Aus den Feuilletons

Wachstum statt Inhalte

04:20 Minuten
Auf einem Smartphone ist die Audio-App Clubhouse geladen.
Der Cyberspace sei nicht das Privateigentum digitaler Firmen, sondern Teil der politischen Sphäre, ist in der "SZ" zu lesen. © imago images/Roman Möbius
Von Hans von Trotha · 25.01.2021
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Über Clubhouse wird wild diskutiert. Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, die Audio-App wiederhole den Fehler aller sozialen Medien. Statt sich darum zu kümmern, dass die Inhalte stimmen, gehe es der Firma nur um eins: Wachstum.
Es herrscht nicht nur eine Corona-, sondern auch eine Medienkrise. Auf der Aufmacherseite des SÜDDEUTSCHE-Feuilletons hat sie einen Soundtrack und eine Illustration.
Im Soundtrack geht es ums Radio, seine Relevanz für die Gesellschaft. Die wird – krisenhaft – erkannt, wenn sie nicht mehr in gewohnter Form wahrgenommen wird. Die Ankündigung des WDR, Rezensionen von Literatur aus dem Programm zu nehmen, ist Felix Stephan Anlass, darüber nachzudenken.
Er meint, Rezensionen seien mehr, sie seien "auch eine weiterführende Schule für republikanisches Dasein", "eine Probebühne für Formanalyse und Begriffskritik". Die findet natürlich nicht nur im Radio statt. Stephan machen Zeitschriften und Blogs "der ganz rechten Infosphäre" Sorge, wie er es nennt, "die ihre Literaturkritik kontinuierlich" ausbauen.
"Die antiglobalistische, völkische, deutschblütige Rechte hat genau verstanden, dass ein Land morgen von jenen geführt wird, die heute den Kanon formulieren", schreibt Felix Stephan, und: "Dass in Deutschland seit einigen Jahrzehnten kein Diktator mehr gewählt worden ist, hat man sich immer auch mit der Existenz und Beschaffenheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erklärt, der es den Völkischen schwer gemacht hat, der ihre Begriffe zu oft hinterfragte, um sie sich etablieren zu lassen. Dort gab es einen Raum, in dem über das Sprechen gesprochen und über das Nachdenken nachgedacht wurde. Dieses Sprechen hat einen Anteil daran, dass Deutschland so ein zuverlässig instabiles, schwieriges, mühsames, kurz demokratisches Land geworden ist", so Felix Stephan.

Bodo Ramelows "blöde Idee"

Auf der großformatigen, grell colorierten Abbildung daneben tippt eine rosa Hand auf einen Bildschirm. Die Bildunterschrift bringt eine Geschichte, die in sehr kurzer Zeit in sämtlichen Medien, ob nun in der Krise oder nicht, sehr oft erzählt wurde, auf zwei Worte: "Bodo Ramelow erzählte in der App Clubhouse von seinen Abenteuern im Handyspiel Candy Crush. Blöde Idee."
Aber Andrian Kreye geht es um etwas anderes. Er meint, die Clubhouse App beziehungsweise die dahinterstehende Firma Alpha Exploration mache "gerade den Fehler, den alle sozialen Medien bisher gemacht haben. Sie konzentriert sich auf Wachstum, investiert aber nicht in die Moderation der Inhalte." Der Cyberspace, betont Kreye, "ist weder abstraktes Neuland noch das Privateigentum digitaler Firmen, sondern Teil der politischen Sphäre. Die lässt sich dort leicht vergiften."
Ins gleiche Horn stößt Andrea Diener in der FAZ. Auch sie sieht eine vergiftete Atmosphäre und fragt, "wie mit einem solchen Format seriös umzugehen sei. Eine Möglichkeit", meint auch sie, "wäre, die Räume grundsätzlich strenger zu moderieren, damit es nicht vorkommt, dass auf Krawall gebürstete Journalisten den Sprechern zu sehr auf die Pelle rücken, um sie zu steilen Zitaten anzustacheln. Das vergiftet einerseits die Atmosphäre im Raum, andererseits ist es handwerklich unredlich."
In der TAZ meint Peter Weißenburger, das "Grauenvolle an der Geschichte", sei, "dass sich Clubhouse durch den Vorfall nun möglicherweise als weiteres soziales Medium etabliert, auf dem Journalist*innen herumgeistern müssen, bis sie irgendwo etwas vermeintlich Berichtenswertes gefunden haben."

Furcht nährt den Aberglauben

Isolde Charim zitiert, auch in der TAZ, Baruch de Spinoza, einen Philosophen aus dem 17. Jahrhundert, um einem der Phänomene auf den Grund zu gehen, die die allgemeine Medienkrise befeuern: den Glauben an Verschwörungstheorien.
"Wenn die Menschen alle ihre Angelegenheiten nach einem bestimmten Plan regeln könnten oder wenn das Glück ihnen jederzeit günstig wäre, stünden sie nie im Banne des Aberglaubens", zitiert Charim Spinoza. Und: "Was den Aberglauben hervorbringt, nährt und erhält, ist die Furcht". Die Abergläubigen deuten die Welt, so Spinoza, "ganz als ob sie ihren eigenen Wahn teilen".
Aberglaube, resümiert Isolde Charim, "ist eine eigene Hermeneutik, eine Auslegung, eine Lesart der Welt im Sinne dieses Glaubens." Und: "In Pandemiezeiten wird dies zu einem akuten Problem. Vor allem wenn der Aberglaube weite Kreise erfasst." Sie zitiert den Kommunikationsforscher Phil Howard, der kürzlich meinte, was wir brauchen, sei "eine Herdenimmunität gegen Desinformation".
Wie wahr.
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