Aus den Feuilletons

Wohin will die CDU?

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Zwei große Wahlplakate der CDU auf denen steht: "Für ein starkes, modernes Land. Ellen Demuth. Unsere Abgeordnete." und "Für unsere Kinder: Bildungschaos beenden. Christian Baldauf."
Kommt die CDU vom konservativen Wege ab? Darum sorgt sich der Historiker Andreas Rödder in der "Welt". © imago images/IMAGO / Revierfoto
Von Hans von Trotha · 15.03.2021
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Während die Grünen versuchten, "bürgerlich" zu werden, gebe es bei der CDU viele, die nicht mehr "konservativ" sein wollten, sagt der Historiker Andreas Rödder im Interview mit der "Welt" und fragt, was aus den Inhalten der Partei werden wird.
Nach den Wahlen vom Sonntag geht die WELT der Befindlichkeit der CDU auf den Grund. Der Historiker – und, wie das Blatt betont, bekennende CDU-Wähler – Andreas Rödder macht sich Sorgen um den einstigen Markenkern seiner Partei:
"Vor 50 Jahren war 'bürgerlich' der am meisten abgehalfterte, ewig-gestrige Begriff, den man sich vorstellen konnte. Heute kämpft Robert Habeck verbissen darum, dass die Grünen bürgerlich sind, weil sie bürgerlich sein wollen. Winfried Kretschmann hat ein Buch geschrieben, das im Untertitel 'Für eine neue Idee des Konservativen' wirbt, während viele CDU-Leute den Begriff 'konservativ' in den letzten Jahren nicht mal mehr mit spitzen Fingern anfassen wollten. Das heißt, die CDU hat im Stillen die Auseinandersetzung um die Begriffe aufgegeben, und den Begriffen folgen dann auch die Inhalte."

"Ende des Burgfriedens in Deutschland"?

Rödder erklärt die Situation der CDU mit einer Metapher. Er spricht vom "Ende des Burgfriedens in Deutschland". Ein "Burgfriede" bezeichnet vertragliche Vereinbarungen innerhalb einer Erbengemeinschaft einer Burg. Und von der Burg leitet sich das Wort "Bürger" ab - und entsprechend auch der "Bürgermeister".
Dazu passt metaphorisch, dass sich die FAZ auf die "Suche nach dem Bürgermeister für die Nation" macht, und zwar angesichts der bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden, aber – im Rahmen der Metapher – mit einer Kandidatin aus Deutschland. Metaphernstark meint Paul Ingendaay: "Jede Beschäftigung damit, an wen diese Voten gehen, brockt Ausländern eine Buchstabensuppe ein, in der man zu ertrinken droht."

Die Niederländer mögen die Deutschen

Auch hier gibt es eine große Umkehrung wie in Deutschland, wo die Grünen jetzt konservativ und die CDUler nicht mehr bürgerlich sein wollen: Paul Ingendaay sieht eine "fast vollständige Umkehrung des alten Deutschland-Bildes in den Niederlanden. Die Antipathien sind verschwunden, und an ihre Stelle ist unverhohlene Bewunderung getreten."
Einer von Ingendaays Gesprächspartnern betont, "wie viel in Holland die städtische Gemeinschaft zählt, wie wichtig die Bürgermeister sind. Man schätze deren Fähigkeit, anderen ein Gefühl des Zusammenhalts zu vermitteln" – einen Burgfrieden, könnte man sagen. "In diesem Sinn", so Paul Ingendaays Gewährsmann in der FAZ, "ist Angela Merkel eine große Bürgermeisterin."
Eine Bürgermeisterin, der erst die Bürgerlichkeit, dann der Burgfrieden abhandengekommen sind. Da sieht man, wie schnell man beim Jonglieren von Metaphern in Not gerät - und wie Paul Ingendaay in der metaphorisch beschworenen "Buchstabensuppe" zu ertrinken droht.

Künstliche Intelligenz kennt keine Metaphern

Dabei ist die Metapher das, was uns von der KI unterscheidet, also menschliche von der künstlichen Intelligenz. Das zumindest meint Daniel Kehlmann herausgefunden zu haben, indem er sich daran gemacht hat, "als erster Schriftsteller jemals", wie die SÜDDEUTSCHE betont, "gemeinsam mit der KI namens CTRL eine Kurzgeschichte zu verfassen, die man auch abdrucken kann." Daraus ist nicht so recht etwas geworden. Und zwar wegen der Metaphern.
"Weil", so Daniel Kehlmann im SZ-Interview, "die Metapher eine eigenständige Sprachschöpfung aus gesehener und gefühlter Wirklichkeit ist. Eine Entität, die Metaphern schaffen kann, muss eigentlich Bewusstsein besitzen", meint Kehlmann und gibt ein Beispiel:
"Wenn es bei Nabokov heißt: … Schlaflosigkeit, dein Starren ist stumpf und aschfahl. Das", findet Kehlmann, "ist ganz groß. Man kann Schlaflosigkeit kaum besser beschreiben. … Aber in dieser Zeile kommt viel zusammen. … Der Computer würde ja sagen: 'Was für ein Blödsinn, die starrt ja nicht, die Schlaflosigkeit ist keine Person.' Aber bei Nabokov wird sie zu einer. Und dann starrt sie aber nicht irgendwie, sondern sie starrt aschfahl, also wie Asche. Was ja auch keinen Sinn ergibt, wenn man es logisch analysiert, was soll denn das heißen: Starren wie Asche? Aber im menschlichen Leser entsteht sofort ein Bild von grauen, toten Augen, grau wie Asche, tot wie Verbranntes. Eine solche Metaphernschöpfung operiert bewusst mit Unlogik, eine Maschinenanalyse würde sofort sagen: 'Das ist unsinnige Sprachverwendung.' Wir müssen auch wirklich schon einiges gelesen und erlebt haben", bemerkt Daniel Kehlmann, "um problemlos mit so starken Metaphern umgehen zu können."
Für die Bürgermeisterin, die Buchstabensuppe und den Burgfrieden reicht dagegen das tägliche Feuilleton.
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