Aus den Feuilletons

Wie werden wir uns nach Corona kleiden?

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Zwei Schaufensterpuppen stehen im Schaufenstermit Masken da. Im Hintergrund steht der Schriftzug "Herbst Trends".
Mit oder ohne Maske: Welche Mode-Trends kommen nach der Corona-Pademie? © picture alliance/dpa/Wolfram Steinberg
Von Hans von Trotha · 02.11.2020
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Wie hat sich die Mode in der Corona-Pandemie verändert, fragt die "taz". Wird es eine neue Post-Corona-Eleganz mit viel Glamour geben? Der Mode-Designer Virgil Abloh prophezeit einen Trend zu mehr Nachhaltigkeit.
Gleich zweimal hebt die FAZ den Zeigefinger – und zwar indem sie das Zeigefingerheben kritisiert. "Sind wir woke?", fragt Elena Witzeck und liefert ihre Version der "Genese eines Adjektivs". Es geht "um das aus dem Amerikanischen übernommene, der Deklination von 'to wake' entlehnte Adjektiv 'woke'", "durch einen Song bekannt geworden, auf T-Shirts gedruckt und filmisch verarbeitet."

Überstrapazierung des Begriffs "woke"

Ja: "Im Oxford Dictionary steht seit drei Jahren: 'Ursprünglich: gut informiert, up-to-date. Nun vorrangig: wachsam angesichts von Rassen- und sozialer Diskriminierung und Ungerechtigkeit.' Was da nicht steht", fügt Elena Witzek hinzu: "wie das Wort die amerikanische Spaltung symbolisiert."
"Schwierig wurde es" ihrer Meinung nach, "als sich der Begriff aus dem Kontext der 'Black Lives Matter'-Bewegung löste und von einem Signal der Wachsamkeit gegen jede Ungerechtigkeit zu einem des" – da ist er! – "erhobenen Zeigefingers stilisiert wurde. Aus dem Gefühl, die Ungerechtigkeit erfasst zu haben, erwuchsen der Anspruch, andere zu belehren, die Rangordnung der Verständnisvollen, die Anmaßung."
Dass, so Elena Witzek weiter, "der Begriff jetzt von Verächtern des Fortschritts und misstrauischen Liberalen abwertend genutzt" werde, zeige, "wie wichtig es ist, den Begriff vor Missbrauch zu schützen. Ihn zu verteidigen." "Ein erster Schritt wäre", so Witzek, "ihn nicht mehr hinter jeden pädagogischen Tweet zu setzen."

Schuldzuweisung verhindert Zuhören

Der andere FAZ-Zeigefinger-Zeigefinger trifft solche, die zwar Recht haben, es aber nicht sagen sollen, weil wir sonst weghören. Melanie Mühl zitiert ein Buch mit dem schönen Titel 'What We Think About When We Try Not To Think About Global Warming' und darin die Beobachtung: "Wir wissen aus der Psychotherapie, dass die Bereitschaft zur Veränderung nicht wächst, wenn Beschämung oder Schuldgefühle ausgelöst werden. Im Gegenteil: Menschen beginnen, diese Botschaften zu meiden." "Und", setzt Melanie Mühl eins drauf, "sie meiden außerdem jene Moralapostel, die diese Botschaft mit erhobenem Zeigefinger in Endlosschleife verbreiten."
Mühls Thema ist eigentlich das Virus – das sich bis hierhin aus dieser Presseschau heraushalten ließ – aber wenn es dann mal drin ist… Also: Melanie Mühl meint: "Wenn es … in den nächsten Wochen darum geht, die sich immer höher auftürmende Viruswelle zu brechen und einen vernünftigen Umgang mit den Freiheitsbeschränkungen zu entwickeln, sind nicht die überzeugenden Prediger das, was wir am meisten brauchen."
Sie stellt die durchaus gewagte Behauptung auf: "Jeder Mensch spielt gern das Zünglein an der Waage", um uns das Phänomen sogenannter "Kippmomente" näher zu bringen. Und sie führt den kanadischen Autor Malcolm Gladwell an. Der "illustriert die Dynamik einer sozialen Epidemie am Beispiel des rasanten Aufstiegs der totgeglaubten 'Hush Puppies', amerikanischer Wildlederschuhe, die so gut wie niemand mehr trug.
Doch Mitte der 90er-Jahre erlebten die Schuhe einen gigantischen Popularitätsschub. Die Nachfrage schoss exponentiell nach oben. Was war geschehen? Ein paar Hipster und Designer aus Manhattan fanden die Schuhe lässig, also trugen sie sie in Clubs, Bars, auf Privatpartys, im Café und verliehen ihnen ein neues, cooles Image. Und niemand konnte das vorhersehen."

"Indoor-Nihilismus und Outdoor-Combat-Look"

Genauso wenig wie das, was dereinst als Mode der Pandemie durchgehen wird. Erste Anzeichen erkennt Tania Martini in der taz in einer "Mischung aus Indoor-Nihilismus und Outdoor-Combat-Look". Wird das, fragt sie, "vielleicht irgendwann in der Modegeschichte als Coronastyle erinnert werden? Könnte sein", meint sie und fügt hinzu: "Mode reagierte schon immer schnell auf Krisen. Doch wie wird ein New Look nach Corona aussehen? Kommt dann die neue Eleganz – eben nur zeitverzögert und womöglich gepaart mit viel Glamour?"
"Virgil Abloh, der", so Tania Martini, "als der vielleicht wichtigste Designer der Zeit gilt, hat etwas ganz anderes prophezeit": einen "Trend zu mehr Nachhaltigkeit", ja: "Die Leute würden sich vermehrt Unternehmen zuwenden, die ein Anliegen haben." "Die Vogue", so die taz, "sah kürzlich bereits die Ära des 'sozialverträglichen Kleidens' angebrochen".
Und irgendjemand wird schon den Finger drauflegen, wenn daraus eine Art geschneiderter gehobener Zeigefinger geworden ist.
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