Aus den Feuilletons

Wenn dem Joker die Lache vergeht

04:19 Minuten
Schauspieler Joaquin Phoenix schminkt sich als Joker vor einem Spiegel. Man sieht ihn von hinten und zweimal von vorne als Spiegelbild.
Joaquin Phoenix als "Joker": Beim Vorspielen wollte ihm das typische Lachen nicht gelingen. © imago images / Cinema Publishers Collection / Niko Tavernise
Von Hans von Trotha · 14.10.2019
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Auch ein Genie ist vor Erwartungsdruck nicht gefeit: Joaquin Phoenix berichtet in der "SZ", wie ihm beim Casting das Lachen im Halse stecken blieb. Die Rolle hat er glücklicherweise trotzdem bekommen. Außerdem beginnt die Buchmesse in Frankfurt.
Und wieder einmal weckt die Frankfurter Buchmesse, die größte ihrer Art, Erwartungen. Erfüllt hat sie die wahrscheinlich noch nie – aber das macht nichts. Manchmal, bei einer Buchmesse zum Beispiel, reicht es völlig, den Zustand der Erwartung auszukosten. Etwas anderes ist das in der Politik. Oder in der Wissenschaft. Oder beim Weltuntergang. Womit wir wieder einmal bei Greta wären, diesmal mit dem Philosophen Slavoj Žižek. Der weist in der Welt nicht nur darauf hin, dass Greta sich verändert hat, sondern ordnet für uns ein, was das bedeutet.
"Aus dem naiven und unschuldigen Kind, das auf den nackten Kaiser deutet, ist ein aggressiv lächelnder, scharfzüngiger Dämon geworden", schreibt Žižek, "doch ihre Botschaft bleibt die gleiche, einfach und stets wiederholt."

Greta - Genie oder Apostelin?

Folgt die philosophische Einordnung:
"Man sollte sich an dieser Stelle Kierkegaards wunderbaren kurzen Text 'Über den Unterschied zwischen Genie und Apostel' ins Gedächtnis rufen, in dem er das Genie als das Individuum definiert, das in der Lage ist, 'das, was in ihm steckt und doch über ihn selbst hinausweist' zum Ausdruck zu bringen. Dem Genie steht der Apostel gegenüber, eine Person, die 'an und für sich' unwichtig ist: Der Apostel erfüllt eine rein formelle Funktion, die eines Individuums, das sein Leben dem Zeugnis einer Wahrheit widmet, die außerhalb seiner selbst liegt. Auch Greta", so Žižek, "ist kein kreatives Genie, sondern Apostel einer Wahrheit: Sie bringt keine genialen, neuen Einsichten, sie wiederholt ein und dieselbe simple Botschaft wieder und wieder."
Womit philosophisch bewiesen scheint, dass wir Apostel derzeit nötiger haben als Genies.

Die Rolle auch ohne die Lache bekommen

A propos Genie. Als solches feiern derzeit viele den Schauspieler Joaquin Phoenix und formulieren die Erwartung, dass er für seine Rolle in Joker den Oscar bekommt. Der Süddeutschen erzählt Phoenix im Interview, dass die hohen Erwartungen ihn fast daran gehindert hätten, die Rolle anzunehmen: "Ich wusste einfach nicht, ob ich die pathologische Lache des Jokers draufhabe", erzählt Phoenix. "Also bat ich (Regisseur) Todd (Philipps) vorbeizukommen. Er saß auf meiner Couch, und ich konnte mehrere Minuten lang nicht lachen. Und dann sagte er, du musst dir das nicht antun, du hast die Rolle sowieso." - Spoiler: Das Lachen kam dann noch.
Zurück zur Buchmesse. Für die FAZ formuliert Matthias Hannemann die Erwartungen: "Die norwegische Literatur", schreibt er, "soll sich derzeit in einem Goldzeitalter befinden. Nun ist sie auf der Buchmesse Ehrengast. Wird sich", fragt Hannemann, "für deutsche Leser die hohe Erwartung erfüllen?" Vor allem aber berichtet er von einer Pressereise nach Oslo und Lillehammer. Dort saß sogar "Jostein Gaarder auf einem Hotelsofa und schwärmte" – na von wem wohl – "von Greta Thunberg." Hannemann zitiert aber auch den norwegischen Schriftsteller Jan Kjærstad mit der ketzerischen Frage: "Ist Frankfurt das wert, eine Investition in Höhe von mehr als fünf Millionen Euro?"

Friedrich Schlegel auf der Buchmesse

Womit wir wieder bei der Frage der Erwartungen an eine Buchmesse wären – und sei es die größte ihrer Art. Die Süddeutsche schickt hierzu als Gastautor Friedrich Schlegel an den Start, der 1797 schrieb: "Unter den zahlreichen Romanen, welche mit jeder Messe unsre Bücherverzeichnisse anschwellen, vollenden die meisten, ja fast alle, den Kreislauf ihres unbedeutenden Daseyns so schnell, um sich dann in die Vergessenheit und den Schmutz alter Bücher in den Lesebibliotheken zurückzuziehen, daß der Kunstrichter ihnen ungesäumt auf den Fersen seyn muß, wenn er nicht den Verdruß haben will, sein Urteil auf eine Schrift zu verwenden, die eigentlich gar nicht mehr existiert. Auf der andern Seite wirkt auch der frühzeitigste und noch so gegründete Tadel nur wenig gegen die Verbreitung dieser losen Waare unter denjenigen Lesern, auf die dabey eigentlich gerechnet ist. Der bloß sinnliche Romanenhunger muß gestillt werden, sey es durch welche Nahrung es wolle."
Und jeder von uns kann als sein eigener Kunstrichter oder seine eigene Kunstrichterin für sich die Erwartung hegen, aus dieser Flut die fünf oder sechs Titel zu fischen, die bleiben werden. Friedrich Schlegels einziger Roman gehörte übrigens nicht wirklich dazu.
Auf nach Frankfurt!
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