Aus den Feuilletons

Von Weisheiten und Horoskopen

"2019 ist das Jahr des Schweins nach dem chinesischen Kalender", erfuhren wir aus der TAZ.
"2019 ist das Jahr des Schweins nach dem chinesischen Kalender", erfuhren wir aus der TAZ. © imago stock&people
Von Klaus Pokatzky · 05.01.2019
Das war die erste Woche im neuen Jahr: Die "Neue Zürcher Zeitung" gab Latein- und Geschichtsunterricht. Die "Süddeutsche Zeitung" glaubte, dass Museen die letzten Kathedralen sind. Derweil wies die "Taz" darauf hin, dass 2019 das Jahr des Schweins ist.
"Zur Feierlaune gehört eine Vorfreude, ein Vorglühen", stimmte uns der Berliner TAGESSPIEGEL auf die Silvesternacht ein. "Das Vorspiel läuft. Es könnte klappen", meinte Rüdiger Schaper optimistisch. "Trubel und Einsamkeit liegen so dicht beieinander wie Rausch und Kater, Nacht und Tag", stand in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, bevor die Böllerei so richtig losging. "Der letzte Höhepunkt des einen Jahrs geht in den Nullpunkt des anderen über", schrieb Tilman Spreckelsen, "und der Moment gehört beiden Jahren zugleich an, dem alten, abgebrauchten, und dem neuen, frischen, von dem noch niemand sagen kann, welche Farben es tragen wird." Optimistische oder pessimistische?

Zurück in Latein- und Geschichtsunterricht

"Von Januar bis Dezember ist unser Kalender ganz und gar römisches Erbe", erinnerte uns die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zu Jahresbeginn. "Der erste, der Januar, steht unter dem göttlichen Schutz des Ianus bifrons, des 'zwiegesichtigen', zugleich ins neue Jahr voraus- und ins vergangene zurückblickenden Hüters von Eingang und Ausgang." So führte uns Klaus Bartels zurück in Latein- und Geschichtsunterricht. "Rückschau und Ausschau: Das passt zum Eintritt in ein neues Jahr." Zwiegesichtig passt vor allem.

Glaubwürdigkeit von Parteien und Kirchen

"Museen, so scheint es, sind die letzten Kathedralen", stand in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum optimistisch werden. "In Deutschland gibt es mehr als 6000 Museen, die 2017 von mehr als 114 Millionen Menschen besucht wurden", klärte uns Catrin Lorch auf. "Die Glaubwürdigkeit von Parteien und Kirchen mag schwinden, Museen aber genießen so viel Vertrauen wie kaum eine andere Institution." In dieser Aufzählung hat die Kollegin Lorch natürlich die Medien vergessen. An "das Wort 'Lügenpresse'" erinnert uns da die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG: ein Wort, das vor allem im Osten unseres schönen Landes zu hören ist. "Häufig übersehen werden dabei aber die Menschen, die dem infamen Begriff schweigend zustimmen, weil sie sich in der Berichterstattung über ihre Länder, Städte und Regionen seit dreißig Jahren kaum oder allenfalls als Karikatur wiederfinden."
Stefan Locke hält den Journalisten einen Spiegel vor, in den sie zu Beginn des Jahres einmal blicken sollten – schön ist wirklich nicht, was sie da sehen. "Hätte zum Beispiel der mutmaßlich rassistische Anschlag von Bottrop, bei dem an Silvester ein 50-Jähriger mit seinem Auto gezielt in Menschengruppen fuhr, sich stattdessen in Eberswalde, Oschatz oder Stendal ereignet, wäre wohl umgehend nach ostdeutschen Ursachen geforscht, eine ganze Region in Mithaftung genommen und das Problem als ostdeutsch abmoderiert worden. Bisher ist nicht bekannt, dass Medien (und Politiker) nach spezifisch westdeutschen Gründen oder in der Vergangenheit der alten Bundesrepublik liegenden Erklärungen für die Tat gesucht hätten." Das kommt dann ja vielleicht noch. Manchmal brauchen wir eben etwas länger.

Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit

"Auf Initiative des WDR-Fernsehens strahlen WDR, NDR und SWR ab 7. Januar die vierteilige TV-Serie 'Holocaust' von Marvin J. Chomsky nach 40 Jahren nochmals aus" lesen wir im TAGESSPIEGEL vom Sonntag. "Sie veränderte die Erinnerungskultur", wird an ihre Wirkung vor vier Jahrzehnten erinnert. "Zwanzig Millionen Deutsche sahen die Serie 1979, die Einschaltquoten lagen teils bei rund 40 bis 50 Prozent", schreibt Caroline Fetscher. Was die Geschichte um die deutsch-jüdische Familie Weiss und die deutsch-nationalsozialistische Familie Dorf möglicherweise für die Aufarbeitung unserer Nazi-Vergangenheit bedeutet hat, lässt sich wohl kaum abschätzen. Sie befreite "die junge Bundesrepublik aus einer kollektiven Amnesie", hieß es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN. "Allein nach der Ausstrahlung der ersten Folge riefen damals", schrieb Tobias Schrörs, "beim WDR 4400 Zuschauer an. Sie wollten wissen, wie man den Enkeln erklären könne, dass man nichts gegen die Vernichtung der Juden unternommen habe." Und vergessen wir die andere Seite nicht.
"Es gab rund tausend Briefe von Wehrmachtssoldaten an den WDR mit dem Tenor: Es gab die Massenerschießungen von jüdischen Zivilisten im Osten, die die Serie zeigt. Ich war selbst dabei." Das erzählte im Interview mit der Tageszeitung TAZ die Dokumentarfilmregisseurin Alice Agneskirchner – für die sich das Anschauen in der Wiederholung der nächsten Tage unbedingt lohnt: "Weil die Serie noch immer frisch und eindringlich wirkt." Nur wenige Monate nach der ersten Ausstrahlung der Serie wurde übrigens mit Karl Carstens der erste Bundespräsident gewählt, dessen Nazi-Vergangenheit in NSDAP und SA vor der Wahl bekannt war. Zwiegesichtig eben – wie das Motto des Jahres 2019.

Das Jahr 2019

"2019 ist das Jahr des Schweins nach dem chinesischen Kalender", erfuhren wir aus der TAZ. "Die Glückskeksphilosophen weisen nachdrücklich darauf hin, dass das Schweinejahr vor allem ideal sei, um finanziell ordentlich zu investieren", schrieb Heiko Werning, "womit die Ratschläge auffällig übereinstimmen mit den ökonomischen Empfehlungen von Donald Trump und Friedrich Merz – es wächst halt doch manchmal zusammen, was zusammengehört." Nochmal zwiegesichtig. "Zwei Wochen Reise für einen Besuch, der das Leben ändert", stand in CHRIST UND WELT, der Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT – als Vorbereitung auf den Sonntag der Heiligen Drei Könige. "Sie machten sich auf den Weg in einer Mischung aus Neugier, Welthunger und Sinnsuche", schrieb der evangelische Bischof Ralf Meister. "Darin sind sie wunderbar."
Und gar nicht zwiegesichtig.