im Lauf der Lektüre Jan Wagners Einstellung zur Welt der Poesie und zur Poesie in der Welt in einer Weise erschließt, als wandere man in einem Gebäude herum, von der Garage durch die Küche über die Schreibstube ins Ladenlokal, von oben nach unten, durch Zeiten und Poetiken, Abstraktion und Alltag. Ein interessantes, dabei ganz unprätentiöses Gebäude.

Im wohltuenden Gegensatz zu essayistischen Brillanzerzeugern, deren Texte immer etwas klüger klingen sollen, als sie wirklich sind, zeichnet sich Jan Wagner in seinen Aufsätzen eher durch intellektuelle Bescheidenheit aus: "Was kann das Steinchen über das Mosaik berichten? Wie beschreibt der Faden den Gobelin?" So charakterisiert er seine eigene Position in "Vom Pudding. Formen junger Lyrik".

Interessant sind seine Einlassungen zur Formsprache, eindrucksvoll der Fundus, aus dem er schöpft. Und immer wieder stößt man darin auf Formulierungen, die selbst fast wie Gedichte klingen: In einem gelungenen Gedicht, das die Spannung zwischen Form und Regelverstoß hält, heißt es einmal, sei "neben dem Widerspruch auch der Bannspruch enthalten, der Zauberspruch, die Beschwörungsformel". Form und Magie, die sich in dem Wort "Formel" treffen: Da geht die Lust des Lyrikers an einem präzisen Wort mit dem Essayisten durch und für den Leser ist es eine Freude.

Solche Höhepunkte gibt es viele in diesem Buch; dass es auch schwächere Texte enthält, eher für den Tag und ein anderes Format geschrieben, verzeiht man ihm deshalb gerne.

Besprochen von Katharina Döbler

Jan Wagner: Die Sandale des Propheten
Berlin Verlag, Berlin 2011
120 Seiten, 19,90 Euro