Aus den Feuilletons

Was symbolische Akte verändern

04:11 Minuten
Protestierende rollen eine massive Statue über die Straßen von Bristol. Diese hatten sie zuvor demontiert.
Die Dinge werden niemals wieder so werden können, wie sie waren, zitiert die „SZ“ den britischen Historiker David Olusoga. © dpa / Giulia Spadafora
Von Hans von Trotha · 11.06.2020
Audio herunterladen
Nach dem Tod von George Floyd wurden als Reaktion auf Rassismus Statuen abgerissen und Filme gebannt - sogar Polizisten knieten mit Demonstranten. Veränderung werde es aber nur geben, wenn auf symbolische Akte Reformen folgen, schreibt die "SZ".
Bon Appétit. Fangen wir mit "Bon Appétit" und der "Vogue" an. Das eine ist ein erfolgreiches Magazin für Kulinarik, das andere ein noch viel erfolgreicheres für Mode. Der weiße Chefredakteur von "Bon Appétit" hat auf Vorwürfe des sogenannten "Blackfacings" - er hat sich das Gesicht schwarz angemalt - und einer Ausrichtung des Magazins, die man nur als, Zitat "white-centric" bezeichnen kann, reagiert - und zwar "mit einer Entschuldigung und seiner Kündigung", wie Carolina Schwarz in der TAZ berichtet.

Versprechen für mehr Engagement

Auch Anna Wintour, Chefredakteurin der "Vogue", hat sich demnach "für intolerante und schmerzhafte Bilder und Geschichten entschuldigt sowie dafür, sich nicht genug für Schwarze Perspektiven eingesetzt zu haben. Dass Medien ihre eigenen rassistischen Strukturen hinterfragen, ist ein Fortschritt", meint Carolina Schwarz, und: "In der deutschen Medienlandschaft (ist) das noch unvorstellbar. Ein Mode- und ein Rezeptemagazin könnten Vorbilder für viele deutsche Medien werden."
Vergleichbare Bewegungen sind auch in anderen feuilletonrelevanten Bereichen zu beobachten. Michael Hanfeld meint in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG feststellen zu können:
"Es gibt einen neuen, internationalen Programmdirektor. Er hört auf den Namen 'Antirassismus'. Er hat dafür gesorgt, dass das gerade gestartete Streamingportal HBO Max das Südstaatenepos 'Vom Winde verweht' einstweilen in den Giftschrank stellt. Der Kabelsender Paramount Network stellt die Reality-Serie 'Cops' ein. Der Privatsender A+E hat seine Reality-Serie 'Live PD' ausgesetzt" - um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Antirassismus-Vorbild Bristol

"Der Grund für den Bann", so Hanfeld, "ist in allen Fällen derselbe. Es geht um rassistische Vorurteile, die angeblich geschürt werden, um fehlende Sensibilität, um Verniedlichung von Polizeigewalt; im Fall von 'Vom Winde verweht' um Verharmlosung der Sklaverei. Da handelt HBO nach demselben Muster wie der Bürgermeister der Stadt Bristol, Marvin Rees. Die von hasserfüllten Demonstranten vor kurzem ins Meer gekippte Statue des Sklavenhändlers Edward Colston empfand er schon immer als Affront."
Diesen Fall nimmt sich auch Alexander Menden in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vor. Demnach waren "der gewaltsame Tod George Floyds in Minneapolis und die daraus resultierenden weltweiten Proteste anscheinend notwendig als letzter Auslöser für Abriss und Versenkung der 1895 errichteten Statue. Damit hat Bristol in Großbritannien einen Dominoeffekt ausgelöst." Menden fragt: "Hat 'Black Lives Matter' einen Bann gebrochen? Es scheint so. Tatsächlich befinden wir uns gerade in einer Phase großer symbolischen Gesten."

Bedeutung des Kniefalls

Zu denen gehören auch die vor Demonstranten niederknienden Polizistinnen und Polizisten, derer sich Nikola Hölle in der TAZ annimmt:
"Der Kniefall US-amerikanischer Polizist*innen steht in einer langen Tradition ritueller Gestik. Er drückt Demut aus vor einer urteilenden Instanz und steht symbolisch für die Sühne eines begangenen Unrechts. Man macht sich klein und hofft auf Wiedergutmachung. Ein symbolischer Akt", betont Nikola Hölle ebenso wie Alexander Menden.
Während aber Nikola Hölle die Frage stellt - und offen lässt - "ob öffentlich aufgeführte politische Akte Gesellschaften wirklich nachhaltig verändern", beobachtet Menden: "All dies hat das Potenzial, mehr zu sein als ein reines Symbol – allerdings nur, wenn dem öffentlichen Akt auch wirkliche strukturelle Reformen folgen, die Rassismus als Problem ernst nehmen."

Unumkehrbare Veränderung

Die SZ zitiert dazu den schwarzen britischen Historiker David Olusoga, der im "Guardian" schreib: "Was auch immer in den nächsten Tagen gesagt wird, dies war kein Angriff auf die Geschichte. Es ist Geschichte. Es ist einer dieser seltenen historischen Momente, nach denen die Dinge niemals wieder so werden können, wie sie waren."
Dem Argument britischer Kritiker der Denkmalentfernungen, "es handele sich um Geschichtsverfälschung, ja Zensur - man brauche die Statuen, um sich die eigene Vergangenheit zu vergegenwärtigen", hält Alexander Menden ein Zitat des Komikers Benjamin Partridge entgegen:
"Die Leute haben Recht – das Entfernen von Statuen löscht die Geschichte aus. Deshalb ist auch Hitler völlig in Vergessenheit geraten."
Auf den symbolischen Akt allein sollten wir besser doch nicht vertrauen.
Mehr zum Thema