Aus den Feuilletons

Was Churchill vom Brexit halten würde

Ein Gemälde zeigt den britischen Staatsmann Sir Winston Churchill mit den Insignien des Hosenbandordens (undatiert).
Ein Gemälde zeigt den britischen Staatsmann Sir Winston Churchill (1874 - 1965) mit den Insignien des Hosenbandordens. © picture alliance / dpa
Von Arno Orzessek  · 12.06.2016
Winston Churchill, laut "FAZ" für die Insulaner der "größte Brite aller Zeiten", war ein Vorkämpfer der europäischen Idee. Und die EU sei so etwas wie sein geistiges Vermächtnis. Weshalb dann auch klar sei: Einen Brexit gäbe es mit ihm als Premier nicht.
"Wäre er ausgetreten?"
Das fragt sich die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit Blick auf das nahende Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU.
Der niederländisch-amerikanische Historiker Felix Klos hält fest, dass für die Insulaner - trotz William Shakespeare, Charles Darwin und Isaac Newton – kein anderer als Winston Churchill "'der größte Brite' aller Zeiten" ist ...
Weshalb Churchills mutmaßliches Urteil in der Brexit-Frage höchste Autorität besitzt.
Und weil das so ist, unterstellen augenblicklich sowohl Befürworter als auch Gegner des EU-Austritts, Churchill stünde entschlossen auf ihrer Seite.
Für den FAZ-Autor Klos aber steht fest:
"Die Einheit Europas – gegenwärtig in Gestalt der unvollkommenen Europäischen Union – ist in weitem Maße das entwickelte und sich immer noch organisch entwickelnde Vermächtnis Winston Churchills, des Mannes, den Adenauer einst als einen 'Vorkämpfer der europäischen Idee' bezeichnete."
"Er" wäre also nicht ausgetreten.

Wie stabil ist der soziale Friede?

Bleiben wir bei der Klärung großer Fragen.
"Wie stabil ist der soziale Friede in Deutschland?"
Die Antwort erfolgt auf einem Umweg. Gerit Bartels bespricht nämlich "Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne" – ein Buch des Soziologen Oliver Nachtwey.
Klingt eigentlich vielversprechend – aber wirklich Griffig-Erhellendes kommt nicht rüber, wie man auch an Bartels vagem Resümee ablesen kann:
"Der Eindruck, Deutschland könnte auf seiner Insel der ökonomisch Seligen so gar nichts passieren, der trügt."

Staatsstreich und Bürgerkrieg?

Hier eine dritte Frage, aufgeworfen von der Tageszeitung DIE WELT:
"Ist das, was die AfD treibt, noch Politik?"
Philip Cassier untersucht die "Sprachstrategien der neuen Rechten" und stellt - wenig überraschend - fest, dass sie notorisch Pauschalaussagen bevorzugen. Wenn etwa die AfD-Sprecherin Frauke Petry konstatiert, die Grundgesetzwidrigkeit des Islam sei eine Tatsache, dann will sie damit – so Cassier – gebotene Differenzierungen möglichst unterbinden.
Außerdem könne Petry sogleich die Suggestiv-Frage anschließen:
"Was macht man mit einer grundgesetzwidrigen Organisation?"
Wir können dem WELT-Artikel keine niederschmetternde Originalität nachsagen, wollen aber Philip Cassiers Schlusspointe nicht verschweigen. Sie lautet:
"Wer die AfD-Leute beim Wort nimmt, dem wird klar, dass mit ihnen kein demokratischer Staat zu machen ist. Höchstens ein Staatsstreich und ein Bürgerkrieg."

Die schwachen Rechtsradikalen Spaniens

Von den deutschen Rechten zu den spanischen Rechtsradikalen.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG führt Thomas Urban aus, dass die "Erinnerungen an die Franco-Dikatur erklären, warum Spaniens Rechtsradikale so schwach sind".
Urban zitiert eine Reihe wissenschaftlicher Autoritäten, darunter den Historiker Carlos Collado Seidel:
"'Auch wenn ein nicht unbedeutender Teil der spanischen Gesellschaft der Franco-Diktatur positive Seiten abgewinnen kann, sitzt die Erinnerung an die von ihr ausgegangenen Verbrechen unverändert tief in den Knochen. So können selbst die mit der Diktatur sympathisierenden Teile der konservativen Volkspartei das Erbe der Diktatur nicht offen antreten.' "
Nun denn. Nach unserem Eindruck fallen gerade die politischen Feuilleton-Artikel weder durch grelle Brillanz noch durch prickelnde Themen-Auswahl auf.

Ein guter Schluck zum Abschluss

Deshalb würden wir zum Schluss gern einen trinken gehen ... Oder genauer gesagt, mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG eine "Reise ins Reich des Rebensafts" machen.
Marc Zitzmann stellt die neueröffnete Cité du Vin in Bordeaux vor, einen avantgardistischer Ausstellungskomplex, in dem man auf mehreren tausend Quadratmetern alle möglichen Facetten des Kult- und Kulturgetränks studieren kann.
Allein, auch dieser Artikel macht uns nicht besoffen vor Begeisterung.
Doch überprüfen Sie das alles bitte selbst, liebe Hörer! Blättern Sie sich durch die Feuilletons und stellen Sie sich dabei stets die eminente Frage, die in der SZ Überschrift wurde. Sie lautet:
"Wo sind die schönen Augenblicke?"
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