Aus den Feuilletons

Wo Narziss-Träume wahr werden

04:21 Minuten
Blick auf die "Akorda" die Residenz des Präsidenten von Kasachstan am 23.03.2019
Die kasachische Hauptstadt Astana heißt zu Ehren des Ex-Präsidenten jetzt so wie er: Nursultan © Foto: Sergei Fadeichev/TASS/dpa
Von Hans von Trotha · 25.03.2019
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Die Umbenennung von Städten erfolge meist aus vielfältigen politischen Motiven, schreibt die "Welt". Die kasachische Hauptstadt hat ihren neuen Namen allerdings nicht als Akt der Befreiung, sondern wegen der Egomanie des Ex-Präsidenten erhalten.
Das Feuilleton als Einführung in die Mediennutzung – von der Oper bis zu Twitter.
In der WELT stellt Manuel Brug anhand einer Inszenierung einer Oper mit dem Titel "Schloss Dürande" von einem gewissen Othmar Schoeck am Theater Meiningen die Frage, ob man "Opern entnazifizieren" kann. Einfach scheint es nicht gerade zu sein. Brugs Fazit lautet:
"Das nicht nur üble, sondern auch schlechte Libretto hatte ein glühender Nazi verfertigt. Zu retten ist dieser dröge Dreistünder nicht. Da wälzt sich holzig der Schwulst, gleichzeitig bleibt der Melodienstrom trocken, die Affekte zünden nicht."

Kurse zur Entschleunigung in Frankfurts Oper

Während es hier, glaubt man Manuel Brug, am Stück liegt, dass "die Affekte nicht zünden", liegt es bei anderen Musikereignissen an uns, den Hörerinnen und Hörern – behauptet zumindest die Performance-Künstlerin Marina Abramovic und bietet an der Alten Oper Frankfurt Kurse an, die dem Publikum "den oberflächlichen Wunsch nach Tiefe zu erfüllen" sollen. Motto: "Entschleunigen Sie gefälligst!"
Sibylle Anderl hat sich für die FAZ im Selbstversuch der "Abramovic-Methode" ausgesetzt. Die "setzt sozusagen vormusikalisch an: 'Unser Leben ist schwierig und hektisch und wenn wir in ein Konzert gehen, nehmen wir all diese Last mit.' Dies verbaue es uns, mit allen Sinnen vor Ort zu sein und die Kunst wirklich aufnehmen zu können. Dafür sei Einkehr und Konzentration notwendig."

Lichtblicke in der Streamingproduktion

Die meisten gehen aber weder in die Oper noch in die Alte Oper, sondern sitzen vor einem Bildschirm und streamen.
Tobias Sedlmaier ist in der NZZ zwar nicht wirklich begeistert von einem neu zu streamenden Serien-Remake von Fritz Langs Klassiker M – eine Stadt sucht einen Mörder, stellt aber fest:
"Es wird wieder groß gedacht in der deutschen Serienlandschaft, epische Stoffe werden in die Hand genommen und Genres wie Krimi, Historie oder Science- Fiction neu gedacht."
Und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat Netflix-Chef Reed Hastings im Interview, der erfrischend kurze Antworten zu geben vermag:
"Wird es irgendwann Werbung geben?"
"Nein."
"Livesport?"
"Nein. Wir sind nicht: Livesport, News, Virtual Reality."
Da haben wir ja schon fast alle Medien unserer Tage beisammen. Fehlen nur Bücher, Twitter und das Umbenennen von Städten.

Wo man Städte leicht umbenennt

"Eine kleine Geschichte der umbenannten Städte" erzählt Matthieu Praun in der WELT. Er findet:
"Nursultan ist doch ein schöner Name. Während in Deutschland seit längerem über die Änderung von Straßennamen mit kolonialer Geschichte debattiert wird, hat Kasachstan mal eben seine Hauptstadt umbenannt. Der neue Name ist nicht nur der Vorname des scheidenden Präsidenten, sondern bedeutet auch noch 'strahlender Herrscher'."
Praun führt weiter aus: "Die Umbenennung von Städten folgt meist politischen Motiven, die jedoch vielfältig sein können: symbolischer Akt der Unterdrückung oder Befreiung, sowjetische Propaganda, antikoloniale Unabhängigkeitsbestrebungen oder, wie aktuell in Kasachstan, schnöde Egomanie eines Einzelnen."

Twittern mit verstorbenen Autoren

D a s Medium für egomanische Einzelne ist und bleibt aber Twitter.
Nein, hier geht es nicht um Donald Trump – wir sind schließlich im Feuilleton. Und in unserer kleinen Medienkunde fehlt ja noch die Literatur. Aurelie von Blazekovic berichtet in der SZ, "wie längst verstorbene Autoren auf Twitter zum Leben erwachen".
Wussten Sie zum Beispiel, dass Thomas Bernhard twittert? Dabei ist der Mann gestorben, längst bevor etwas wie Twitter auch nur hätte gedacht werden können. Trotzdem gibt es Bernhard-Tweets, und die lesen sich wie für den Kurznachrichtendienst gedrechselt:
"Ich bin in die Kunst hineingeschlüpft, um dem Leben zu entkommen."
Oder:
"Der Briefträger geht mir auf die Nerven, die Post bringt nichts als nur Lächerlichkeiten ins Haus, die verärgern, Haufen von dummbedrucktem Papier, als handelte es sich bei dem Empfänger um einen Idioten."
Immerhin: Briefträger gibt es immer noch, das Medium Brief auch, gerade noch.
Der SZ ist übrigens zu entnehmen, dass "auch Shakespeare, George Orwell, Mark Twain, Silvia Plath, Oscar Wilde und Emily Dickinson twittern."
In den Buchhandlungen taucht gerade ein Buch mit dem Titel auf: "100 Dinge, die du n a c h dem Tod auf keinen Fall verpassen solltest"
Wie's aussieht, gehört twittern unbedingt dazu. Zumindest wenn man Autorin ist oder Autor. Damit wir unsterbliche Sätze auf den Bildschirm bekommen wie Thomas Bernhards zeitlose Wasserstandsmeldung:
"Der Pegel des Stumpfsinns steigt."
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