Aus den Feuilletons

Zwischen Revolution und Geschlechterkampf

Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution: Wladimir Lenin auf Leinwand projiziiert.
Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution: © Thielko Grieß
Von Adelheid Wedel · 06.11.2017
Die Feuilletons beschäftigen sich mit dem 100-jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution. Mit "Schießpulver und Schlägertrupps", so beschreibt der "Tagesspiegel" die Reaktion der Moskauer Kunstszene darauf. Und laut "Welt" könne auch das Geschlechterverhältnis eine Revolution vertragen.
Eine Umfrage des russischen Meinungsforschungsinstitut VZIOM legte in der Woche vor dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution interessante Ergebnisse vor. "Grundsätzlich schauten 60 Prozent der Befragten wohlwollend auf die revolutionären Umschwünge zurück", lesen wir in der Tageszeitung TAZ. "Hätten sie sich vor hundert Jahren entscheiden müssen, hätten 32 Prozent Partei für die Bolschewiki ergriffen, 38 Prozent rühmten soziale und ökonomische Veränderungen der Revolution. Für die Kommunisten seien das ermutigende Zahlen, schreibt die 'Prawda', das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Russlands." Und sie triumphiert: "Mehr als zwei Jahrzehnte antikommunistischer Propaganda hätten der kommunistischen Idee nichts anhaben können."
Klaus-Helge Donath kommentiert den Jubel aus Moskau distanziert: "Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 geht es bei den Kommunisten wieder bergauf, könnte man meinen. Zumindest geben Russlands Kommunisten nicht auf." Er weiß, in ihren besten Zeiten hatte die Prawda eine Auflage von 14 Millionen Exemplaren, heute werden rund 100.000 Exemplare an drei Tagen die Woche gedruckt. Wir sind uns treu geblieben, wird der derzeitige Chefredakteur der Prawda, Boris Komozki, zitiert. Treu bleiben, das heißt für ihn, berichtet der Reporter: "Die Lage der arbeitenden Klasse nicht zu verschweigen. 19 Millionen Menschen lebten in Russland zurzeit unter dem Existenzminimum." Ihn schmerze der Raubbau im Bildungs- und Gesundheitswesen, "klassische Disziplinen, in denen die Kommunisten einst Erfolge vorweisen konnten." Auf Komozkis Schreibtisch häufen sich Briefe, in denen Genossen die Ungerechtigkeit der Welt beklagen. "Ändern kann die Partei nichts, und so bietet sie sich zumindest als therapeutischer Briefkasten an", meint der Autor in der TAZ.

"Eine wirkliche Auseinandersetzung findet nicht statt"

Im TAGESSPIEGEL findet Werner Bloch zwei Substantive, um die Reaktion der Moskauer Kunstszene auf das Jubiläum der Oktoberrevolution zu beschreiben: "Schießpulver und Schlägertrupps". Ein Beispiel dafür ist die Installation des chinesischen Künstlers Cai Guo-Qjang. Er bespielt das Puschkin-Museum "mit Bildern, die durch feuerwerksähnliche Explosionen mit Schießpulver entstehen. Wie ein Blitz ist die Revolution in Moskaus bedeutendstes Museum hineingefahren. Aber", so meint der Autor, "eine wirkliche Auseinandersetzung mit 1917 und den Folgen findet kaum statt."
Manche Künstler träumen sich unter dem Motto "Back to the USSR" zurück, Alexey Gintovt "beispielsweise malt Putin in einem futuristischen Porträt ganz in Rot. Sein nächstes Projekt: 100 Porträts von Putin, eines für jedes Jahr seit der Revolution." Erstaunlich dabei die Rolle der Kirche. Ohne göttlichen Segen geht kaum noch etwas in Russlands Kunstszene – "100 Jahre nach der Oktoberrevolution, in deren Folge 300 000 Priester getötet worden sein sollen, sind die Geistlichen zurück, als Richter und Zensoren", registriert Werner Bloch im TAGESSPIEGEL.

Die Gläubigen nur noch virtuell in der Kirche anwesend

Bleiben wir bei der Kirche und folgen der in der Tageszeitung DIE WELT gestellten Frage: "Was tun mit leer stehenden Kirchen?" Dankwart Guratzsch registriert erstaunliche Vorschläge: Die Internationale Bauausstellung in Thüringen sammelt Ideen für das Gotteshaus der Zukunft, von der Duftkirche bis zur Sauna, von der Kirche als Herberge, in der man schlafen kann wie in Neustadt am Rennsteig, bis zur Erfurter Kaufmannskirche, in der die ausbleibenden Gläubigen durch in den Kirchenbänken aufgestellte Monitore ersetzt werden.
Der in den aktuellen Feuilletons anhaltenden Diskussion über Sex, Gewalt und Liebe fügen wir einen Satz aus dem TAGESSPIEGEL hinzu: "Die Geschichte zwischen Männern und Frauen bedarf einer Revolution." Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG zitiert die amerikanische Publizistin Suzanne Muchin: "Worum es hier letztlich geht, der gemeinsame Nenner, ist Männer und Macht."
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