Aus den Feuilletons

Wiedervereint und doch gespalten

04:16 Minuten
Ausgelassen feiert eine riesige Menschenmenge in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 vor dem Brandenburger Tor in Berlin die deutsche Wiedervereinigung.
1990 feierten Ost- und Westdeutsche freudig die Deutsche Wiedervereinigung. Deutschland sei heute gespalten wie nie, schreibt Katrin Spoerr von der "Welt". © picture-alliance
Von Gregor Sander · 01.10.2019
Audio herunterladen
Der Tag der Deutschen Einheit lasse eher an die Kluft zwischen Ost und West denken, findet die TAZ. Einigkeit komme auch nicht bei der Bewertung gemeinsamer DDR-Vergangenheit, meint die FAZ. Nur Musik von Deichkind bringe Konsens, schreibt die "Zeit".
"Vor 200 Jahren wurde der große Schriftsteller Theodor Fontane geboren", jubelt die Wochenzeitung DIE ZEIT, und das ist ihr einen mehrseitigen Schwerpunkt wert.
"Von ihm lässt sich etwas sehr Aktuelles lernen: Ein Leben voller Widersprüche zu führen", überschreibt Ijoma Mangold den Aufmacher und verschiedene ZEIT- Autoren werfen dann verschiedene Blicke auf verschiedene Fontane-Romane, was man anhand der Überschriften so zusammenfassen kann:
"Warum Stine sich um ihren Ruf Sorgen macht", und "Jenny Treibel verpasst ihr Glück", und "Der Stechlin ist ein empfindsamer See".
Das klingt alles nach ARD-Vorabendserie, und das ist ja auch das Tolle an Olle Fontane: dass die Texte immer noch so unterhaltsam sind wie vor fast zweihundert Jahren.

Weiter an der Wiedervereinigung arbeiten

Um einen anderen Geburtstag hingegen muss man sich da schon mehr Sorgen machen, wenn man Lin Hierse in der TAZ glauben will, die über den 29. Tag der Deutschen Einheit am Donnerstag schreibt:
"Für viele Deutsche bedeutet dieser Feiertag ein längeres Wochenende, im Hintergrund laufende Fernseher, Zeit mit der Familie, mittelmäßiges Essen. Politisch ist der Tag der Deutschen Einheit ein Fragezeichen."
Kathrin Spoerr von der Tageszeitung DIE WELT stellt Folgendes fest:
"In diesen Tagen ist es unmöglich, etwas über die Verfasstheit der Nation zu lesen, ohne dabei der Spaltung über den Weg zu laufen. Deutschland ist tief gespalten, innerlich gespalten, gespalten wie nie. Ein trockenes, aber dennoch scharfes Wort. Am Tag der Einheit die Spaltung erreicht zu haben – das muss man erst mal hinkriegen."
Ist aber alles Quatsch, sagt Spoerr, und empfiehlt stattdessen: "Wer gern an Spaltung denken will, soll das tun, dies ist ein freies Land. Wer hingegen glaubt, genug von der Spaltung zu haben, sollte einfach das Haus verlassen und Freunde aus dem Osten/Westen besuchen gehen."

Journalistennachwuchs kommt fast nur aus dem Westen

Steffen Grimberg bringt zum Vereinigungsgeburtstag in der TAZ dann aber doch noch eine fehlende Diversität der Medien ins Gespräch. Die seien nämlich zu westdeutsch. Aber stimmt das, fragt Grimberg sich und uns und hat mal die Journalistenschulen angefragt, betreffend ihrer Klientel.
"Die Nannen- Schule meldet 14 (West) zu 2 (Ost), beim ifp München heißt es 34:2, bei der Kölner Journalistenschule 18:2, an der RTL Journalistenschule goes niemand east. Bei Springer steht es 66:5, bei Burda 23:1 und bei der Evangelischen Journalistenschule 15:1."
Dafür hat die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG dann gleich einen original echten Ostdeutschen an die Tastatur gelassen. Hagen Findeis, 1966 im sächsischen Wermsdorf geboren, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und behauptet:
"Festzuhalten ist, dass es im Blick auf die DDR auch dreißig Jahre nach ihrem Untergang keinen Konsens über deren diktatorischen Charakter gibt. Besonders uneins sind sich die Ostdeutschen untereinander. Wenn heute zwei Ostdeutsche aufeinandertreffen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie in Bezug auf die DDR-Vergangenheit unterschiedlicher Meinung sind", so Findeis.

In Musik vereint

Vielleicht könnte uns ja Musik aus dieser Uneinigkeit der Einigkeitsdeutschen führen?
In der ZEIT bietet uns Jörg Scheller die Band Deichkind an, die sind "mit ihrem luftig-lustigschrulligen Sound und ihren superspätdadaistischen Kostümen nicht nur die Lieblinge kunstaffiner Großstadtmilieus, sondern von so ziemlich allen, weshalb sie bereits zu Deutschlands 'Konsensband' geadelt wurden."
Die neue Platte versetzt den Kritiker wirklich in Entzücken:
"Deichkind bieten maximalverdichtete, so kritische wie unverbindliche Intelligenz in Slogans wie Like mich am Arsch, lassen Germanistenherzen mit Neologismen wie Egolution höherschlagen und haben obendrein noch verdammt viszerale Beats mit Punk-Appeal im Programm. Mit dieser Kombination lässt sich noch die schmutzigste Party guten Gewissens feiern."
Die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit findet dieses Jahr in Kiel statt. Was noch einmal für Deichkind spricht.
Also DJane Merkel - übernehmen Sie!
Mehr zum Thema