Aus den Feuilletons

War Hegel nun Rassist oder nicht?

05:56 Minuten
Eine mit Ketchup und Currywurst beschmierte Hegel-Büste.
In Hegels Werk finden sich einige Stellen, die heute als rassistisch gelten. © picture alliance / dpa | Paul Zinken
Von Tobias Wenzel · 26.12.2020
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Für den Philosophen Klaus Vieweg ist die Sache klar. Hegel könne kein Rassist gewesen sein, weil er sich gegen den Antijudaismus seiner Zeit gewandt und die sogenannte Schädellehre karikiert habe. Einige seiner Kollegen sehen das anders.
Haben Sie, liebe Hörer, Weihnachten "im kleinsten Kreis" verbracht, wie es der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, verlangt hatte? Aber was bedeutet das eigentlich: "im kleinsten Kreis"? "Wo sollte man diesen Kreis am besten anbringen? Im Wohnzimmer oder draußen? Braucht man dazu einen Lockdown-Zirkel, kann man beim RKI eine Schablone bestellen?", fragte Hans Zippert kurz vor Weihnachten in seiner satirischen Kolumne für DIE WELT. "Darf man den Kreis verlassen, oder muss man den Nudelsalat, das Raclette-Gerät und die Getränke mit in den Kreis nehmen?"

Die Idee eines leeren Kreises, genauer die Idee der Leere überhaupt zog sich durch die Weihnachtsfeuilletonwoche: die Leere im Schädel und in der Coronawelt und die Frage, ob und wie diese Leere zu füllen ist. "Die große Leere", titelte der TAGESSPIEGEL zum neuen Science-Fiction-Film "The Midnight Sky", bei dem George Clooney Regie führte und die Hauptrolle spielte. Und mit "die große Leere" war nicht nur die Leere einer Welt fast ohne Menschen gemeint, sondern auch die Einfallslosigkeit des Regisseurs.

Schädellehre oder Schädel-Leere

Die Schädel-Leere im Zusammenhang mit der Schädellehre erwähnte der Philosoph Klaus Vieweg in der WELT. "Hegel, ein Rassist?", fragte er und nahm damit den Vorwurf auf, den einige Kollegen im Hegel-Jubiläumsjahr erhoben hatten. Vieweg widersprach. Hegel habe sich nicht nur vehement gegen den "Antijudaismus" seiner Zeit gewandt, sondern auch die Schädellehre karikiert, die rassistische Annahme, an der Schädelform lasse sich ablesen, wer ein herausragender Mensch sei.
Hegel habe die Vertreter der "Schädellehre" mit dem Ausdruck "Schädel-Leere" angegriffen. "Für heutige Rassisten", schrieb Klaus Vieweg, "würde Hegels beißende Diagnose wohl lauten: Völliger Mangel an Vernunft, Abwesenheit des Denkens – gefährliche Schädel-Leere".


Als "Nordmann" trinke er sein Bier "womöglich aus dem Schädel eines erschlagenen Feindes", fantasierte Matthias Brandt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Glauben durfte man ihm allerdings, dass er es sich in Coronazeiten zu Hause in einem Vorort von Berlin mit einem Bier gemütlich macht. In seiner Kindheit sei der Urlaub mit den Eltern im norwegischen Wald für ihn der jährliche Lockdown gewesen, erinnerte sich der Schauspieler und Autor, um dann zum Hier und Jetzt überzuleiten: "Ich war und bin eine Kapazität im Aushalten von Ereignislosigkeit. So werde ich auch diese derzeitige Öde überstehen."

Radio ist ein Geschenk

"Schlagen Sie Ihrer Familie vor, gemeinsam Radio zu hören! Vielleicht hören Sie Überraschendes", rieten Hans Knobloch und Bernt von zur Mühlen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zum hundertsten Geburtstag der ersten deutschen Radiosendung. "Die innige, freundschaftliche Verbundenheit mit den Stimmen von Menschen, die man nie zu Gesicht bekommt" – das habe das Radio bedeutet. Außerdem "Moderatoren, die Familienanschluss erhielten, ohne die Fußmatte dreckig zu machen". Inhalte anderer Medien müssten heute "ein nahezu pornographisches Erregungspotential" an den Tag legen.
Das Radio wirke im Vergleich dazu "wie der, der bei der Wahl der Mannschaften im Sportunterricht am Ende übrig bleibt". Radio habe es nie auf Aufmerksamkeit um jeden Preis abgesehen. "Radio lässt einen in Ruhe, fordert nichts ein", hieß es in der FAZ. "Radio ist ein Geschenk."
"Wohin mit dem hässlichen Geschenk?", fragte Hermann-Josef Tenhagen auf SPIEGEL.DE. Vielleicht hatte er ja selbst den rosaroten Silikon-Massageball in Gestalt des Coronavirus geschenkt bekommen, den Tim Caspar Boehme in der TAZ als Last-Minute-Weihnachtskauf mit den Worten empfohlen hatte: "Man kann das 'Virus' zwischen den Fingern isolieren und um sich selbst kreisen lassen."

Kein Weihnachten ohne Überraschung

"Ein Familienfest ohne die ganze Familie, Nähe mit Abstandsgebot, Religion, aber ohne das Ritual?", fragte Jürgen Kaube in der FAZ vom Heiligabend. Weihnachten so zu feiern, sei hart, las man heraus, aber durchaus möglich. Problematischer sei da, wenn man ausschließlich das schenke, was auf dem Wunschzettel stehe: "Denn erst wenn Weihnachten keine gute Überraschung enthielte, wäre es als Fest um seinen eigenen erzählerischen Kern beraubt", schrieb Kaube. "Die Härte wird ihm also nichts anhaben, nur die Leere könnte das."
Einer, der die Leere zu füllen weiß, ist Werner Grassmann. Die TAZ hat den 94-jährigen Regisseur, Produzenten und Betreiber des Hamburger Abaton-Kinos interviewt. Obwohl auch sein Kino gerade eine Corona-Zwangspause einlegt, verbreitete Grassmann Zuversicht, unter anderem, indem er die folgende Anekdote erzählte:
"Einmal ging im Kino der Projektor kaputt. Im Saal ging das Licht an, die Leute wurden unruhig. 'Wie geht es weiter?', fragten sie. Da habe ich mich vor die Leinwand gestellt und den Film zu Ende erzählt. Dann war ich fertig, da sagt der Filmvorführer: 'Ich glaube, es funktioniert wieder', und es ging weiter. Als der Film dann zu Ende war, haben die Leute gesagt: 'Was Sie erzählt haben, war viel schöner.'"
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