Aus den Feuilletons

Yoga für die Ohren

04:12 Minuten
Porträt des des Schriftstellers Ilija Trojanow
Will Neue Musik verschriftlichen: der Autor Ilja Trojanow. © picture alliance / dpa/ Christian Charisius
Von Ulrike Timm · 31.05.2021
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Musik dient Ilja Trojanow als Energiequelle und Antidepressivum. Das berichtet der Schriftsteller in der "FAZ". Als "poetischer Chronist" will er nun das "Ensemble Modern" begleiten und Klänge in Text verwandeln.
"Im Wahlkampf wäre ja ein guter Zeitpunkt, die Lehren aus der Pandemie zu formulieren. Oder?" fragt die SZ und konzentriert sich dann zwei Spalten lang bissig und angesäuert auf eben dieses "Oder?". Denn die derzeitige Dümpelstimmung wird wohl sehr wahrscheinlich mit Diskussionen pseudo-aufgemischt, die Nils Minkmar jetzt schon fürchtet.

Wo bleibt der Wahlkampf?

Abteilung Sprachdebatten: "Wird ein grün bewegter Mensch die Umbenennung des Bismarckherings fordern oder sein Angebot auf einer Speisekarte bemängeln? Wird zum x-ten Mal der Kampf um das vermeintliche Recht geführt, rassistische Begriffe, Rituale und Traditionen weiter zu pflegen – alles, um nicht Schokokuss sagen zu müssen?" Dabei gäbe es ja Themen, etwa einen Wettstreit um die besten Ideen für Bildung, Krankenhaussystem und Pflege, oder mal eine Debatte darüber, "wie sich eine nationalstaatliche Gesundheits- und Versorgungspolitik in Europa bewährt"?
Auch wie sich die Parteien das außenpolitische Verhältnis etwa zu Russland vorstellen, würde wohl nicht nur die SZ interessieren. Autor Minkmar ist sich jedenfalls sicher, dass die Wählerinnen und Wähler nicht bei drei auf den Bäumen wären, "wenn es bei einem Bundestagswahlkampf um Politik ginge". Allein, so meint er achselzuckend: "Wenn nächsten Sonntag schon gewählt würde, hätte das vor allem den Vorteil, dass die derzeitige Simulation eines Wahlkampfes rasch beendet wäre."

"Eine Stimme für Deutschland" aus Neukölln

Hat der TAGESSPIEGEL zugehört? "So eine politische Farce ist riskant", meinen die "Off-Musicalkönige" Peter Lund und Thomas Zaufke, und wollen in Berlins Neuköllner Oper trotzdem ein Wahlkampfstück mit viel Musik auf die Beine stellen.
"Eine Stimme für Deutschland" soll es heißen mit dem Untertitel "Die musikalische Quittung". Und auch, wenn so ein Vorhaben leicht von knapp vorbei nach ganz besonders daneben kippen kann, sind die beiden frohen Mutes, gemeinsam mit Studenten der Universität der Künste ein freches, satirisches Spektakel auf die Beine zu stellen – wer sie kriegt, die "musikalische Quittung", das können Sie ab 11. Juni in Berlin begucken, beklatschen und bekritteln.

Macchiavelli und der Großwesir Isnogud

"Wie man nicht die Macht ergreift", das hat die WELT erforscht und dafür ganz tief gebuddelt. Bereits in den 1960ern nämlich schufen die französischen Comiczeichner Tabary und Goscinny – klar, den kennen Sie von Asterix und dem Kleinen Nick – noch eine andere Figur, ein bisschen fett und aus damaliger Sicht sehr orientalisch, den Großwesir Isnogud. Der will unbedingt selbst Kalif werden anstelle des herrschenden Kalifen.
Der Carlsen Verlag hat die Geschichten nun in einer opulenten Ausgabe neu herausgebracht, und auch wenn man angesichts des "Mietsklaven Tunichgut" schon wieder die Political Correctness-Debatten fürchtet, konzentriert sich die WELT auf andere Aspekte und greift für den Vergleich des Comics ganz hoch:
"Jeder, der Macchiavellis 'Der Fürst' gelesen hat und nun glaubt, er sei mit Kälte und Kalkül für den unaufhaltsamen Aufstieg zur Spitze gesättigt, sollte anschließend gleich Isnogud studieren. Dort lernt man, dass es drei Dinge gibt, die fast jeden Plan zunichte machen: den Zufall, die Dummheit der anderen und die eigene Selbstüberschätzung."

Ilja Trojanow auf neuen Pfaden

Und damit zu ganz anderen Mächten – fasziniert von den Klängen Neuer Musik will der Schriftsteller Ilja Trojanow das Ensemble Modern als "poetischer Chronist" begleiten. Im Gespräch mit der FAZ blitzt der Entdeckergeist Trojanows immer wieder auf.
So erzählt er, wie ihn etwa Mahlers Sinfonien animierten, "die Statik eines Romans zu bedenken". Manchmal "missbrauche" er Musik als Energiequelle oder Antidepressivum. Aber nun ganz neue Klänge versprachlichen oder ihnen Poetisches an die Seite stellen? Trojanow meint: "Das ist Yoga für die Ohren, die auf einmal den Kopfstand mitmachen."
Toitoitoi, wir sind gespannt!
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