Aus den Feuilletons

Was Schutzmasken und das Parkverbot gemein haben

04:14 Minuten
Ein Transporter parkt illegal auf einem Radweg.
Schutzmaskenempfehlung: "Es ist, als ob man Autofahrern nur empfehlen würde, sich an ein Parkverbot zu halten", findet Soziologe Andreas Diekmann. © dpa / picture alliance / Horst Ossinger
Von Hans von Trotha · 20.04.2020
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Nach den Virologen sind nun die Soziologen an der Reihe: Während zum Beispiel Heinz Bude in der Coronakrise eine Wiedergewinnung der Solidarität erkennt, vergleicht sein Kollege Andreas Diekmann das Pandemieverhalten mit dem im Straßenverkehr.
Nachrichten, die nicht um Corona kreisen, haben es noch schwer. Prince Harry und Megan Markle haben es gerade versucht. Sie ließen, wie Cathrin Kahlweit in der SÜDDEUTSCHEN berichtet, verbreiten, man werde "keine Kontakte mehr mit vier großen britischen Boulevardmedien pflegen".
Und Shitstorms können die Briten. Piers Morgan etwa, "umstrittener Moderator von 'Good Morning Britain' und erzkonservativer Trump-Freund", richtete den beiden aus, "sie sollten mal eine Weile die Klappe halten." O-Ton: "Shut up, seriously" – und Andrew Neil von der BBC: "Sie sollten sich mal eine Weile in Luft auslösen."
Nun gibt der SZ-Bericht gute Gründe an, die Nachricht just in diesen Tagen zu lancieren – ein Gerichtsverfahren gegen einige der Zeitungen steht an. Doch die Meldung ploppt in einen Resonanzraum, der so etwas wie einen Solidarisierungsnachhall erzeugt: Umstellt von Gedanken um Corona, erzeugt dieses "Plopp" ein Echo, das sich beliebig verstärken und verzerren lässt. Das ist ein interessanter Nebeneffekt der großen Solidarisierung, die derzeit überall beobachtet wird.

Solidarisch in der Krise

Im TAGESSPIEGEL-Interview etwa bringt es Heinz Bude, annonciert als "der Optimist unter den deutschen Soziologen", auf die Formel: "Wir erleben eine Wiedergewinnung von Solidarität aus dem Gefühl der individuellen Verwundbarkeit." Nach den Virologen sind jetzt nämlich die Soziologen an der Reihe.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN erklärt Soziologenkollege Andreas Diekmann, dass es mit der Solidarität doch nicht so weit her ist:
"Die meisten Menschen verhalten sich in der Krisensituation prosozial. Sie halten sich an die Gebote sozialer Distanzierung, vermeiden Kontakte und vermindern deutlich die Mobilität. Dagegen folgen sie selten der Empfehlung, Schutzmasken zu tragen. Dabei könnte das Risiko drastisch verringert werden, würde das Maskentragen zur Norm. Warum sind die Menschen beim 'social distancing' prosozial, während die Empfehlung zur Maske weithin auf taube Ohren stößt?".

Maske - ja oder nein?

Die Antwort lautet: "Anders als bei Masken ist soziale Distanzierung gleichzeitig Fremdschutz und Selbstschutz! Sie wird also auch im Eigeninteresse ausgeübt."
Diekmann wählt ein Beispiel aus dem Straßenverkehr: "Soziale Distanzierung kann man mit dem Rechtsfahrgebot vergleichen, Schutzmasken tragen dagegen mit einem Parkverbot. Im ersteren Fall handelt es sich um eine Norm, die koordiniert, im letzteren Fall um eine Norm, die zur Kooperation zwingt. Erstere wird im Eigeninteresse befolgt, Letztere im Eigeninteresse verletzt.
Ironischerweise werden aber Schutzmasken nur empfohlen, während die Verletzung des Gebots sozialer Distanzierung bestraft wird. Es ist, als ob man Autofahrern nur empfehlen würde, sich an ein Parkverbot zu halten."
Da fragt man sich, woher Heinz Bude im TAGESSPIEGEL den Optimismus zu Sätzen nimmt wie: "Ich glaube, dass auf mittlere Sicht vieles anders und manches besser wird."

Eine Utopie für Post-Corona

Gestützt wird dieser Glaube durch den senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr. Der schreibt in der SÜDDEUTSCHEN:
"Die Krise wird unser System nicht von selbst ändern, aber sie gibt uns die einmalige Chance, an Alternativen zu arbeiten. Was wir gerade erleben", so Sarr, keineswegs nur mit Blick auf Afrika, "ist in vielerlei Hinsicht völlig neu. Wie Seiltänzer balancieren wir über dem Abgrund des Möglichen. Die Frage ist nicht, wer die beste Vorhersage für die Zeit danach abgibt, sondern, worin das Morgen sich vom Heute unterscheiden könnte und vor allem: müsste. Die Krise muss uns anzeigen, was nicht mehr haltbar ist und sich ändern muss."
Der Blick in die Zeit nach Corona hat schon deshalb etwas Tröstliches, weil es der Blick in die Zeit nach Corona ist. Aber Sarr geht weiter, er beschwört den Begriff der Utopie:
"Die Aufgabe der Utopie besteht darin, die Formbarkeit der Welt aufzuzeigen. Sie gestattet, die Geschichte als einen Raum der Möglichkeiten zu betrachten, der Neugestaltung und Neukomposition, und sich das Mögliche vorzustellen jenseits des Wirklichen. Wir erleben eine Umwälzung, die den Weg öffnet für eine soziale Umformung – vorausgesetzt, wir arbeiten daran."
Und schon geht ein Ruck durch die Shutdown-Lethargie. Könnte zumindest.
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