Aus den Feuilletons

Woody Allens Amazon-Debüt erntet Verrisse

Woody Allen als Schriftsteller Sidney J. Munsinger in seiner Amazon-Serie "Crisis in Six Scenes".
Woody Allen als Schriftsteller Sidney J. Munsinger in seiner Amazon-Serie "Crisis in Six Scenes" © Amazon Studios 2016
Tobias Wenzel · 30.09.2016
Woody Allens Sitcom "Crisis in Six Scenes" sei die erste Fernsehserie "nur für Senioren", urteilt Verena Lueken in ihrem Verriss für die FAZ. "Vorwärtsschleichend im Bewegungstempo eines Gletschers. Voller Witze mit langem Anlauf, Witzen auch, in denen Hörgeräte, Ersatzhüften, schlechte Augen und Vergesslichkeit weiten Raum einnehmen."
Wenn Schwarz Stille bedeutet und wenn Stille summt, dann summt es ganz gewaltig in der TAZ vom Samstag auf Seite 17. Die wird von einem einzigen, vor allem schwarzen Foto ausgefüllt. Es zeigt, als Rückansicht, Hillary Clinton und Donald Trump bei ihrem ersten Fernsehduell. Hinter dem Moderator erahnt man das Publikum im Dunkelgrau, das ins Schwarz übergeht und die obere Hälfte der Zeitungsseite geschluckt hat. Darauf hat die TAZ in weißen Buchstaben folgenden Text abgedruckt:
"Trump kämpfte sich aus dem Stuhl. Dann klopfte, nein, schleuderte er den verbrauchten Tabak aus seiner Pfeife in den offenen Kamin, führte ein absurdes kleines Tänzchen auf, kickte dabei seinen Stuhl um, stellte ihn mürrisch wieder auf und nahm endlich wieder Platz. 'Argh, diese dumme Kuh! Mutter hatte so Recht! Aber machen Sie nur weiter, bitte, ich bin noch ganz bei Ihnen. Nur vielleicht noch ein letztes Schlückchen Bier …'. 'Nun, ich denke', antwortete Clinton, 'Sie hatten schon genug für heute Abend.'"
In einer kleinen Anmerkung klärt die TAZ ihren Streich auf: Der Text über Trump und Clinton ist ein übersetztes Zitat aus dem viktorianischen Roman "The Odd Trump" von George J. A. Coulson aus dem Jahr 1875. Das Buch handle von einem Kaufmann Trump, dessen Freund Clinton zu seinem größten Rivalen werde.
Vielleicht ist die TAZ auf diese hübsche literarische Entsprechung im Internet gestoßen. Das wäre dann einer der wenigen Vorteile des Internets. Jedenfalls denkt man so, wenn man in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG liest, was Thomas Thiel zum Auftakt einer neuen Serie im Feuilleton schreibt:
"Mit dem Aufstieg von Populismus und Autoritarismus verdichten sich die Anzeichen, dass das als demokratischer Heilsbringer gefeierte Netz in seiner heutigen Form und aufs Ganze gesehen dem Rückzug in verkapselte Gemeinschaften dient. Als politische Bewegung ist ‚das Internet‘ gescheitert." Aber Thiel hat die Hoffnung noch nicht vollkommen aufgegeben. Er fragt, ob sich das Internet nicht doch noch "zur Vernunft bringen" und mit der Demokratie versöhnen lässt. Die FAZ-Serie "Internet und Demokratie" soll dem nun nachgehen.
Einige Filmkritiker gehen der Frage nach, wieso Woody Allen eine Fernsehserie für Amazon gedreht hat.
"Das Schlimmste an 'sc' ist, dass sich Allen nicht einmal mehr mit seinem eigenen Allen-Rezept Mühe gibt", schreibt Peter Praschl entsetzt in der WELT. "Er rührt seine Zutaten nur noch zusammen." Woody Allen spielt in seiner Serie einen Schriftsteller, der wiederum eine Fernsehserie schreiben soll.
"Crisis in Six Scenes" sei die erste Fernsehserie "nur für Senioren", urteilt Verena Lueken in ihrem Verriss für die FAZ. "Vorwärtsschleichend im Bewegungstempo eines Gletschers. Voller Witze mit langem Anlauf, Witzen auch, in denen Hörgeräte, Ersatzhüften, schlechte Augen und Vergesslichkeit weiten Raum einnehmen."
Nur warum hat Allen die Serie für Amazon überhaupt gedreht? "Vermutlich brauchte er Geld, New York wird immer teurer", scherzt Lueken.
Und ihr Kollege von der WELT weist darauf hin, dass Allen sein Scheitern immerhin mit den folgenden Worten schon angekündigt hatte:
"Ich befürchte, das wird eine Peinlichkeit von kosmischen Ausmaßen sein."
So etwas wie ein kosmisches Geräusch fasziniert eine Figur in Don DeLillos neuem Roman "Null K": ein "Weltsummen". Im Gespräch mit Thomas David für die LITERARISCHE WELT erzählt der US-amerikanische Autor, was das ist:
"In gewisser Weise kann man dieses Summen physisch spüren, aber vor allem ist es das, was man zum Beispiel in einem Zimmer hört, wenn man allein ist – wenn man keinen Straßenlärm mehr wahrnimmt und alle elektrischen Geräte ausgeschaltet sind. Man hört nur noch das Summen des Raums, das Summen der Welt. Ein spirituelles Geräusch."
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