Aus den Feuilletons

Zu viel Handke, zu wenig Tokarczuk

04:19 Minuten
Die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.
Muss Olga Tokarczuk sich bis Dienstag in einen dicken politischen Fettnapf setzen, um auch nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit zu kriegen? © Getty Images / Thomas Lohnes
Von Ulrike Timm · 05.12.2019
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Die Feuilletons arbeiten sich weiter ausführlich an Schriftsteller Peter Handke ab - mit Berichten, Analysen und Richtigstellungen. Dabei gab es mit Olga Tokarczuk eine weitere Literaturnobelpreisträgerin. Über sie liest man herzlich wenig.
Warm-up vor der Verleihung des Literaturnobelpreises am Dienstag in Stockholm: Auch wenn die Diskussionen um den neuen Literaturnobelpreisträger Peter Handke langsam nerven - da müssen wir jetzt durch. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE (Printausgabe) schickt gleich acht Kollegen ins Rennen, um den Epiker, den Dramatiker, den Übersetzer, Essayisten, Lyriker, Kinoautor, Aufzeichner und Zeugen Peter Handke in kurzen Darstellungen zu skizzieren, und kommt von der "frühen selbstreflexiven Grundierung und Binnenspiegelung der erzählenden Texte" über den Zeichner mit rotem Kugelschreiber bis - na klar - zum Konflikt über seine Sicht auf Serbien.

"Ein Spiegelbild widerspricht nicht"

Die abschließenden Sätze dieses Handke-Rundumschlags stammen von Andreas Platthaus und lauten so: "Handke ist ein großer Spieler: Literatur und Zeugenschaft wollen ihm eins sein. Für beide gelten aber im allgemeinen Verständnis verschiedene Qualitätskriterien. So sah Handke zuletzt nur noch sich selbst als Publikum; ein Spiegelbild widerspricht nicht. Aber so bequem wird er es nie haben, darf er es sich auch nie machen."
Vielleicht sollten wir uns einfach mehr an den Lyriker halten, der für die Beschreibung von Nudeln die schöne Farbe "andersgelb" erfand oder theaterprägend das Publikum beschimpfte?

Ohne Ende Handke

Übrigens kriegt Olga Tokarczuk ebenso wie Peter Handke in der kommenden Woche den Literaturnobelpreis. Ist sie kein großes Spezial wert, das ihr Schreiben vorstellt und einordnet? Jenseits der großen Berichte nach Bekanntgabe von Preisträger und Preisträgerin haben wir leider nichts auch nur annähernd Vergleichbares gefunden. Muss die große polnische Schriftstellerin und Psychologin sich also noch bis Dienstag in einen dicken politischen Fettnapf setzen, um auch nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit zu kriegen, selbst wenn es sich um Aufmerksamkeit aus Ärger handelt?
Es hilft nichts, die Feuilletons arbeiten sich weiter ausführlichst an Handke ab. Der TAGESSPIEGEL lässt den Südosteuropa-Experten Ludwig Steindorff Handkes "historische Irrtümer" darlegen, die SÜDDEUTSCHE (Bezahlangebot) hatte die gleiche Idee und führt dafür ein langes Interview mit einer Professorin gleichen Fachgebiets, Marie-Janine Calic. Sie spannt den Bogen noch weiter und beleuchtet nicht nur die Rolle des früheren Präsidenten Milosevic, sondern bringt auch noch das Kunststück fertig, 600 Jahre Geschichte der Vielvölkerregion Balkan einigermaßen allgemeinverständlich zu kondensieren.

Tom Waits war schon immer alt

Aber es gibt auch noch andere Sprachkünstler. Tom Waits etwa spricht in seinen Songs nicht nur durch die Musik. "Niemand hat Amerika so bezaubernd entzaubert: Tom Waits, Barde aller Gebeutelten, wird 70." So gratuliert Alexander Menden in der SÜDDEUTSCHEN. Und weiter: "Tom Waits ist schon immer alt gewesen. Genauer: Er hat sich im Laufe seines Lebens stetig auf das Alter seines lyrischen Ichs zubewegt. Das begann schon mit Anfang 20. Da gründete er den Mythos des dauerberauschten Hipsterpoeten, zusammengesackt über einem Klavier, das er mit hypermobil durchgedrückten, nikotingelben Fingern bearbeitete."
Und warum gibt man dem Jubilar zum 70. Geburtstag ein Jugendfoto mit, statt uns den vom Leben gegerbten Tom Waits zu zeigen? Der "Barde aller Gebeutelten" ist doch selbst in schönstem Sinne lebenszerknittert, da hätten wir ihn gern auch mit zerfurchtem Gesicht in der Zeitung gesehen.

Zielgruppenoptimierung

Aber wir wollen heute nicht nur meckern und suchen, darum jetzt die schönste Überschrift des Tages. Lange war da die NZZ der Favorit. Da fanden wir die Titelzeile: "Diese Bilder sind ein Ohrwurm" über einer Besprechung der neuen Netflix-Serie zur Musik von Dolly Parton. Aber dann toppte doch die TAZ (Printausgabe). Sie rezensiert das Album einer Hamburger Rap-Band und nimmt dabei das wohl nicht nur der Pressebeschauerin verhasste Management-Sprech aufs Korn. Unser Fundstück des Tages also heißt "Zielgruppenoptimierung mit Ameisenscheiße". Möge es jedem, der das Wort "Zielgruppenoptimierung" in den Mund nimmt, um die Ohren fliegen, wo immer man eine ordentliche Portion Ameisenscheiße auch herbekommt.
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