Aus den Feuilletons

Wenn Ai Weiwei nicht den Querkopf gibt

Das Foto zeigt Ai Weiwei beim Baden mit seinem Sohn.
Das Foto zeigt Ai Weiwei beim Baden mit seinem Sohn, veröffentlicht hat es der Künstler auf seinem Instagram-Account. © picture alliance / dpa / Ai Weiweis Instagram/ Handout
08.08.2015
Was wäre die Woche ohne Ai Weiwei gewesen? Die deutschen Feuilletons stürzten sich geradezu auf ihn. Doch der chinesische Künstler sagte nicht immer das, was von ihm erwartetet wurde.
"Was, du hast da keine Tür hingebaut? Die brauch ich aber!"
So etwas würden viele Regisseure sagen, erzählte der Bühnenbildner Bert Neumann einmal abfällig im Interview mit der ZEIT. Das zitierte nun wiederum die WELT. Denn Neumann, der vor allem an der Berliner Volksbühne arbeitete, war völlig überraschend im Alter von 54 Jahren gestorben. Er war Peter Laudenbach von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zufolge "ein autonomer Künstler", der Regisseure wie Frank Castorf und René Pollesch auch schätzte, weil sie sein Bühnenbild so nahmen, wie es war, und sich kreativ damit auseinandersetzten.
Als Bert Neumann erfahren habe, dass der Museumsmann Chris Dercon 2017 die Volksbühne als Nachfolger von Frank Castorf übernehmen werde, habe er gesagt, er wolle lieber "ein Tattoo-Studio" aufmachen, als mit Dercon zusammenzuarbeiten. Dazu Peter Laudenbach:
"Das war nicht ironisch gemeint."
Als Querkopf gilt auch der chinesische Künstler Ai Weiwei. 2011 saß er mit fadenscheiniger Begründung 81 Tage in Haft, hatte Hausarrest und durfte China nicht mehr verlassen. Am 22. Juli dieses Jahres bekam er aber seinen eingezogenen Reisepass zurück, flog letzte Woche nach München und reiste dann weiter nach Berlin, wo er bald an der Universität der Künste seine Gastprofessur antreten wird. Die deutschen Feuilletons stürzten sich geradezu auf Ai Weiwei. Aber der chinesische Künstler sagte nicht das, was alle von ihm erwarteten. Stattdessen im Interview mit der SZ Sätze wie diese:
"Ich bin wie ein Baum, ich wachse", "ich muss vorsichtig sein", "Die Vertreter des Staates sind [...] auch Menschen".
Interviewer Jörg Häntzschel war von alldem merklich irritiert. Schließlich wurden vor kurzem Hunderte von Menschen- und Bürgerrechtler in China verhaftet. Auch Bernhard Zand sprach das an, im SPIEGEL. Die chinesische Regierung habe da wohl "überreagiert", antwortete Ai. Zands Kommentar:
"Eine landesweite Kampagne gegen praktisch alle chinesischen Menschenrechtsanwälte – nur eine 'Überreaktion'?"
Erboste Exil-Chinesen
Besonders Exil-Chinesen zeigten sich erbost über Ais neue Äußerungen, berichtete die SZ.
"Hat er also kapituliert, Schande!",
habe der in den USA lebende Autor und Menschenrechtler Yu Jie über Ai Weiwei gesagt. Vielleicht wolle er einfach nicht die Rolle des Dissidenten einnehmen, die man von ihm erwarte, vermutete Mark Siemons in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, nachdem auch er vom chinesischen Künstler auffällig diplomatische Antworten bekommen hatte.
Kurioserweise erschien Ai Weiwei im Interview mit Christiane Peitz vom TAGESSPIEGEL durchaus als ein Dissident, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Angesprochen darauf, dass sein kleiner Sohn in Zukunft in Berlin zur Schule gehen werde, sagte Ai über das chinesische Bildungssystem und dessen Schüler:
"Statt sie eigenes Urteilsvermögen zu lehren, findet Gehirnwäsche statt."
Nach Kapitulation klang das nun wirklich nicht.
Bei so viel Ai Weiwei in einer einzigen Feuilleton-Woche meinte man schließlich überall den chinesischen Künstler zu entdecken. Zum Beispiel beim Lesen des Artikels "Der kleine Trick" in der TAZ: Çiğdem Aykol berichtete darüber, wie es den Machern der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" gelang,
"zwei kleine Mohammed-Karikaturen zwischen ganz viel Text"
zu verstecken, so dass die Staatsbeamten sie schlicht übersahen. Der Konflikt mit dem Staat habe ihn kreativ werden lassen, erzählte, passend dazu, Ai Weiwei im SPIEGEL. "[I]ch liebe das Internet, ich traue ihm viel zu", sagte er wiederum dem TAGESSPIEGEL. Und schon dachte man daran, dass Inga Pylypchuk in der WELT beschrieb, wie man mit Hilfe des Browsers Google Chrome manchmal herausfinden kann, ob ein im Netz veröffentlichtes Foto manipuliert worden ist.
"Wer wollte schon 'inhuman' sein?"
Im TAGESSPIEGEL erwähnte Ai Weiwei die Flüchtlingsproblematik in Europa:
"Der Humanismus ist die Identität der europäischen Zivilisation",
sagte er. Diese Identität dürfe Europa nicht aufgeben, sonst steuere es auf eine humanitäre Katastrophe zu. Und um eben diese Humanität ging es auch in der SZ, als Thomas Steinfeld einen affirmativen Kulturbegriff kritisierte:
"Wenn der Schriftsteller Albert Ostermaier unter Beifall des Außenministers Steinmeier erklärt, ‚Kunst und Kultur' seien ‚nichts anderes als gelebte und einzuübende Humanität', dann stimmt das zwar nicht",
schrieb Steinfeld.
"Widerspruch ist jedoch schwierig: Wer wollte schon ‚inhuman' sein?"
"Langweilig-langwieriges Breitwandgestolpere"
Das war keine angenehme Feuilletonwoche für Albert Ostermaier. Sein Theaterstück "Gemetzel", das bei den Nibelungen-Festspielen in Worms uraufgeführt wurde, fasste Michael Skasa in der ZEIT so zusammen:
"ein langweilig-langwieriges Breitwandgestolpere – ohne jedes Gemetzel". Der Einfall, eine "Tanzcompanie" Teile der erzählten Geschichte auch noch darstellen zu lassen, ließ Hubert Spiegel wütend in der FAZ ausrufen:
"Das ist nun mit Abstand das Schrecklichste an diesem gründlich missratenen Abend: [...] sogar schlimmer noch als die wahrlich dumme Idee, Brünhild als Dschihad-Kämpferin auftreten zu lassen."
Dass ein Kritiker davon abrät, ein Theaterstück zu besuchen, ist Alltag. Nicht jedoch, dass ein Buchhändler aus dem US-Bundesstaat Michigan seinen Kunden ein Rückgaberecht für Bücher einräumt, wenn sie sich durch die Werbung des Verlags hinters Licht geführt fühlen. Darüber berichtete die SZ. Und die WELT verwies auf einen Facebook-Eintrag, in dem der Tenor Jonas Kaufmann seine Fans aufforderte, die CD "Jonas Kaufmann – The Age of Puccini", ein Produkt seiner früheren Plattenfirma, auf keinen Fall zu kaufen. Das war ernst gemeint.
Bei Ai Weiwei ist Anti-Werbung in eigener Sache allerdings ironischer Natur. Ob seine geplante Londoner Ausstellung eine "Best-of-Show" werde, fragte Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL. Die Antwort des Künstlers: "Und eine Worst-of-Show."
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