Aus den Feuilletons

Warum sich Deutschlands Denker irren

Der Philosoph Peter Sloterdijk.
Der Philosoph Peter Sloterdijk. © Imagp / Rudolf Gigler
Von Tobias Wenzel · 01.02.2016
Peter Sloterdijk, Reinhard Jirgl, Botho Strauß - sie "sehen sich als einzige Erwachsene in einer Welt der moralisch verblendeten Kleingeister", analysiert der "Tagesspiegel". Ihre Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik erinnere teilweise an Pegida-Parolen.
Ein "Produzent unserer Träume" war der nun gestorbene Wolfgang Rademann für die WELT und ein "Traumschöpfer" für die TAZ. Ja, liebe Hörer, summen sie ruhig noch ein paar Sekunden zur Musik des "Traumschiffs" oder der "Schwarzwaldklinik", denn gleich ist es mit dem Traumhaften auch schon wieder vorbei. Vom Wohlfühlen bis zur Übelkeit sind es nur noch drei Sekunden: drei, zwei, eins:
"Mir wird übel", schreibt Swantje Karich in der WELT, zitiert damit die Facebook-Nachricht einer nicht genannten Künstlerin, die die neue Aktion ihres chinesischen Kollegen Ai Weiwei ablehnt: dass Ai das weltberühmte Foto des ertrunkenen, an einem türkischen Strand angespülten, dreijährigen Flüchtlingsjungen Aylan nun selbst nachgestellt hat. Swantje Karich teilt in ihrem Kommentar diese Art der Ablehnung:
"Der Satz 'mir ist übel' bringt in schönster Kürze die Perversität und Doppelgesichtigkeit der nachgestellten Szene auf den Punkt, [die] nun millionenfach getweetet, gepostet, gemailt und als große, kluge, humane Geste gefeiert wird [...]. Doch das Mitleid mischt sich mit der Aufmerksamkeitssucht des Medienkünstlers. Es ist ein giftiges Gemisch."
Nicht weit von Pegida-Parolen entfernt
Das Gefühl der Übelkeit scheint sich auch bei Christian Schröder eingestellt zu haben, während er las, mit welchen Worten deutsche Dichter und Denker in den letzten Monaten Angela Merkels Flüchtlingspolitik kritisierten. "Sie sehen sich als einzige Erwachsene in einer Welt der moralisch verblendeten Kleingeister", schreibt Schröder im TAGESSPIEGEL.
Er zitiert aus Peter Sloterdijks Essay für den "Cicero": "Man glaubt hierzulande immer noch, eine Grenze sei nur dazu da, um sie zu überschreiten", hat der Philosoph geschrieben. Aber genau auf dieser Überzeugung basiere doch die EU, setzt ihm der Journalist entgegen.
Im Übrigen erinnere ihn Sloterdijks Satz "Der Lügenäther ist so dicht wie seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr" an die "perfide Pegida-Parole von der 'Lügenpresse'". Der Schriftsteller Reinhard Jirgl hat Schröder zufolge geradezu einen "verschwörungstheoretischen Text" veröffentlicht, in dem es heißt, die USA wollten Europa "weiter wirtschaftlich und politisch [...] deregulieren". Und Botho Strauß hat, so der Journalist, tatsächlich von der "Flutung des Landes mit Fremden" gesprochen.
"Natürlich hat niemand die Absicht, auf Flüchtlinge zu schießen"
Ganz anders Martin Walser:
"In zwanzig Jahren wird es Romane und Gedichte dieser Menschen geben in einer deutschen Sprache, die es zuvor noch gar nicht geben konnte, und das wird ein Reichtum sein."
Michael Hanfeld zitiert den Schriftsteller in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und direkt danach als Kontrast den AfD-Politiker Jörg Meuthen mit den Worten: "Natürlich hat niemand die Absicht, auf Flüchtlinge zu schießen." Kommentar von Michael Hanfeld: "Natürlich nicht. 1961 wurde ja auch keine Mauer gebaut."
AfD-Frauen zeigen Traditionsbewusstsein
"Als gelte es, sich endgültig von überkommenden Rollenklischees zu verabschieden, forderten zwei gewaltfantasierende AfD-Frauen, an der Grenze auf Flüchtlinge zu schießen", schreibt Heiko Werning in der TAZ, als wollte er Michael Hanfeld unterstützen. Und weiter:
"Immerhin zeigen die beiden mit ihrem Wunsch nach dem Schießbefehl Traditionsbewusstsein. Es war ja schließlich nicht alles schlecht in der DDR."
Schlecht, übel. Mit derart hässlichen Worten sollte man nicht enden. Drum etwas Hübsches zum Schluss. Volker Breidecker zitiert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den isländischen Autor Sjón mit den Worten: "In Gedichten kann es vorkommen, dass der Nebel, der sich hebt, den Berg gleich mitnimmt."
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