Aus den Feuilletons

"Wir werden bald Klimaflüchtlinge sehen"

Äthiopien im Teufelskreis von Dürre und Armut, 06.04.2000
Äthiopien im Teufelskreis von Dürre und Armut © picture alliance / dpa / Joel Robine
Von Tobias Wenzel · 26.09.2015
Der Schriftsteller Henning Mankell weist in der "FAZ" auf die bevorstehende, gewaltige Wanderung von Klimaflüchtlingen hin. Die "TAZ" bekam Camerons Schweinereien nicht mehr aus dem Kopf, während der "Tagesspiegel" sich mit einigen Briten freute, dass der Premier immerhin mal weniger langweilig war.
Zweimal Hitler, zwei Schweine und jede Menge Schweinereien bevölkerten diese Feuilletonwoche. Das vorweg als Warnung.
"Cameron hat Schwein gehabt", diesen nur auf den ersten Blick harmlosen Titel gab Ralf Sotscheck seinem Artikel für die TAZ. Auf einem Foto ist der britische Premier zu sehen, mit einem Schwein auf dem Arm. Es sind böse Anspielungen auf die nun erschienene inoffizielle Biografie David Camerons und eine der angeblichen Enthüllungen des Autors Lord Michael Ashcroft. So soll Cameron Mitglied eines "berüchtigten" englischen Clubs gewesen sein und, na ja … Das dann doch lieber in den Worten der TAZ:
"Zum Aufnahmeritual gehörte es, dass Cameron seinen Penis einem Schweinekopf, der auf dem Schoß eines Clubmitglieds gelegen habe, ins Maul stecken musste."
Cameron hat eben Schwein gehabt. Nur Autor Ralf Sotscheck nicht: "Es gibt Dinge, die man eigentlich gar nicht wissen möchte, denn man bekommt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf", schrieb er, während Christian Schröder im TAGESSPIEGEL die auch vorhandenen positiven Reaktionen der Briten wie folgt zusammenfasste:
"So brav und langweilig wie heute, das ist die eigentliche Enthüllung, kann der Ministerpräsident nicht immer gewesen sein."
Eleonore Büning hat es wohl nicht so mit Schweinen. Jedenfalls nicht mit Schweinchen. Während die Musikkritikerin der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG in Frankfurt Helmut Lachenmanns Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" lauschte, schloss sie die Augen, um das lebende, permanent abgefilmte Meerschweinchen nicht sehen zu müssen. Im Programmheft sei darauf hingewiesen worden, dass das Tier "artgerecht betreut" worden sei. "Es sei auch, keine Sorge, an die Musik von Lachenmann rechtzeitig gewöhnt worden", schrieb die Kritikerin. "Diese Frage wäre also geklärt. Aber wer gewöhnt die Musik an das Schwein?"
Merklich angewidert war Eleonore Büning von Benedikt von Peters Einfall, ein Meerschweinchen das Mädchen mit den Schwefelhölzern verkörpern zu lassen. Als "unverzeihlich zynisch und dumm" erschien ihr allerdings, dass der Regisseur auch noch das ertrunkene, an einem türkischen Strand angespülte syrische Flüchtlingskind als ebenfalls "schutzloses Wesen" zitierte.
"Wir werden bald Klimaflüchtlinge sehen", sagte der schwedische Schriftsteller Henning Mankell im Interview mit der FAZ. Auf diese noch anstehende, gewaltige Wanderung der Klimaflüchtlinge hatte schon zuvor in derselben Zeitung der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel hingewiesen und hinzugefügt: "Deren Abweisung dürfte noch schwieriger werden."
"Schade, dass niemand Hitler erschießt", notierte eine schwedische Sekretärin im Oktober 1939 in ihr Tagebuch, die später eine der erfolgreichsten Kinderbuchautorinnen wurde: Astrid Lindgren. "Es ist eine atemberaubende Lektüre", urteilte Barbara Möller in der WELT über die nun posthum erschienenen Kriegstagebücher Lindgrens. Die Zeitung druckt das Foto eines aufgeschlagenen Tagebuchbandes ab. Auf der rechten Seite sieht man die Handschrift Lindgrens, auf der linken Seite aus Zeitungen ausgeschnittene Fotos. Eines zeigt Adolf Hitler.
Verfilmung von Hitler-Satire "Er ist wieder da"
Wenn man dieses Foto mit jenen Hitler-Fotos vergleicht, die der neue SPIEGEL abdruckt, meint man, das müsse derselbe Mann sein. Allerdings handelt es sich im zweiten Fall um den als Hitler zurechtgemachten Schauspieler Oliver Masucci. Er spielt die Hauptrolle in "Er ist wieder da", der Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Timur Vermes. Darin taucht Adolf Hitler im Jahr 2011 plötzlich wieder auf, vollkommen lebendig und als wäre er gar nicht gealtert. "Die Story zieht ihren Witz daraus, dass der echte Hitler für einen Imitator gehalten wird, während er sich mit modernen Errungenschaften wie dem Internet anfreunden muss", schreibt Dirk Kurbjuweit im SPIEGEL.
"Über Klamauk geht das nicht hinaus." Dem Kritiker gefällt allerdings der Einfall, dass Regisseur David Wnendt Teile des Films dokumentarisch gefilmt hat. Er sei mit seinem Hitler durch Deutschland gereist und habe die "Begegnungen mit Menschen, mit Passanten in Fußgängerzonen, mit Politikern von der AfD und der NPD" und vielen anderen gefilmt. Dass Rechtsradikale den Hitler mimenden Schauspieler mit offenen Armen empfingen, wundert Kurbjuweit nicht.
"Aber die Hundezüchterin, die Rentner am Stammtisch, die Fußballfans, die Frau, die sich vom ehemaligen Postkartenmaler Hitler malen lässt, auch sie zeigen nicht die geringste Distanz, sondern lassen sich auf diesen Mann ein oder bejubeln ihn gar."
Kann man da noch als Deutscher mit erhobenem Zeigefinger über das propagandistische Jubel-Video sprechen, auf das die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG hinweist? Die chinesische Tageszeitung "People’s Daily" hat es bei Youtube hochgeladen. Darin erzählen in China studierende Ausländer aus aller Welt, wie sie Staatspräsident Xi Jinping finden. Das Video heißt "Who is Xi Dada?", "Wer ist Onkel Xi?" In den Worten der FAS:
"Der Student im rosafarbenen Sakko aus Österreich sagt, Onkel Xi sehe süß aus, sein Gesicht sei niedlich."
Ob die Musikkritikerin Eleonore Büning wohl den chinesischen Staatspräsidenten auch so süß findet? Und vielleicht sogar niedlicher als jenes Rosettenmeerschweinchen, vor dem sie in der Oper Frankfurt die Augen verschloss? In der FAZ ließ Büning ihre Kritik zu Benedikt von Peters Inszenierung von "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" mit diesen Worten enden:
"So kuschelt Schauspieler Mendl also mit dem heiteren, vermutlich leicht sedierten Tier, krault es, füttert es, wischt Pfützchen auf. Die 'Bild'-Zeitung berichtete begeistert vorab. Mit Foto."
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