Aus den Feuilletons

Wer Gedichte liest, taugt nicht zum Populisten

Ein Hühnerei verziert mit dem Gedicht "Osterspaziergang" von Johann Wolfgang von Goethe, gesehen auf dem Ostereiermarkt in Gotha im März 2015
Kann man auf Eier schreiben, schützt aber auch vor Populismus: das Gedicht (hier "Der Osterspaziergang" von Johann Wolfgang von Goethe" © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Adelheid Wedel · 28.12.2017
Die TAZ reist nach New Orleans und beschäftigt sich mit Alkoholismus. Derweil thematisiert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG Gefallsucht und empfiehlt auch gleich ein Mittel dagegen: Literatur.
"In der Mehrdeutigkeit liegt die Kraft." Diese Überschrift in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG nutzt der Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski, um sich mit dem Begriff des Populismus auseinanderzusetzen. Er empfiehlt: "Wer Gedichte liest, taugt nicht zum Populisten." Sind also Gedichte die Rettung? Schützt Literatur vor Populismus? fragt der Autor und führt aus, "dass Literatur mit verschiedenen Lebensentwürfen und kulturellen Werten konfrontiert und durch die Erweiterung des eigenen Horizonts auch die Toleranz für das Andere stärkt."

Die Erfahrung der Mehrdeutigkeit

Dagegen ist beim Populismus die Gefahr zu erkennen, er entwerte den Zweifel. Simanowski dazu: "Der Populismus unterstellt für normative Fragen absolute Wahrheiten und beruft sich auf ein Volk, das im Besitz dieser Wahrheiten sein soll." Die Erfahrung der Mehrdeutigkeit poetischer Texte hingegen sensibilisiere für Ambivalenzen auch in nichtliterarischer Kommunikation.
Fazit: "Die Deutungshoheit, die sich der Populismus in politischen Fragen anmaßt, wird so im literarischen Feld an ihren Wurzeln attackiert." Hat die Erkenntnis praktische Folgen? Simanowskis Antwort: "Die oft verlachte musische Bildung mag sich so als wichtiger für die Entwicklung des mündigen Staatsbürgers erweisen, als es einer funktionalistisch ausgerichteten Bildungspolitik erscheinen mag."
Dieser Ratschlag könnte zu mehr als einem frommen Wunsch am Jahresende taugen, da wir mit Wünschen für die Zukunft förmlich übersät werden. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zum Beispiel gibt ihren Lesern "eine kleine Anleitung zum richtigen Spenden." Thomas Metzinger, Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Mainz, und der Philosoph Stefan Torges meinen, "was zählt, ist nicht das eigene Selbstwertgefühl, sondern die Wirkung für die anderen."
Kritisch gehen sie darauf ein, dass eine große Zahl von Hilfen kaum Wirkung erzielt. Dieser Anteil wird auf 75 Prozent geschätzt. Manche Hilfen haben sogar einen negativen Effekt – auch dafür geben die Autoren Beispiele. Sie wissen, "Hilfsorganisationen haben mittlerweile herausgefunden, wie sie uns kriegen."

Was wirklich hilft, ist häufig unspektakulär

Wir aber, so die Empfehlung in der NZZ, sollten auswählen und dabei "vermeiden, die Qualität an geringe Verwaltungskosten zu koppeln. Wichtig ist der echte Nettoeffekt. Wird Menschen geholfen oder nicht. Es geht um die Verminderung von Leid und das Retten von Menschenleben. Wir sollten uns nicht blenden lassen von Hilfsprogrammen, die sexy klingen und sich richtig gut anfühlen. Das was wirklich hilft, ist häufig unspektakulär."
Notwendigkeit zur Hilfe signalisiert ein Artikel in der Tageszeitung TAZ über Alkoholsucht in Deutschland. Elisabeth Kimmerle hat recherchiert: "Etwa 2,6 Millionen Kinder leben mit einem alkoholabhängigen Elternteil. Kinder aus suchtbelasteten Familien wachsen in einem Zustand von ständiger Anspannung auf."
Die Autorin stellt uns das Buch von Dominik Schottner vor, der über den Alkoholismus seines Vaters geschrieben hat, weil ihm klar wurde, dass seine Geschichte eine von vielen ist, denn Alkohol ist eine gesellschaftlich legitimierte Droge. Als Schottner seinen Vater in der Pubertät gebraucht hätte, ist er nicht da. Dessen Leben ist darauf ausgerichtet, den Stoff zu beschaffen, die Folgen auszukurieren, alles zu verheimlichen. "Dunkelblau. Wie ich meinen Vater an den Alkohol verlor", so der Titel des Buches von Dominik Schottner, jetzt erschienen bei Piper, München.
Um aus der Suchthöhle herauszukommen, wenden wir uns einer anderen Leidenschaft zu: der Musik. Lorina Speder reiste für die TAZ nach New Orleans, um wenige Wochen vor dem 300. Geburtstag der Stadt das Flair der Musikmetropole einzufangen.

Das Erbe des globalen Jazz

"Bourbon Street und Frenchmen Street im French Quarter genannten Innenstadtbezirk gelten als die Geburtsorte des Jazz", lesen wir in der TAZ. "Was bedeutet es, wenn eine Stadt das Erbe des globalen Jazz in sich trägt?" fragt sich die Autorin. Antwort bekommt sie auf der Straße: In den Bars und Restaurants der Frenchmen Street wird täglich ab 17.00 Uhr Musik gemacht. Jedes Etablissement besitzt eine Bühne. Auch wenn sie noch so klein ist, für Kontrabass, Gitarre und Drums ist Platz.
Mehr zum Thema