Aus den Feuilletons - Wochenrückblick

Jetzt erst recht: Weihnachten feiern!

Gottesdienst mit Krippenspiel in der katholischen Pfarrkirche St. Vitus in 2012 in Bad Schönborn (Baden-Württemberg)
Gottesdienst mit Krippenspiel in der katholischen Pfarrkirche St. Vitus in Bad Schönborn (Archivbild) © Imago / Gustavo Alabiso
Von Adelheid Wedel · 24.12.2016
Terror, Flüchtlinge, Vertrauenskrise: Vor Weihnachten blicken die Medien auf die schlechten Nachrichten des Jahres zurück und versuchen sich mit Appellen wie diesem in der FAZ: "Sei stark und lass keinen Hass in dein Herz. Liebe ist stärker als Hass. Vergiss das nie!"
"Was zum Teufel ist hier eigentlich los?" Und: "Wie könnte in einer Welt voller Gewalt endlich Frieden einkehren?"
Auf diese beiden Fragen stieß ich bei der Lektüre einer Rezension in der WELT AM SONNTAG. Dabei geht es um die Verfilmung des Computerspiels "Assassin’s Creed", den Jan Klüver als "den Blockbuster zu Weihnachten" beschreibt. In ihm gehe "es um den Weltfrieden und andere blutige Angelegenheiten".

Das Attentat von Berlin bestimmt die Weihnachtspredigten

Ja, in diesem hochgeschraubten Ton bewegen sich viele Artikel der Woche vor Weihnachten, dem Fest der Feste. Und natürlich ist in dem Zusammenhang das Wort einer Pfarrerin angemessen. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erzählt sie, wie sie sich den Erwartungen vieler Menschen an die Kirche stellt:
"Am Tag nach dem (Berliner) Attentat habe ich das Interview mit dem Holocaust-Überlebenden Shlomo Graber gelesen. In Auschwitz hatte seine Mutter zu ihm gesagt: 'Sei stark und lass keinen Hass in dein Herz. Liebe ist stärker als Hass. Vergiss das nie!' Als ich das gelesen hatte, wusste ich: Das ist mein Weg für die Weihnachtspredigt, auch über Weihnachten hinaus. Liebe ist stärker als Hass – das ist Weihnachten."
Im selben Gespräch in der FAZ weiht uns auch der Kapuzinerbruder Christophorus Goederei in seine Überlegungen ein. Er sagt:
"Natürlich kann man in diesem Jahr keine Weihnachtspredigt halten, ohne auf das Attentat in Berlin einzugehen. Allerdings gilt für die Predigt dasselbe wie für die Politik: Jeder Versuch, aus dem Anschlag politisches oder religiöses Kapital zu schlagen, wäre völlig daneben (…). Meine Devise wird lauten: Jetzt erst recht Weihnachten feiern, erst recht die Botschaft vom Frieden hören!"

Nächstenliebe - yes, you can!

In der WELT vom Samstag wird das "Fest der Liebe" sogar zur Überschrift. Thomas Schmid teilt uns seine Gedanken zu zwei Bildern von Lucas Cranach dem Älteren mit. Das eine, Christus und Maria Magdalena, hängt im Herzoglichen Museum in Gotha und zeigt das Porträt der beiden, dabei Maria Magdalena "so unerhört sanft an Christus‘ Seite", was zu der Aussage führt:
Das Bild zeigt "ein Paar, das in seinem Beisammensein eine Liebe bezeugt, die allen, nicht nur dieser Sünderin, gelten könnte. Und so erzählt das Andachtsbild am Ende doch eine Geschichte: Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst." Der Autor kommentiert: "Du sollst nicht nur, du kannst es auch."
Da ist der Gedankensprung zur Flüchtlingsproblematik nicht weit. Bettina Wolff berichtete in der FAZ vom Dienstag von einer Konferenz des Instituts für Zeitgeschichte in München, das die aktuelle Flüchtlingsdebatte zu versachlichen suchte. Sie zitiert zum Beispiel Tobias Hof, der analysiert, wie Flüchtlinge in der Öffentlichkeit und den Medien schon immer gern wahrgenommen wurden:
"Solange Geflüchtete auf dem Weg der Flucht sind, werden sie als Opfer beschrieben. Nachdem sie Deutschland erreicht haben, wird versucht, ein anderes Bild von ihnen zu geben, in einigen Fällen sogar das des Täters."
Michael Schwarz vom Institut für Zeitgeschichte wiederholte die Forderung: "Wir brauchen ein europaweites Einwanderungsrecht."

Vertrauensverlust der Medien

Das Ringen um Wahrheit in den Medien wurde in der vergangenen Woche vielfach thematisiert. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreiben Andrei Soldatov und Irina Borogan:
"In den frühen Nullerjahren verloren die etablierten Medien (…) das Vertrauen ihrer Leser. Dieser dramatische Wandel vollzog sich in Russland und Amerika gleichzeitig, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. In den USA zerstörte der Irakkrieg den guten Ruf der Medien. In Russland (…) sahen viele Russen Journalisten und die freie Presse als Inbegriff jener liberaler Werte, die das Land nach dem Ende der Sowjetunion überflutet hatte. Dabei fühlte sich ein großer, verbitterter Teil der Gesellschaft vom Westen betrogen."
Wie kann die Presse weltweit ihren Ruf als Vermittler von Fakten, Werten, womöglich sogar Wahrheiten bewahren? In der Türkei muss man es als eine existentiell gefährliche Aktion werten, wenn türkische Autoren die Kolumne der seit August inhaftierten Schriftstellerin Asli Erdogan weiter führen. Alper Canigüz schreibt dazu in der Tageszeitung TAZ:
"In der Türkei haben wir heute eine Regierung, welche die Realität selbst zur Verschwörung gegen sich erklärt – und sie vielleicht auch tatsächlich als solche wahrnimmt."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG schreibt Bülent Mumay: "Innerhalb von achtzehn Monaten sind bei Terroranschlägen in der Türkei 460 Menschen getötet worden. Jedes Mal verweisen zuerst Politiker und daraufhin deren Propagandainstrumente auf einen unklaren Täter, der als ausländische Kraft umschrieben wird."

Schopenhauer, der glückliche Pessimist

Richtig gern gelesen habe ich eine Seite der TAZ, auf der die Zeitung den Philosophen Arthur Schopenhauer in ein erfrischend gegenwärtiges Interview verwickelt. Um Verwechslungen zu vermeiden, gemeint ist schon der Schopenhauer, der vor rund 200 Jahren "von seinen Zeitgenossen als Misanthrop geschmäht" wurde, und der sich in seinem Spätwerk als "glücklicher Pessimist" bezeichnete. Bleiben wird wohl seine Aussage, "wir verleben unsere schönen Tage, ohne sie zu bemerken. Erst wenn die schlimmen kommen, wünschen wir jene zurück." Oder: "Der Lebenslauf des Menschen besteht darin, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tod in die Arme tanzt." Aber zuvor dreht sich das Leben noch um das Tun. Und das illustriert aufs Schönste der Gedanke aus einem Leserbrief, der an die TAZ ging. Aufgefordert, sich eine Weihnachtsansprache zu überlegen, nahm Michael Ritz aus Berlin diesen Gedanken in seine Rede: "Fragen Sie nicht, was 2016 Ihnen gebracht hat, sondern fragen Sie, was Sie 2016 gebracht haben."
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