Aus den Feuilletons

War Jesus tot oder hat er nur geschlafen?

05:54 Minuten
Bild der Kreuzabnahme Jesu.
Die Kreuzigung Jesu und die Wiederauferstehung beschäftigt Künstler über alle Epochen hinweg. © imago / insadco
Von Tobias Wenzel · 03.04.2021
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Ostern ist das Fest der Wiederauferstehung Jesu. Doch was, wenn der Sohn Gottes die Kreuzigung überlebt und einfach nur geschlafen hat? Das behauptet zumindest der Historiker Johannes Fried. Ostern wäre damit hinfällig.
Müde. Wer ist in diesen Tagen nicht müde? Pandemiemüde, frühjahrsmüde, müdigkeitsmüde. Wer da nach einem Aufputschmittel suchte, wurde in den Feuilletons dieser Woche gleich mehrfach fündig.
"Ich gehe davon aus: Jesus hat überlebt", sagt der Historiker Johannes Fried, und lässt damit nicht nur Christen mit einem Schlag hellwach werden. Denn wenn stimmt, was der Historiker vermutet, dann müssten Christen am Karfreitag nicht des Leidens und Sterbens, sondern des Leidens und Schlafens Jesu gedenken.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG führt Bert Rebhandl die Gedanken des Historikers so aus:
"Seiner Ansicht nach hatte Jesus am Kreuz schwer zu leiden. Er starb aber nicht, sondern erlitt eine CO2-Narkose, die durch den Lanzenstich in seinen Oberkörper aufgehoben wurde." Jesus sei also nicht auferstanden, sondern nur im Grab aus der Narkose "erwacht". Gestorben sei Jesus dann irgendwann später, vermutlich in Ägypten, so Johannes Fried.

Eine Sexpuppe, die "Nein" sagt

Gegen Müdigkeit hilft wohl, je nachdem, Bewegung oder Horror. "Etwas Gruseliges, Unwirkliches umgibt Sexroboter wie Harmony", schrieb Melanie Mühl in der FAZ über eine Maschine in Frauengestalt, die auch sprechen und sogar blinzeln kann. Der Sexroboter Samantha wiederum könne "Nein" zum Sex sagen, sich allerdings nicht wehren.
"Wird sich der Besitzer von Samanthas Einspruch aufhalten lassen? Oder wird er sogar Gefallen daran finden?", gab Mühl zu bedenken. "Die Frage stellt sich, ob hier ein Moralkodex implementiert wurde oder eher eine Art Rape-Modus." Warum überhaupt die eigene Müdigkeit mit einem Sexroboter bekämpfen?

Hölzerne Übersetzung von Gormans Gedicht

Warum nicht mit elektrisierender Lyrik? Fast alle, die den Auftritt der jungen schwarzen Dichterin und Aktivistin Amanda Gorman bei der Amtseinführung Joe Bidens sahen, schienen hingerissen zu sein. Nun liegt das Langgedicht "The Hill We Climb" in deutscher Übersetzung vor, abgedruckt neben dem Original. Bei Carsten Otte stellte sich allerdings Ernüchterung ein. "Mit etwas Abstand und bei genauer Lektüre fällt die simple Machart der Funktionspoesie eben auf, die allzu offensichtliche 'Recherche' der Autorin", schrieb Otte in der TAZ.
Das Gedicht, so Paul Jandl in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, sei "in seiner Erhabenheit auf einen Augenblick hin komponiert, aber literarisch eher unerheblich." In der deutschen Übersetzung habe sich der Sound des Originals in ein "bürokratisches Irgendetwas verflüchtigt". Die deutsche Fassung sei "vielleicht divers, aber hölzern".
Die weiße literarische Übersetzerin Uda Strätling, die schwarze Rassismusforscherin Hadija Haruna-Oelker und die deutsch-türkische Netzaktivistin Kübra Gümüşay hatten das Gedicht gemeinsam übertragen, weil der deutsche Verlag Hoffmann und Campe wohl meinte, was Gormans Team zuletzt suggerierte: Eine weiße Übersetzerin sei, jedenfalls allein, nicht geeignet, um eine schwarze Dichterin zu übersetzen. Als zählten gar nicht das fachliche Können und das Einfühlungsvermögen, sondern nur die Hautfarbe.

Identitäre Antirassisten

"Sie urteilen über ein Kunstwerk entsprechend der Hautfarbe seines Urhebers", sagte im Gespräch mit der ZEIT die französische Feministin Caroline Fourest über, wie sie sie nannte, junge identitäre Antirassisten. "Geht es nach ihnen, dürfen Künstler nicht mehr Bilder gegen den Rassismus malen, wenn sie weiß sind. Das ist Wahnsinn."
Fourests Buch "Generation beleidigt" dürfte Joachim Gauck gefallen. Der Kampf gegen Rassismus sei eine demokratische Pflicht, schrieb ebenfalls in der ZEIT der ehemalige Bundespräsident. Allerdings halte er nichts vom pauschalen Urteil, Weiße seien Täter und Nichtweiße Opfer. Das widerlegte er anhand etlicher Beispiele:
"Menschen, die die Freiheit, Demokratie und Menschenrechte lieben, fragen nicht danach, ob jemand schwarz ist oder weiß", argumentierte Gauck. "Denn nicht Herkunft und eine daraus abgeleitete 'Identität' entscheiden, sondern Haltung. Und die ist unabhängig von der Hautfarbe."
Hat Joachim Gauck damit wohl gewisse Leser wachgerüttelt oder eher vom Dösen ins Wutschnauben katapultiert? Und sind Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, während dieser Kulturpresseschau eigentlich wach geblieben oder geworden? Vielleicht sind Sie ja auch gerne müde.

Byung-Chul Hans Müdigkeitsgesellschaft

Dann soll Tobias Rüther das letzte Wort bekommen. Denn er hat für die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG mit folgendem Bandwurmsatz die perfekte Einschlafhilfe geschrieben:
"Nicht müde zu betonen wurde jetzt der Philosoph Byung-Chul Han in seinem Essay 'Müdigkeit und Gesellschaft' im Feuilleton der 'Welt', dass er nämlich, und zwar vor zehn Jahren, schon einmal einen Essay über die 'Müdigkeitsgesellschaft' geschrieben habe, einen Text, mit dem sich danach auch der Philosoph Slavoj Žižek beschäftigt habe, wie Byung-Chul Han berichtet, ohne dass Žižek aber auf die fundamentale Müdigkeit unserer Gegenwart eingegangen sei, die wiederum Byung-Chul Han einmal diagnostiziert habe und die sich jetzt, in der Pandemie, da alle so müde sind, verstärke, wie der Philosoph Byung-Chul Han in seinem Essay 'Müdigkeit und Gesellschaft' in der 'Welt' feststellt, falls das hier noch nicht klar genug geworden sein sollte, bin so müde neuerdings."
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