Aus den Feuilletons

Wenn Musikjournalismus wehtut

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Der Sänger der Band Rammstein steht auf einer dunklen Bühne und streckt seine Zunge raus. Das Mikro hält er in der rechten Hand in frivoler Geste vor seinen Unterleib.
Rammstein machen ihren Kritikern das Leben schwer. © imago / Agencia EL UNIVERSAL EVZ Mexico
Von Gregor Sander · 14.05.2019
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Bellende Hunde, Todesstrafe, kryptische Texte: Über das neue Rammstein-Album berichten zu wollen, ist ein bisschen wie Investigativ-Journalismus. So zumindest nehmen "Süddeutsche Zeitung" und "Tagesspiegel" den PR-Hype der Band aufs Korn.
Man kann die Rammstein-Songs für spätpubertäre Altherren-Punk-Marschmusik mit einer Vorliebe für gerollte Rs halten, aber sie scheint auch richtig gefährlich zu sein. Zumindest für Musikkritiker: "Rammstein haben ein Management hinter sich, das allen Journalisten bei Todesstrafe verbietet, sich vor Ablauf der Sperrfrist zu äußern (‚Hier unterschreiben, 50000 kostet das, wenn Sie doch früher drüber schreiben, haha!‘)." Das schreibt Juliane Liebert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über die bizarre Fachpublikumspräsentation des Albums, das heißt wie die Band selbst und das am Freitag erscheint.
Auch im Berliner TAGESSPIEGEL berichtet eine verstörte Nadine Lange von ihrem professionellen Hörerlebnis, oder besser dem Weg dahin: "Ein schwarzer und ein weißer Hund rasen bellend über den Hof – geradewegs auf die eintretende Besucherin zu. Erschrocken weicht sie einige Schritte zurück, bis die Tiere endlich gerufen werden und sich trollen. Ein unschöner Empfang, aber als Popmusikkritikerin geht man auch manchmal dahin, wo es wehtut."

"In 'Sex' geht es gar nicht um Sex"

Beide Kritikerinnen versuchen sich dann am Deuten der bekanntermaßen schwerdeutbaren Rammstein-Texte, was sich in der SZ so liest: "In ‚Sex‘ geht es gar nicht um Sex, sondern um einen Besuch beim Frauenarzt: ‚Ich schau dir tief in das Geschlecht‘, tönt es im ersten Teil, dann im zweiten später, ‚Ich schau dir tiefer ins Geschlecht!‘. Folgeuntersuchung. Nun kann man in Penisse nicht ohne Weiteres reinschauen, also geht es offenbar um Krebsvorsorge. Sehr löblich", meint Liebert unerschrocken.
Während ihre TAGESSPIEGEL-Kollegin Lange den bereits im Vorfeld stark kritisierten Song "Deutschland" auch nach genauem Hinhören nicht freisprechen will: "Ja, es heißt in dem Lied auch: ‚Deutschland – deine Liebe/ Ist Fluch und Segen/ Deutschland – meine Liebe/ Kann ich dir nicht geben‘. Doch es deshalb als deutschlandkritisch zu sehen oder gar als antinationalistischen Abgesang zu feiern, wäre reichlich übertrieben – und auch naiv. Denn diese Stelle dient vor allem als formeller Abstandhalter für die Vereinnahmung von ganz rechts außen."
Es ist also wie so oft bei Rammstein: Viel Lärm um wenig oder wie es die SZ-Kritikerin zusammenfasst: "Rammstein sind ein Rülps Germanias, und zugleich sowas wie die Medizin: weil man im Gewand ihres Karnevals die ganzen destruktiven Reflexe rauslassen kann, ohne sich unmöglich zu machen."

Cannes ist kein Strandspaziergang

Auch Filmkritiker haben es nicht leicht. Wer glaubt, beim Festival in Cannes zu arbeiten, wäre ein Strandspaziergang, den klärt Hanns-Georg Rodek in der Tageszeitung DIE WELT mit einem Gleichnis auf: "Wenn Sie morgens am Arbeitsplatz eintreffen, sagt man Ihnen, dass der Chef das kurzfristig geändert habe, Sie hätten nun Nachtschicht, und zwar durchgehend für die nächsten zwei Wochen." Schuld daran sei die Verlegung vieler Wettbewerbsfilme in die Abendstunden und dafür hätte Festivalleiter Thierry Frémaux einen Grund: Er wolle nicht, dass seine Stars schon auf dem roten Teppich vor der Galavorstellung die schlechten Kritiken ihrer Filme auf dem Handy lesen könnten, hat Frémaux voriges Jahr gesagt und die Pressevorstellungen deshalb parallel zur Gala gelegt.
Über der Klageschrift des Filmkritikers wird in der WELT ausgerechnet Thierry Frémaux von Arianna Finos interviewt, allerdings leider nicht zu diesem Vorwurf, und so darf er auf die Frage, welche schwierigen Momente es in 19 Jahren Festivalleitung gab, ungestraft antworten: "Es gibt keine schwierigen Momente. Nur spannende." Wie sagte Woody Allen, allerdings in Bezug auf Sex: "Auch wenn es nicht gut ist, ist er gut". Mit Cannes ist es genauso.

Ein Verlag frisch wie ein gezapftes Bier

Das sollen hier aber nicht die letzten Worte sein, sondern es folgen noch ein paar Zeilen aus dem Geburtstagsständchen zum 70. für die Münchner Verlegerin Antje Kunstmann. Alex Rühle besingt ihren Verlag in der SZ: "Das Programm ist bis heute sozialpolitisch kämpferisch und gleichzeitig erfrischend wie ein kühl gezapftes Bier." Na dann Prost, Frau Kunstmann!
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